CFP 05.09.2015

Visuality & Abstraction (Hamburg, 5-6 Feb 16)

Hochschule für Bildende Künste (HFBK), Hamburg, 05.–06.02.2016
Eingabeschluss : 11.10.2015

Peter Müller

[English version below]

Visualität und Abstraktion
Über die Effekte von Abstraktionen im Feld des Sichtbaren

CFP:
Symposium des künstlerisch-wissenschaftlichen Graduiertenkollegs „Ästhetiken des Virtuellen“ an der Hochschule für bildende Künste Hamburg, 5. und 6. Februar 2016.

Wissenschaft und Technik würden sich im digitalen Zeitalter mehr mit dem Möglichen als mit dem Wirklichen befassen, so der Medien- und Wissenschaftsphilosoph Michel Serres. Dem entspricht, dass sich das Analytische und das Synthetische unter den Bedingungen der elektronischen Medien nicht mehr klar voneinander abgegrenzt gegenüberstehen. In digitalen Verfahren gehen aus Untersuchungen je eigenständige visuelle Manifestationen hervor, die, vergleichbar den Resultaten analoger Bildgebungsverfahren, den Status eines Einzelbildes beanspruchen. Der kritisch-analytische Prozess, z.B. auch im Hacken oder im Neukonfigurieren, ist dann an der Verlinkung der Bilder abzulesen oder kann ihrer Kombination eingeschrieben sein. Eben das Prozessieren und Konstellieren, mithin spezifische Arten und Weisen der Umwandlung von Daten in visuelle Information und von Information in Bildwissen, will das Symposium im Sinn eines Potenzials näher spezifizieren. Es zielt auf Aktualisierungen der gegenwärtigen und historischen Visualitäten, Sehkonventionen und Bildwelten in ästhetisch, kulturell und gesellschaftlich zukunftsweisenden Versionen.

In welchem Verhältnis also stehen solche ‚abstrakten Formationen’ zwischen Analyse und Synthese, Simulacrum und Simulation zu dem, was nach wie vor Wirklichkeit genannt wird und sich keineswegs ausschließlich, wohl aber wesentlich auf dem Feld der Sichtbarkeit konstituiert? Schon die mediale Revolution der Fotografie hatte es notwendig gemacht, die triviale Opposition von Unsichtbarkeit und Sichtbarkeit in die Perspektive einer „visuellen Überschreitung“ (Didi-Huberman) zu überführen und eine „blinde Taktik“ (Rheinberger) im (wissenschaftlichen) Experiment zu erkennen. Sprechen wir von Dispositiven des Sehens, mithin vom machtvollen Zuschnitt des (An-)Geschauten bereits in seiner Wahrnehmung wie ebenso in seiner Veranschaulichung, so wird deutlich, dass Sehen niemals natürlich oder realistisch, sondern immer ebenso epistemisch wie spekulativ und illusorisch ist und dass Transparenz und Opazität keine Opposition bilden, sondern sich gleichsam überblenden.

Wie sind solche Überlegungen im Blick auf Visualisierungen virtu-ästhetischer Art zu modifizieren und zu konkretisieren, um die Rolle der traditionellen wie der jüngsten optischen Medien für die visuelle Kultur – hier von bildlich-grafischen Materialisierungen der Kunst über solche der Wissenschaft zu denen der Technik spannend – zu befragen? Besondere Aufmerksamkeit richtet sich dabei auf ihre gesellschaftliche Funktion vor allem in der Normierung von Körpern wie der Kolonialisierung von Territorien, wobei Körper und Territorien struktural analog verstanden werden. Entgegen einer Vorstellung von optischen Apparaten und ihrer Vernetzung mit dem humanphysiologischen Sehen als Enthüllungstechniken, die ein Mehr an Wissen produzieren, muss das Gesichtete als komplexe Konstruktion begriffen werden. Es gilt, der Sichtbarmachung die mögliche Funktion des Identifizierens zu entziehen und die Bedeutung aus der ‚Darstellung an sich’ zu exteriorisieren, um ein Sichtbarkeitsregime in ‚Technologien des Virtuellen’ zu verwandeln.

