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Jenseits des disegno? Die Entstehung selbständiger Zeichnungen in Deutschland und Italien im 15. und 16. Jahrhundert
Der disegno steht schon seit einigen Jahrzehnten im Fokus der Forschung. Seine zentrale Rolle für die Kunst der italienischen Renaissance und für das System der Künste bis in die Moderne hinein lässt sich nicht bestreiten. Doch von ihm unabhängige künstlerische Entwicklungen entgleiten leicht unserer Aufmerksamkeit. Dies gilt besonders für die selbständigen Zeichnungen. So wurde kaum registriert, dass in Deutschland nach 1500 in großer Zahl selbständige Zeichnungen entstanden, diese aber in Italien eine Ausnahme blieben. Der gegenteilige Befund wäre zu erwarten, gab es doch in Italien eine hochentwickelte Zeichnungskultur: Die Künstler verfügten über distinkte Zeichnungsmedien und Zeichnungstypen. Zeichnungen wurden gesammelt, Hilfsmittel wie Kartons wurden öffentlich ausgestellt und im Falle Michelangelos zur „scuola del mondo“ erklärt. Doch wurden Zeichnungen fast ausschließlich innerhalb des Werkprozesses verortet und trotz aller Aufwertung des disegno als ein schlussendlich zweckgebundenes und werkvorbereitendes Medium verstanden.
Im deutschen Sprachraum existiert zur Zeit der Ausbreitung der selbständigen Zeichnungen dagegen keine nennenswerte Kunsttheorie, aber ein weit differenziertes Angebot an Druckgraphiken und vermutlich ein kleiner Markt für Zeichnungen. Diese Diskrepanz soll mit dieser Tagung erstmalig thematisiert werden. Damit ist nicht nur intendiert, einen schärferen Blick auf die Praxis der Zeichnung, ihre Rezipienten und ihr Verhältnis zur Druckgraphik zu werfen, sondern auch danach zu fragen, welche Rolle die Kunsttheorie tatsächlich spielte. Denn offensichtlich haben der Kult der Zeichnung und das Ideal des disegno in Italien nicht dazu geführt, dass sich auch dort die selbständige Zeichnung etablierte.
Wir freuen uns über Vorträge, die komparatistisch angelegt sind oder signifikante Einzelfälle untersuchen und sich u. a. mit folgenden Problemfeldern beschäftigen:
- Wie lassen sich Kriterien für die Unterscheidung von selbständigen und werkvorbereitenden Zeichnungen gewinnen? War eine solche Differenzierung für die Zeitgenossen relevant? Welche Rolle spielen hierbei Monogrammierungen und Datierungen durch die Künstler? Welche Faktoren begünstigten oder erschwerten den Prozess der Verselbständigung? Gibt es und warum regionale Sonderentwicklungen?
- In welchem medialen Umfeld lassen sich die selbständigen Zeichnungen verorten? In welcher Relation stehen sie zu Druckgraphik, Buchillustration und kleinformatigen Tafelgemälden? Gab es bevorzugte Medien der selbständigen Zeichnung, etwa die Helldunkelzeichnung oder das Aquarell, und was machte sie so geeignet?
- Welche materiellen und kulturellen Praktiken waren mit Zeichnungen verbunden und was lässt sich dadurch über ihren Status erkennen? Unter welchen Umständen wurden sie verschenkt, gerahmt, beschriftet, gesammelt, verkauft, eingeklebt, kopiert oder ausgestellt?
- Weisen selbständige Zeichnungen spezifische Motive, Kompositionsmuster, Zeichnungsstile oder narrative Strategien auf? Was für Rezeptionsangebote machen sie, wie interagieren sie mit den Adressaten?
Die Tagung findet mit freundlicher Unterstützung der Max-Planck-Gesellschaft vom 3.-5. März am Kunsthistorischen Institut in Florenz in Kooperation mit dem Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi statt. Vorschläge für einen Vortrag sollten nicht mehr als eine Seite umfassen und durch einen kurzen Lebenslauf sowie ggf. eine knappe Skizzierung des Forschungsrahmens ergänzt werden. Doktorand_innen und andere Forscher_innen am Anfang ihrer Karriere sind ausdrücklich eingeladen sich zu bewerben. Tagungssprachen sind Deutsch, Englisch und Italienisch. Kosten für Reise und Unterkunft der Referent_innen werden übernommen.
