REV-CONF 27.05.2015

Dopo la catastrofe. La storia dell’arte e il futuro della città

Kunsthistorisches Institut in Florenz – Max-Planck-Institut, Palazzo Grifoni, Florenz, 06.–07.03.2015

Bericht von Katharine Stahlbuhk, Kunsthistorisches Institut in Florenz
Redaktion: Livia Cárdenas

Tagungsbericht im Auftrag der Veranstalter

Im Rahmen des Forschungsprojektes „L’Aquila as a Post-Catastrophic City“ haben die Initiatoren Carmen Belmonte, Elisabetta Scirocco und Gerhard Wolf zu einer zweitägigen Tagung mit dem Titel „Dopo la catastrofe. La storia dell’arte e il futuro della città“ geladen, die trotz eines dichten Programms viel Raum für Diskussionen ließ. Über Fach- und Epochengrenzen hinweg sind die Folgen eines durch ein katastrophales Ereignis ausgelösten Einschnitts in die urbane Realität erörtert worden. Der Umgang mit der Katastrophe, die Angemessenheit einzelner Eingriffe in das städtische Umfeld sowie generelle Kontroversen über die Idee von Stadt, historischem Zentrum und Peripherie waren einige der Kernpunkte dieser Tagung.

Ausgehend von dem Beispiel L’Aquila, wo neben dem verheerenden Erdbeben die darauf folgenden Spekulationen aus Politik und Wirtschaft ein vielschichtiges Konfliktpotential in sich bergen, zeigte sich die Tragfähigkeit sowie die Notwendigkeit der während der Konferenz aufgezeigten Fragestellungen deutlich in den auf die einzelnen Beiträge folgenden Diskussionen. Über die Brisanz des Falls L’Aquila hinaus konnte so auch generell über die stetige Gegenwart selbst lang zurückliegender Naturkatastrophen vielerorts in Italien reflektiert werden. Die kontinuierliche Präsenz eines derartigen Ereignisses in Form von Ruinen einst zentraler Bauwerke oder konsequent bewohnter Übergangsunterkünfte, sind demnach als ‚Nachleben’ der Katastrophe selbst anzusehen. Die Bedeutung dieser Veranstaltung sowie des Forschungsprojektes (dem bereits im September 2014 ein einwöchiger Studienkurs in L’Aquila vorausgegangen war) liegt somit in der Aktualität des Themas, welches der Kunstgeschichte sowie ihrer Nachbardisziplinen die Möglichkeit bietet, nicht lediglich über bereits Geschehenes zu reflektieren, sondern ihre Expertise der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Der Aufruf, sich dieser Verantwortung bewusst zu werden, war ein weiteres, wiederkehrendes Element dieser Tagung. Da Erhalt und Wiederaufbau jedoch selten parallel laufende Prozesse sind, scheint es vor allem erforderlich, Wege des Dialogs zu finden, wenn die unterschiedlichen oder sogar entgegengesetzten Bedürfnisse und Interessen einzelner Parteien in einer post-katastrophalen Situation aufeinandertreffen.

Die Vielschichtigkeit der Problematik konnte dank der Qualität der Sprecher ausgewogen dargestellt werden: neben anerkannten Persönlichkeiten aus den Bereichen Kunstgeschichte, Architektur und Denkmalpflege erhielt die Tagung durch die Beiträge der Teilnehmer des bereits genannten Workshops, welche ihre laufenden Studien in drei Gruppenreferaten vorstellten, eine vielfältige und vor allem objektnahe Ausrichtung.

Eröffnet wurde die Tagung sogleich mit dem autoritativen Beitrag von Pier Luigi Cervellati, welcher einige Gedanken bezüglich der Debatte über die Rolle der historischen Zentren und ihrer Beziehung zur Peripherie in der zeitgenössischen Welt kritisch erörterte (La città storica nel mondo contemporaneo). Es folgte Carlo Tosco, der den Umgang mit Landschaft in einem Katastrophengebiet sowie die Notwendigkeit präventiver Landschaftsplanung an einigen italienischen Beispielen analysierte (Dopo le catastrofi: ripartire dal paesaggio). Emanuela Guidobonis Überblick auf die Erdbebensituation der italienischen Halbinsel während der vergangenen 150 Jahre mit zyklischer Zerstörung und Wiederaufbau betonte das Erfordernis genereller Richtlinien im Hinblick auf Erhaltung und Sicherheit (Città e terremoti in Italia: il nodo storico delle ricostruzioni).