Im Fokus des Symposiums steht die Befragung entsprechender Blick- und Sichtbarkeitsregime und von nicht-menschlichem Sehen im Verhältnis zu Abstraktion, Subjekten und Körpern. Sie zieht sich durch die folgenden drei Themenschwerpunkte:

1. Daten sehen
Heute beherrschen Techniken wie Eye-Tracking, Gesichtserkennungssoftware, MRT oder Inceptionism den Alltag. Es scheint als ob sie uns eine Art des mit der menschlichen Wahrnehmung vernetzten oder gar an seine Stelle gesetzten Maschinensehens lehrten, dessen Bilder auf Metadaten und Algorithmen basieren. In diesem kybernetischen Terrain fallen visuelle Elemente und Codes zusammen: Die digitalen Bilder erfordern eine spezifische Semiose. Welche Politiken der Erscheinung jenseits von Repräsentation sind unter den Vorzeichen des ‚kognitiven Kapitalismus’ auszumachen und welche gesellschaftlichen und kulturellen Konsequenzen haben sie? Wie verhalten sich solche Abstraktionen und die materiell-sinnliche Welt zueinander? Welche neuen Bildpolitiken entstehen mit dem Maschinensehen? Was ist ihr Unbewusstes, und wie können die technologischen Bedingungen sichtbar und damit reflektierbar gemacht werden?

2. Karten schreiben
Der zweite Teil des Symposiums fragt nach Modalitäten diagrammatischer Darstellungen, mit einem besonderen Augenmerk auf Kartografien generell und auf die Ikonografie von Karten insbesondere. Er nimmt Methoden der Erhebung, Inszenierung und Rezeption von visuellen Daten in den Blick. Datenvisualisierungen können zur Affirmation und Weiterführung eines hegemonialen Modells von Wissen, Kultur und Gesellschaft beitragen, welches sich durch Standardisierung, Normierung und Berechenbarkeit auszeichnet. Doch wie genau fungieren die digitalen Datensätze als politisch machtvolle Instrumente? Welche anderen Beschreibungsmodalitäten zur historisch effektiven, stereotypen Aufteilung der Welt, von Körpern und Geschlechtern stellt das Digitale andererseits zur Verfügung, und was leisten Alternativmappings? Auf welche Weise werden BürgerInnensubjekte und Nation, Staatszugehörigkeit und Territorien über mediale Visualisierungen organisiert? Was bedeutet es für das Bild des Körpers, dass Nano- und Biotechnologien in ihn eindringen, und welche medialen Abstraktionen haben den organischen Körper abgelöst?

3. Muster lesen
Im postkolonialen und (queer-)feministischen Kontext und dort wiederum ausgeprägt im popkulturellen Produktionszusammenhang wird die soziokulturelle Figur der Mimikry als eine dargelegt, die über eine ästhetische Aneignung und Anähnlichung die Idee des Originals herausfordert, indem sie sich dessen prominente Sichtbarkeit zu Nutze macht. Die hierarchische Relation zwischen Gesehenem und Nichtgesehenem, Wahrgenommenem und Nichtanerkanntem wird sich in dieser Figur der Nachahmung selbst gewahr, und die je Marginalisierten reklamieren Sichtbarkeit über die Performanz einer abweichenden Kopie: Auf welche Weise entwerfen die Wiederverwendung von optischen Rastern wie das Reenactment von geläufigen Verhaltensmustern gesellschaftliche und kulturelle Alternativen? Oder anders: Welche medialen Ästhetiken produzieren Verdunkelung, Veruneindeutigung und Diffusion in Opposition zur auf Transparenz angelegten Definierbar-, Verfügbar- und Durchschaubarkeit von Subjekten und Räumen? Wie lässt sich den Abstraktionen begegnen, die dem Diktat der Sichtbarkeit eingeschrieben sind, ganz besonders wenn Identität vor dem Hintergrund heteronormativen Weißseins begriffen werden muss?

