CFP 18.01.2011

Bild-Riss. Textile Öffnungen im ästhetischen Diskurs / The Image Split. Textile Openings in Aesthetic Discourse

Zürich, 24.–25.11.2011
Eingabeschluss : 01.03.2011

Mateusz Kapustka

(English version below)

Bild-Riss. Textile Öffnungen im ästhetischen Diskurs

Internationale Tagung

24.-25. November 2011

Kunsthistorisches Institut der Universität Zürich
ERC-Projekt „TEXTILE. An Iconology of the Textile in Art and Architecture“

In seinem Kommentar zu Gilles Deleuzes "Différence et répétition" von 1968 liess Michel Foucault unter dem Stichwort des gerissenen Fadens Ariadne sich an der selbst geflochtenen Schnur erhängen, Theseus den Weg verlieren und das gesamte philosophische Denken die Form eines verschatteten, Collage-artigen Theaters der Irrwege annehmen. Die heutige Selbstverständlichkeit und Geläufigkeit der immer wiederkehrenden textilen Metaphern von Verhüllung, Verschleierung, Einkleidung und Transparenz in der Debatte zur Medialität des Unsichtbaren scheint diese Tatsache zu beweisen. Daher konzentriert sich in der Zeit der Krise von Transzendenz und Repräsentation der kunst- und kulturhistorische Diskurs u.a. auf den Modellfall Schleier als ultimative und trügerische Figur der Unzugänglichkeit. In diesem Kontext drängt sich daher immer noch die Frage nach der Aktualität und Effizienz bzw. Trägheit der Repräsentationsbegriffe auf.
Ein Ziel der Tagung ist es, sich kulturtheoretisch, kunst- und bildwissenschaftlich, wie auch im Hinblick auf die historischen Kontexte der Bilder mit dem Problem der Desintegration und Auflösung der Denk- und Bildstrukturen auseinanderzusetzen, die mithilfe der tatsächlich oder im übertragenen Sinne abgebrochenen textilen Verknüpfung thematisiert bzw. visualisiert werden. Ausgehend von dem zweiten – nach dem verbindenden Wirken, Weben und Flechten – Gestaltungsprinzip des Textilen: dem Schneiden, soll die textile Unterbrechung als Problem der historischen und zeitgenössischen ästhetischen Erfahrung, Bildkritik und Kunstpraxis beleuchtet werden. Im Vordergrund soll v.a. bildtheoretisch gezielt hinterfragt werden, welche inhaltlichen Differenzen zwischen solchen Begriffen wie Schnitt, Riss, Stich und Bruch in diesem Kontext vorhanden sind, bzw. ob sie überhaupt als Synonyme behandelt werden können.

Schlitz als Form

Der mechanische Eingriff in die gewebte Struktur des Kunstwerkes soll nicht nur auf seine ikonoklastische oder erotische Interpretation reduziert werden. Die zerrissene, fragmentierte oder aufgeschlitzte textile Fläche/Oberfläche des Werkes, v.a. die Leinwand in der Malerei, kann darüber hinaus auch als Ort der Selbstreferenzialität und Überwindung der Gattungsgrenzen gedeutet werden, wie z. Bsp. in klassischen Bildern von Lucio Fontana und Alberto Burri, oder in anderen Bildpraktiken der Textur. Von wesentlicher Bedeutung sind dabei die theoretischen Fragen um den durch das kritische Zerreissen und Zerschneiden zum Sprechen kommenden textilen Status des Bildes, das in seiner verletzbaren Körperlichkeit gerade dadurch seine Aura wiederherzustellen vermag und vielleicht erst als solches bereit ist, wieder dialektisch zurückzuschauen.

Reflexivität der Dekomposition

Wie kann der gebräuchliche Begriff der Dekomposition im Rahmen der textilen Metaphorik des Bildes verstanden werden? Der Schnitt reflektiert auf einer weiteren Ebene eine textile Bildstörung als ein produktives Gestaltungsprinzip und in diesem Sinne ebenso die konsequente Negation der bildtragenden textilen Fläche. Hier wären die Prozeduren der programmatischen Ablehnung des textilen Bildkörpers zu hinterfragen, wie z. Bsp. die Erzeugung von fragmentarischen, zitierenden und grenzüberschreitenden Bildformen, die mit ihrem Prinzip der mechanischen Dekomposition ausdrücklich gegen den traditionellen Primat der Leinwand als gerahmter und mit einer optischen Einheit gekennzeichneter Repräsentationsort gerichtet werden.

Textile Störung

Im Rahmen der Tagung können ebenfalls künstlerische Praktiken problematisiert werden, in deren Rahmen die Präsenz der Leinwand als strukturierter, gerasteter Bildträger gerade umgekehrt im Bild deutlich hervorgehoben, bzw. vorgetäuscht wird. Unter der gemalten Oberfläche als Ort der pikturalen Leibhaftigkeit der geschichteten Farbe erscheint also das verflochtene innere Fleisch des Bildes. Dabei wäre z. Bsp. der Akt der Visualisierung / Simulierung der textilen Verknotung, wie auch des Entfaltens / Zusammenfaltens, Aufrollens, Umknickens der Bildfläche usw. als Relativierung und Auflösung der bekleidenden mimetischen Ebene des Dargestellten sowohl im theoretischen, als auch bildhistorischen Kontext zu thematisieren.