Die zweite Sektion begann mit einem Gruppenbeitrag über städtischen Raum und kulturelle Identität in L’Aquila (Spazi urbani e identità culturali a L’Aquila). Zunächst präsentierte Daniel Screpanti die Ergebnisse seiner in den New Towns durchgeführten Analyse der Psychogeographie. Darauf folgte Giovanna Ceniccola, deren Ansatz das Verhältnis zwischen Lokal-Identität und historischer Umgebung an dem Fallbeispiel der Kirche S. Pietro in Onna untersuchte. Piero Gilento stellte hingegen die Notwendigkeit eines offeneren Dialogs unterschiedlicher Disziplinen wie Urbanistik, Denkmalpflege und Archäologie an einem vom Erdbeben zerstörten Ort wie der Stadt L’Aquila dar.

Grundlegender hinterfragte Tommaso Montanari die Valenzen und die Begriffsevolution des Konzeptes „Com’era e dov’era: perché“ (Wo es war und wie es war: warum) anhand einiger Fallbeispiele und korrelierten Positionen renommierter Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Die Kontroverse über die Rekonstruktion zerstörter historischer Bauwerke erfordere vor allem einen offenen Dialog, um Nutzen, Symbolhaftigkeit, Identitätsdefinition und Zugehörigkeit besagter Bauten angemessen beurteilen zu können und nicht ohne weiteres in den fatalen Umkehrprozess des Konzepts in „Dov’era ma non com’era“ (Wo es war, aber nicht wie es war) zu verfallen, wie es vom italienischen Kulturministerium 2013 proklamiert und in Folge des Erdbebens in Emilia-Romagna fragwürdig angewandt wurde.

Eindrucksvoll zeigte anschließend Olimpia Niglio den unterschiedlichen Umgang mit und Anspruch an das historische Bild einer Stadt nach einer Naturkatastrophe im Orient und Okzident an den Beispielen Tokyo und Popayàn in Kolumbien (L’immagine storica della città nel confronto percettivo tra Oriente ed Occidente).

Zwei weitere vergleichende Vorträge über Italien und die USA schlossen den ersten Tagungstag ab. Valentina Russo zeigte den komplizierten, „verirrenden“ Umgang mit durch Erdbeben zerstörten historischen Zentren Italiens (Terremoti, catastrofi e architetture stratificate: il progetto contemporaneo e i riflessi della storia). An einigen Beispielen hinterfragte sie die Existenz einer einheitlich adäquaten Methode der architektonischen Instandsetzung im Hinblick auf Erhalt und Wiederaufbau.

Der letzte Beitrag des Tages von Michael Falser untersuchte am Beispiel der Zerstörung New Orleans’ durch den Hurrikan Katrina die Unerlässlichkeit eines Netzwerks, welches der Erhaltung und der Konservation der Kulturgüter dieselbe Priorität wie dem Erhalt der sozialen Strukturen der Gemeinschaft zugestehen müsse.

Die Konferenz eröffnete am folgenden Tag mit einem weiteren Gruppenbeitrag, diesmal mit der Problematik der Dislokation von Kulturgütern in L’Aquila und der Frage, ob der künstlerische bzw. religiöse Wert eines Objekts über der Bedeutung desselben für die städtische Identität stehen solle oder dürfe (The Dislocation of Cultural Heritage at L’Aquila: Artistic and Religious Value vs. Civic Function?). Luca Pezzuto präsentierte das Fallbeispiel des Museo Nazionale d’Abruzzo und dessen Umgang mit seinen Kunstwerken nach dem Erdbeben von 2009. Die Rolle der Museen sowie ihre potentiellen Möglichkeiten in der Aufarbeitung einer Katastrophe waren Thema des Beitrags von Jamie Sanecki. Pavla Langer zeigte anhand der Reliquien der heiligen Stadtpatrone L’Aquilas, welch unterschiedliche Bedürfnisse an derart religiöse Kunstwerke gestellt werden, wie diese besonders nach einer Katastrophe zum Ausdruck kommen und deshalb neben Fragen der adäquaten Restaurierung und sukzessiver Unterbringung auf Aspekte der lokalen Gemeinschaft zu achten sei.