Wissenschaftler_innen und Künstler_innen sind eingeladen, Präsentationen laufender und abgeschlossener wissenschaftlicher und künstlerischer Vorhaben einzureichen. Geplant sind Präsentationen von jeweils 30 Minuten Länge mit anschließenden gemeinsamen Diskussionsrunden innerhalb eines Themen-Blocks. Ein Ausstellungsraum sowie Mittel zur Installation von Arbeiten stehen zur Verfügung.

Eine Bewerbung soll ein Exposee von max. 3000 Zeichen inkl. Leerzeichen und einen Lebenslauf sowie gegebenenfalls ein Portfolio beinhalten.

Ein Honorar wird gezahlt; Unterkunft und Reisekosten werden erstattet.
Tagungssprachen sind Englisch und Deutsch.

Eine Bewerbung – zusammengefügt in einem PDF – wird bis zum 11. Oktober 2015 erbeten an: peter.muellerhfbk-hamburg.de

Eingabeschluss: 11. Oktober 2015; Über geeignete Beiträge erfolgt bis zum 6. November 2015 eine persönliche Benachrichtigung.

Kontakt:
Peter Müller
Hochschule für bildende Künste
Lerchenfeld 2
22081 Hamburg
tel +49 (0)40 – 428989 - 374
peter.muellerhfbk-hamburg.de
www.hfbk-hamburg.de
Visuality and Abstraction
On the Effects of Abstraction in the Field of Vision

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CFP:
Visuality and Abstraction
On the Effects of Abstraction in the Field of Vision

Symposium of the postgraduate programme Aesthetics of the Virtual
at the Hochschule für bildende Künste Hamburg, 5th and 6th February 2016.

According to the media epistemologist and philosopher Michel Serres, in the digital age, science and technology will concern themselves more with the possible than with the actual. It follows that, under the conditions that prevail in the electronic media, there is no longer a clear distinction between analysis and synthesis. In the digital process, investigations produce visual manifestations that are, each one of them, autonomous. They are comparable with the results of the analogue imaging process; each may possibly claim to the status of an individual image. The critical/analytical process – also expressed, for instance, in hacking or in reconfiguring – is, then, readable in the interlinking of the images, or can be inscribed into their combination. It is the matter of processing and combining, and therefore of specific varieties and manners of transforming data into visual information and information into visual knowledge, that the symposium seeks to define more specifically, in terms of a potential. The aim is to actualise current and historical visualities, conventions of seeing and image worlds – in aesthetically, culturally and socially forward-looking, future oriented versions.

What is the relationship between ‘abstract formations’ of this kind, which are somewhere between analysis and synthesis, simulacrum and simulation, and that which we continue to call reality, which is significantly, although by no means exclusively, constituted in the field of visibility? Once, the media revolution of photography made it necessary to transfer the trivial opposition of invisibility and visibility into the perspective of a “visual excess” (Didi-Huberman), and to recognise a “blind tactics” (Rheinberger) in the (scientific) experiment. When we speak of dispositifs of seeing, and of their powerful cutting of what is looked at/viewed, first in perception and then in visualisation, it becomes clear that seeing is never natural or realistic, it is always epistemic, speculative and illusory. It is also clear that transparency and opacity are not opposites, but always are superimposed on one another.