Pointiert liesse sich also fragen, inwieweit kann der textile Bild-Riss, der als Indiz der Negation, Fragmentierung und Heterogenität des Bildes bzw. des Bildkörpers fungiert, eine Situation der Selbstreferenzialität kreieren? Kann solch eine Bildstörung durch ihre Unwiederholbarkeit und Individualisierung einen Kommentar jenseits der Repräsentation liefern? Spricht das geöffnete, unterbrochene, verletzte, gehäutete Bild durch seine Wunden, Narben, Stigmata und viszerale Entblössung über sich selbst als tableau?

Die Exposes (max. 300 Wörter) für 20-minütige Referate werden zusammen mit einer Kurzvita und einer Publikationsliste an nachfolgende E-Mail-Adresse erbeten: mateusz.kapustkaaccess.uzh.ch.

Die Deadline für die Einsendung der Exposés ist der 1. März 2010.

Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch. Die Organisatoren werden Finanzmittel beantragen, um die Reise- und Übernachtungskosten der Referenten zu übernehmen.

The Image Split. Textile Openings in Aesthetic Discourse

International Conference

24.-25. November 2011

Institute of Art History, University of Zurich

ERC Project „TEXTILE. An Iconology of the Textile in Art and Architecture“

In his commentary to Gilles Deleuze’s "Différence et répétition" (1968), Michel Foucault pictures Ariadne hanging herself in despair with a rope braided by her own hands. In consequence, her thread breaks, Theseus ultimately loses his way and the whole philosophical discourse assumes a form of a shadowy, collage-like theatre of mistakes. The contemporary implicitness and frequency of textile-oriented metaphors within the debate on the media of the invisible, like disguise, veiling, vesting, or transparency, seem to confirm this vision. Accordingly, the cultural discourse at the time of the crisis of transcendency and representation is centered around the model case of the veil as an ultimately deceptive figure of inaccessibility. In this context, the question of validity, efficiency, or idleness of the notion of representation is still an issue.
The conference is meant to be an opportunity for cross-disciplinary perspectives among art history, Bildwissenschaft, image theory and culture studies. It will discuss the problem of disintegration and dissolution of philosophical and pictorial structures, which are literally or figuratively conceived as textile intertwining. Based on the act of cutting as the second productive principle of textile production – following the connective actions of knitting, weaving and braiding – the focus of the symposium will be set on textile rupture as a matter of historical and contemporary aesthetic experience, image criticism and artistic practice. Its point of departure will be a theoretical question of differences between such notions as cut, split, stab, fissure and break in this context and whether they may be treated equally as synonyms in respect to the textile surface.

Tearing as a form

The mechanical interference in the woven structure of the artwork should not be reduced to its merely iconoclastic or erotic interpretations. The disrupted, fragmented or slashed textile surface, as for example the canvas of the painting, can also be defined as a place for image’s self-recognition and transition of the genre’s limits, as in the already well established image formulas by Lucio Fontana, Alberto Burri or other modern practices dealing with image’s texture. The theoretical approach to the critically motivated conscious act of textile rupture and cutting up also introduces the issue of image’s vulnerable corporeality, which corresponds with the beholder’s bodily self-reflection. Such manifestation can therefore also be discussed as a dialectical approach to restore the lost aura of an image.

Self-reflection of decomposition

How can the common notion of decomposition be applied to the textile metaphors of the visual? The cut implies a textile disruption of an image as a forming principle and as such contributes to the negation of the textile surface as an image carrier. The possible focal questions in this context concern the creation of fragmentary cross-border forms of images that in terms of mechanical decomposition are meant to specifically disturb the traditional primacy of the canvas as a framed and consistent textile place of representation.

Textile interruptions

The conference's themes and topics will also include artistic practices that, in contrast to the above, accentuate or simulate the presence of the canvas insofar they play with its structured grating pattern, at the same time diminishing the power of image’s representational values. It is another kind of textile split, when from behind the painted surface being a place of pictorial corporeality of the layered paint, there appears a textured and interwoven inner flesh of the work and thus the image reveals itself as a painting. In this respect, such ‘anatomical’ procedures as visualization and simulation of textile interlacings within an image, or un/folding and unrolling of the area of depiction, which are meant to qualify or even dissolve the clothing level of mimesis are of special relevance in both theoretical and historical perspectives.

Summing up, the main question remains to what extent can the image’s textile split, being a mark of negation, fragmentation and heterogeneity, be considered in terms of a statement of its self-recognition? Does such a textile disruption of an image let it go beyond the principles of representation due to the indexicality and unrepeatability of this individual act? Does an image speak of itself as a tableau through its wounds, scars, stigmata and visceral disrobement?

Please send your proposal for a 20 minutes paper (max. 300 words) together with a short CV and list of publications to mateusz.kapustkaaccess.uzh.ch.

The deadline for the proposals is 1 March 2011.

Conference languages are German and English. The organizers will apply for funding as to cover travelling and lodging expenses.

Organization and contact:
Mateusz Kapustka PhD
mateusz.kapustkaaccess.uzh.ch

Quellennachweis:
CFP: Bild-Riss. Textile Öffnungen im ästhetischen Diskurs / The Image Split. Textile Openings in Aesthetic Discourse. In: ArtHist.net, 18.01.2011. Letzter Zugriff 26.04.2024. <https://arthist.net/archive/792>.

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