Konzeption: Daniela Bohde, LMU München/Goethe Universität Frankfurt und Alessandro Nova, Kunsthistorisches Institut Florenz, Max-Planck-Institut. Einsendungen sind bis zum 10. August erbeten an Daniela Bohde (bohdekunst.uni-frankfurt.de).
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Beyond disegno? The emergence of independent drawings in Germany and Italy in the 15th and 16th century
Florence, Kunsthistorisches Institut, Max-Planck-Institut: 3 – 5 March 2016
Deadline for submissions: 10.8.2015
Disegno has received great attention from art-historical scholarship for several decades now. Its significance for the art of the Italian Renaissance and for the system of the arts right up to the modern era is indisputable. But artistic developments outside the sphere of disegno easily escape our notice. This is particularly true of independent or finished drawings. Thus it was barely registered that independent drawings were produced in large numbers in Germany after 1500, but remained the exception in Italy. We would expect this situation to be the other way round, given the highly developed culture of drawing in Italy, where artists worked with distinct graphic media and types of drawing. Drawings were collected, and practical aids such as cartoons were exhibited in public and, in the case of Michelangelo, proclaimed the “scuola del mondo”. Yet drawings were situated almost exclusively within the working process and – despite the heightened appreciation of disegno – were understood as a preparatory medium that was ultimately just a means to an end.
In the German-speaking sphere, by contrast, no noteworthy theory of art prevailed at the point in time when independent drawings began to spread, but a market was already established for prints in a wide range of graphic techniques, and probably – on a smaller scale – for drawings, too. The conference proposes to address this discrepancy for the first time. The intention is thereby not only to take a keener look at the practice of drawing, its recipients and its relationship to print culture, but also to enquire what role art theory actually played. For it is evident that the cult of drawing and the ideal of disegno in Italy did not result in the independent drawing also establishing itself there.
We welcome papers that adopt a comparative approach or examine significant individual cases and which discuss inter alia the following problem areas:
- Along what paths can we arrive at criteria by which to differentiate between finished drawings and preparatory drawings? Was such a distinction relevant for their contemporaries? What role is played here by monogrammings and datings by the artists? What factors favoured or hindered the process whereby drawings became independent? Are there special regional developments, and if so, why?
- In what sort of media environment can finished drawings be situated? In what relation do they stand to printmaking, book illustration and small-format panel paintings? Were there preferred media for independent drawings, such as chiaroscuro drawing or watercolour, and what made such media appropriate?
- What material and cultural practices were associated with drawings and what can these tell us about their status? Under what circumstances were drawings presented as gifts, framed, inscribed, collected, sold, stuck into albums, copied or shown in public?
- Do independent drawings exhibit specific motifs, compositions, styles of drawing or narrative strategies? What kinds of reception do they invite and how do they interact with the addressee?
The conference, which is being organized with the kind support of the Max-Planck-Gesellschaft, will be held on 3–5 March 2016 at the Kunsthistorisches Institut in Florenz in cooperation with the Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi. Proposals for papers should not exceed one page in length and should be accompanied by a short CV. Doctoral students and other researchers at the beginning of their career are expressly encouraged to apply. The conference languages are German, English and Italian. Speakers will have their travel and accommodation costs paid.
Concept: Daniela Bohde, LMU Munich/Goethe University Frankfurt and Alessandro Nova, Kunsthistorisches Institut Florenz, Max-Planck-Institut. Please submit your proposals by 10 August to Daniela Bohde (bohdekunst.uni-frankfurt.de).
Quellennachweis:
CFP: Beyond disegno? (Florenz, 3-5 Mar 16). In: ArtHist.net, 03.07.2015. Letzter Zugriff 27.12.2024. <https://arthist.net/archive/10696>.