Q 23.02.2016

Abbildungsverbote

Prof. Dr. Wolfgang Ullrich

Seit einigen Jahren erlebe ich immer wieder, dass Künstler oder ihre Rechtevertreter Werkabbildungen in kunstwissenschaftlichen Publikationen untersagen. Mittlerweile scheint es sich dabei aber nicht mehr um Einzelfälle zu handeln; vielmehr entdecken mehr und mehr Künstler, dass sich das Urheberrecht dazu nutzen lässt, Einfluss auf Texte zu nehmen. Sie versuchen auf diese Weise zu kontrollieren, wie über sie geschrieben und was über sie publiziert wird. War es früher die Ausnahme, den Text vorlegen zu müssen, bevor über eine Abbildungsgenehmigung entschieden wird, ist dies mittlerweile fast schon die Regel – außer bei der VG BildKunst, von der sich jedoch gerade zahlreiche besonders erfolgreiche Künstler nicht (mehr) vertreten lassen.

Aus Sicht der Künstler ist das Kontrollverhalten naheliegend. So endet ihre Tätigkeit nicht mit dem Signieren eines Werks, sondern setzt sich, gerade wenn sie professionell agieren, in Formen der Postproduktion fort, die vor allem dazu dient, das eigene Image und die Stellung im Kunstbetrieb zu verbessern. Für Künstler ist also die Art und Weise, wie sie z.B. in Interviews über sich und ihre Arbeit sprechen, das nachträgliche Transparentmachen ihrer Werkprozesse oder die wechselnde Kontextualisierung ihrer Werke bedeutsam für ihr Ansehen und ihren Marktwert.

Aus der Sicht von Wissenschaftlern, Theoretikern und unabhängigen Autoren ist dieses Verhalten jedoch verhängnisvoll. Schlimmstenfalls kann die Verweigerung einer Reproduktionsgenehmigung eine Publikation verhindern, sind Abbildungen doch eventuell unverzichtbar für die Verifikation eines Arguments. Auf jeden Fall aber beeinflusst es den Diskurs über Kunst erheblich. Es führt dazu, dass Kunstkritik, Kunstwissenschaft und Kunsttheorie – also genau die vom Kunstmarkt unabhängigen Gattungen – entweder auch zu willfährigen PR-Organen der Künstler, Galeristen und Sammler werden oder aufgrund der gegen sie betriebenen Sanktionspolitik zu verkümmern drohen.

An mir selbst kann ich beobachten, dass die um sich greifenden Kontrollversuche von Künstlern bereits Wirkung zeigen, ich also gerade dann, wenn eine Konfrontation drohen könnte, lieber um sie herum schreibe. Je häufiger es zu solchen Einflussnahmen kommt, desto stärker ist der Diskurs über Kunst insgesamt gefährdet – und desto dringender müssen Autorinnen und Autoren Strategien im Umgang mit diesem Problem entwickeln.

Im übrigen glaube ich nicht, dass Reproduktionen verweigert werden, weil Künstler oder ihre Rechtevertreter Angst vor Kritik haben. Eher könnte man darin eine ‚déformation professionelle‘ erkennen: Gerade auf dem Markt erfolgreiche Künstler sind es heutzutage gewohnt, dass über sie in Ausstellungskatalogen, Galerietexten und vielleicht sogar Auktionskatalogen geschrieben wird. In all diesen Fällen dienen die Texte eindeutig der Würdigung und Wertsteigerung der Künstler, in den meisten Fällen können diese auch selbstverständlich Einfluss auf die Auswahl der Autoren und die Textinhalte nehmen. So verlieren sie aus dem Blick, dass es genauso Texte jenseits von Publikationen mit Werbecharakter gibt, es also vorkommen kann, dass jemand in freiem wissenschaftlichem Interesse tätig wird, sich eben deshalb die Inhalte aber nicht vorschreiben lassen will.

Selbst manche Künstler, die sich von der VG BildKunst vertreten lassen, geben Bedingungen vor, die für die Kunstwissenschaft nachteilige Folgen zeitigt. So schreibt z.B. Andreas Gursky mittlerweile vor, dass Abbildungen seiner Werke in Farbe reproduziert werden. Da es einen Eingriff in die Unversehrtheit der Werke darstellt, wenn mit den Farben eine ihrer Dimensionen verloren geht, lässt sich diese Entscheidung auch rechtfertigen. Da jedoch nicht zugleich vorgeschrieben wird, wie groß Reproduktionen mindestens sein müssen, die Überformate aber genauso ein wichtiger Aspekt von Gurskys Werk sind wie die Farben, darf spekuliert werden, ob die Entscheidung nicht doch noch andere Gründe hat als nur die Abbildungsqualität. So können sich Farbabbildungen fast nur Auktionshäuser, Galerien und Ausstellungshäuser mit Sponsorengeldern leisten. Für Doktorarbeiten, wissenschaftliche Sammelbände, Bücher unabhängiger Autoren unabhängiger Verlage hingegen sind Farbabbildungen wegen der (erheblichen) zusätzlichen Druckkosten nicht bezahlbar. Das aber heißt, dass fast nur noch Texte über Gursky erscheinen werden, die einseitig von Wertschöpfungsinteressen geprägt sind und auf die der Künstler zudem Einfluss nehmen kann. Umgekehrt werden analytisch-kritische Texte, die sich mit der Ikonografie oder den Sujets des Künstlers befassen und die deshalb auf Abbildungen als Grundlage und Verifizierung einer Argumentation angewiesen sind, oft sogar unpublizierbar. Das Verbot von Schwarz-Weiß-Reproduktionen führt so zu einer Monokultur des Diskurses, genauer: begünstigt die Monotonie schmeichelnder Lobrede.

Mir scheint es nun angebracht, einen Überblick zu bekommen, wer schon alles von solchen Reproduktionsverboten betroffen war. Es geht darum, die Fälle zu sammeln und vielleicht auch öffentlich zu machen, um die Probleme, vor denen die Kunstwissenschaft deshalb zunehmend steht, besser diskutieren zu können.

Wer Erfahrungen mitteilen will, melde sich bitte bei mir unter ullrichideenfreiheit.de

(Ich selbst habe Verbote, die mir widerfahren sind, bereits dokumentiert – nachzulesen hier: https://ideenfreiheit.wordpress.com/2016/01/27/stellungnahme-zu-siegerkunst/)

Prof. Dr. Wolfgang Ullrich (Leipzig/München)

Quellennachweis:
Q: Abbildungsverbote. In: ArtHist.net, 23.02.2016. Letzter Zugriff 16.04.2024. <https://arthist.net/archive/12261>.

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