How can these considerations be modified and made more concrete with an eye to visualisations of a virtual-aesthetic nature, in order to ask questions about the role of traditional and new optical media for visual culture – in this case, encompassing image and graphics material from the realms of art, science, and technology? Particular attention is to be paid to social function, primarily in the imposing of norms on human bodies and in the colonising of territories, with bodies and territories understood as structural analogues. Contrary to a notion of items of optical apparatus and their networking with human physiological vision as exposure techniques that produce a gain in terms of knowledge, ‘sightings’ must be understood as a complex construction. The idea is to withdraw making-visible from the possible function of identification, and to exteriorise meaning from ‘representation in itself’, in order to transform a visibility regime into ‘technologies of the virtual’.

The focus of the conference will be on asking questions about corresponding regimes of viewing and visuality, and about nonhuman sight in relationship to abstraction, subjects, and bodies. Following this, there are three thematic headings:

1. Seeing data
Today, techniques such as eye tracking, facial recognition software, MRI and inceptionism dominate the everyday world of today. It is as if they are teaching us a kind of machine seeing that interfaces with human perception, or even replaces it, whose images are based on metadata and algorithms. Visual elements and codes coincide in this cybernetic terrain: the digital images require a specific semiosis . What are the politics of appearance beyond representation that can be discerned under the banner of ‘cognitive capitalism’, and what are their social and cultural consequences? How do these abstractions relate to the material/sensory world? What are the new politics of imagery that are created by machine seeing? What is their unconscious, and how can technological conditions be made visible, so that they can be reflected?

2. Writing maps
The second part of the symposium will enquire into the modalities of diagrammatic representations, paying particular attention to cartographies in general and, in particular, to the iconography of maps. It looks at methods of surveying, presenting, and receiving visual data. Data visualisations can contribute to the affirmation and continuation of a hegemony model of knowledge, culture and society, which is characterised by standardisation, normalisation, and predictability. But how exactly do digital data sets function as politically powerful instruments? What other description modalities for the historically operating, stereotypical division of the world, of bodies and genders does ‘the digital’, on the other side, make available, and what is the function of alternative mappings? In what way are citizen subjects and nation, state affiliations and territories organised via media visualisations? What does the intrusion of nanotechnology and biotechnology mean for the body image, and what are the media abstractions that have replaced the organic body?

3. Reading patterns
In the postcolonial and queer/feminist context – also expressed in the domain of popular culture production – the sociocultural figure of mimicry is discussed as challenging the idea of the original through aesthetic appropriation and assimilation, by taking advantage of its, the original’s, prominent visibility. The hierarchical relationship between what is seen and what is not seen, what is noticed and what is not recognised, itself gains awareness in this figure of imitation, with the marginalised making a claim to visibility through the performing of a deviant copy: in what way does the free use of optical patterns and the re-enactment of familiar behaviour patterns generate social and cultural alternatives? Or, to put it another way: which media aesthetics produce darkening, loss of unambiguous meaning and diffusion, in opposition to the definability, availability and clarity of subjects and spaces, founded on transparency? How can one encounter the abstractions that are inscribed into the dictates of visibility, especially when identity must be understood against the background of heteronormative whiteness?

Academics and artists are invited to submit presentations of ongoing and concluded scientific and artistic projects. The plan is that the presentations will be 30 minutes each in length, followed by a shared round of discussion within the thematic block. An exhibition space and necessary items for installing artworks will be made available.

Your application should include a summary of max. 3000 characters including spaces, and a CV or artistic portfolio.

A fee will be paid, and your travel and accommodation expenses will be covered.
The conference languages are English and German.
You are requested to send an application – assembled as a PDF – to peter.muellerhfbk-hamburg.de by 11 October 2015.

Submission deadline: 11 October 2015; You will be personally informed about suitable submissions by 6 November 2015.

Contact:
Peter Müller
Hochschule für bildende Künste
Lerchenfeld 2?
22081 Hamburg
tel +49 (0)40 – 428989 - 374
peter.muellerhfbk-hamburg.de
www.hfbk-hamburg.de

Quellennachweis:
CFP: Visuality & Abstraction (Hamburg, 5-6 Feb 16). In: ArtHist.net, 05.09.2015. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/archive/10877>.

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