Wertvolle Ergänzungen bezüglich der Auswirkungen einer Naturkatastrophe sowie dem darauf folgenden Krisenmanagement am spezifischen Fall der kunstgeschichtlichen Lehre bot der Beitrag von Cristiana Pasqualetti (Fare Storia dell’Arte all’Aquila prima e dopo il sisma).

Mit dem Vortrag von Valentina Valerio bekam die Debatte wiederum einen generelleren Einblick in die Entwicklung der Analyse der Erdbebenschäden am Kulturerbe in Italien ab dem 18. Jahrhundert. Valerio plädierte erneut für die Unabwendbarkeit eines Zusammenwirkens zwischen Sicherheitsmaßnahmen und Denkmalpflege (Istantaneità e lunga durata: danni sismici e ricostruzioni nell’Italia dei terremoti).

Marco Ciatti präsentierte eindrucksvoll die Möglichkeiten sowie die Schwierigkeiten der Restauratoren des Opificio delle Pietre Dure bei ihren konservatorischen Eingriffen in durch Erdbeben geschädigte Kunstwerke anhand einiger Beispiele aus L’Aquila und Emilia-Romagna.

Die letzte Sektion eröffnete Alessandro del Puppo, welcher an drei Beispielen (Gibellina, Friaul, Neapel) die schwierige Beziehung zeitgenössischer Kunstprojekte mit katastrophalen Ereignissen hinterfragte (Distruzione, ricostruzione, memoria. Tre casi storici per l’arte contemporanea). Trotz Initiativen mit erkennbar künstlerischem Wert offenbaren die von ihm angeführten Beispiele (vor allem aus der heutigen Distanz betrachtet) eher Belanglosigkeit und kaum mehr nachvollziehbare Bindungen zur Katastrophe selbst, welche dieselben Werke erst generiert hat. Del Puppos Analyse, mit kritischem Blick auf die politischen, wirtschaftlichen oder privaten Interessen hinter den einzelnen Projekten, zeigte somit auch die Grenzen zeitgenössischer Kunst, vor allem im Hinblick auf ethische, ortsspezifische Gesichtspunkte ihrer Entstehung.

Die fotografische Dokumentation nach dem Erdbeben von San Francisco 1906 und jenem in Messina 1908 waren hingegen die Grundlage für den Beitrag von Tiziana Serena und ihre Ausführungen über die Rolle der Fotografie in der Bildung nationaler Imagination und Dokumentation einer Katastrophe (Amnesiche allegorie: fotografie della catastrofe ad inizio del Novecento).

Ein letzter Gruppenvortrag von Antonio di Cecco und Beth Saunders stellte ihr gemeinsames Projekt über den Nutzen der Fotografie in einem Katastrophengebiet vor und hinterfragte die Rolle der Ästhetik und Ethik zeitgenössischer Aufnahmen in L’Aquila (Transformations and Representations: Landscape and Ways of Life at L’Aquila).

Einen wirkungsvollen Schlussakzent setzte der Beitrag von Salvatore Settis, welcher die während der Tagung diskutierten Argumente fokussierte und deutlich machte, dass das Thema der Konferenz lange nicht ausgeschöpft sei und im Gegenteil auf die aktuellen Debatten über Wohnraum, Nutzen historischer Zentren, etc. ausgeweitet werden müsse. Diese von Settis evozierten konkreten Anforderungen an (kunst-)historische Disziplinen knüpfen an die im Titel anklingende ‚Zukunft der Stadt’ an und bildeten einen angemessen Abschluss der Konferenz.

Empfohlene Zitation:
Katharine Stahlbuhk: [Tagungsbericht zu:] Dopo la catastrofe. La storia dell’arte e il futuro della città (Kunsthistorisches Institut in Florenz – Max-Planck-Institut, Palazzo Grifoni, Florenz, 06.–07.03.2015). In: ArtHist.net, 27.05.2015. Letzter Zugriff 19.03.2024. <https://arthist.net/reviews/10396>.

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