Vor-Bildlichkeit
Der Begriff des Vorbildes ist so vieldeutig, dass selbst ein direkter
Bildbezug noch zwei konträre Lesarten zulässt: Denn der Begriff weist
sowohl in die Zukunft als auch in die Vergangenheit der Gebrauchsweisen
eines Bildes. Ein im einfachen Sinne des Wortes vorbildliches Bild
lässt Orientierungen an und mit ihm zu, ermöglicht, wie eine Blaupause,
koordinierte Wiederholungen, oder imaginiert, wie eine gute
Entwurfszeichnung, Ausführungen und Anwendungen, auch wenn diese nicht
konkret erfolgen müssen. Trägt man aber in die Aussprache des
Vor-Bildlichen eine skeptische, nachfragende Langsamkeit ein, oder
trennt in seiner Aufzeichnung die Präposition vom Bildlichen, so
schlägt das hypothetisch Zukünftige in ein ebenso hypothetisch
Vergangenes um: das Vor-Bildliche bringt das Vorläufige, dem Bild
Voraus-Gehende zur Sprache und macht damit pauschal und undetailliert,
auf seine Konstitutionsgeschichte und deren unübersichtliche
Bedingungen aufmerksam.
Die Paradigmatik des Vorbildes ordnet sich üblicherweise einer
platonischen Dichotomie ein, die ein prototypisches Urbild von einem
ektypischen Ab- bzw. Nachbild unterscheidet. Diese noch von Kant
wiederholte Zweiteilung zwischen Archetypon und Ektypon wäre jedoch um
eine eigenständige dritte Option, die des Vorbildes, allererst zu
ergänzen. Sie lässt sich konturieren, wenn man die Konstitution des
Paradigmatischen auf der Ebene einzelner produktiver Bildpraktiken
diskutiert. Wie entstehen Vorbilder als Bilder? Wie partizipiert die
spezifische Qualität der Vorbildlichkeit eines Bildes an seinem
Entwurfsprozess? Erst mit diesen Fragen wird die Vergangenheit des
Vor-Bildlichen auch als seine Produktionsgeschichte annoncierbar.
Reproduktion nach einem verbindlichen Plan, einer bildtechnischen
Gepflogenheit, einer kunsthandwerklichen Fertigkeit oder einer
geometrischen Konstruktionsregel situiert. Dieses problematische Lage
zwischen Tradierung und Antizipation, lässt sich in diversen
Bildproduktionen wiederfinden und soll entsprechend an Bildbeispielen
aus Alltag und Kultur, Wissenschaft, Technik und Kunst exemplarisch
diskutiert werden.
Programm
Donnerstag, 8. Dezember 2011
17.30 – 17.45
Begrüssung: Ralph Ubl
17.45 – 18.15
Einleitung: Toni Hildebrandt, Ulrich Richtmeyer
18.15 – 19.30
Werner Busch: Über die Entfernung der
Vorzeichnung vom fertigen Bild
Freitag, 9. Dezember 2011
09.30 – 10.30
Thomas Macho: Im Zeitalter des Vorbildes: Zur Wiederkehr des
Platonismus
10.30 – 11.30
Susanne Regener: Produktionsprozesse von
Fotografien-wider-Willen
11.30 – 12.00 Pause
12.00 – 13.00
Stefan Römer: Zwischen Tableau und Screen - Wiederholungs-Interesse in
konzeptueller Fotografie und Film
13.00 – 14.30 Pause
14.30 – 15.30
Sean Keller: Drafting Dodgers: Architecture after Drawing
15.30 – 16.30
Franziska Uhlig: Graustufen. Übergänge
zwischen Übung und Werkzeug
16.30 – 17.00 Pause
17.00 – 18.00
Michael Renner: Entwurfsprozesse und ihr
Verhältnis zur Vorbildlichkeit
18.00 – 19.00
Dieter Mersch: Malewitsch, Florenskij, Hegel
Samstag, 10. Dezember 2011
10.00 – 11.00
Barbara Wittmann: Zeichnen im Bild.
Mikroskopische Präparate und ihre Abbilder
11.00 – 12.00
Wladimir Velminski: Antizipation durch Indeterminanz -
vom Patentieren der Kirilian-Fotografie
12.00 – 12.15 Pause
12.15 – 13.15
Gunter Gebauer: Gefangen von einem Bild
13.15 – 13.30 Abschlussdiskussion
Quellennachweis:
CONF: Vor-Bildlichkeit (Basel, 8-10 Dec 11). In: ArtHist.net, 30.11.2011. Letzter Zugriff 26.04.2024. <https://arthist.net/archive/2344>.