REV-CONF 05.02.2020

Der Wald in der Frühen Neuzeit zwischen Erfahrung und Erfindung

Institut für Kunstgeschichte, Universität Stuttgart, 14.–16.11.2019

Bericht von Fabian Mack, Universität Stuttgart
Redaktion: Philipp Zitzlsperger

[Tagungsbericht im Auftrag der Veranstalter]

Das Aussterben des Waldes und die damit einhergehende Ressourcenknappheit sind bestimmende Themen des politischen Diskurses der Gegenwart. In unserer hochtechnisierten und weit fortgeschrittenen Industriegesellschaft könnte man meinen, dass die folgenschwere Beeinträchtigung des Waldes durch die Einflüsse des Menschen ein ganz und gar modernes Problem darstellt. Vorindustrielle Utopien von einem unberührten und undurchdringlichen Wald, in welchem nur die Gesetze der Natur herrschen, erweisen sich jedoch schnell als romantisierte Visionen. Der Wald des ausgehenden Mittelalters war bereits vielfältigen Einflüssen des Menschen unterworfen: Die Nutzung der Ressource Holz im Bauwesen, die Bewirtschaftung des Waldes oder die politischen Ansprüche auf das Waldterritorium geben einen Eindruck von dieser Vielfältigkeit. Bauern, Geistliche, Fürsten, Baumeister, Juristen, Maler, Kartographen und einige mehr, die Liste derer, die im Alltag mit dem Wald zu tun hatten, ließe sich ausgiebig weiterführen. Sie alle prägten den Wald und hatten somit maßgeblichen Einfluss auf seine Darstellung. Hierbei sind jedoch nicht nur Malerei und Graphik zu nennen, auch Karten, Gärten, illuminierte Handschriften, gedruckte Traktate, literarische Texte oder Requisiten der Opernbühne erweisen sich als Medien, anhand derer sich ‚der Wald in der Frühen Neuzeit zwischen Erfahrung und Erfindung‘ abzeichnet.

Genau diese Phänomene standen im Fokus der gleichnamigen Tagung, die das Institut für Kunstgeschichte der Universität Stuttgart zwischen dem 14.11 und dem 16.11.2019 als interdisziplinären Workshop veranstaltete. Gefördert wurde die Tagung durch die Fritz Thyssen Stiftung, sowie durch das IZKT der Universität Stuttgart. Daniela Bohde, Rostislav Tumanov und Anna Christina Schütz waren für die Organisation des Workshops verantwortlich, in dem alltagshistorische Fragestellungen mit ästhetischen Beobachtungen und Analysen verbunden wurden. Die visuelle Wiedergabe des Waldes wurde unter dem Aspekt seiner jeweiligen Nutzung betrachtet. Bereiche der Kunst- und Rechtsgeschichte, der Gartenarchitektur, der Musik- und Literaturgeschichte oder der Kartographie wurden durch naturwissenschaftliche Einblicke ergänzt, was sich in dieser Konstellation noch als recht selten erwiesen hat. Die einzelnen Forschungsbeiträge gingen dem Leitgedanken nach, wie der damals reale Wald mit den konstruierten Wäldern des behandelten Quellenmaterials in Verbindung steht. Damit wird klar, dass sich die Vortragenden des Workshops auf eine mühsame Rekonstruktion einließen. Mühsam deshalb, da sich die Kontextualisierung der banal daherkommenden Darstellung von Bäumen und Wäldern als komplex entpuppt und jedes Medium, schriftlich oder bildlich, eine eigene ‚Sprache‘ des Waldes entwickelt hatte.

Hansjörg Küster (Leibniz Universität Hannover) gab im Eröffnungsvortrag einen Überblick über die Geschichte des Waldes. Thema dabei war die menschliche Prägung des Waldes. Dieser war Rohstofflieferant, Raum für Landwirtschaft oder stellte eine Landschaftsform dar, die in besonderem Maße durch Siedlungsstrukturen verändert wurde. Die Übernutzung führte schon im späten 14. Jahrhundert zu Aufforstungskampagnen. Eine erste Nachhaltigkeitspolitik verband Küster mit der Reformationszeit.

Ingrid Baumgärtner (Universität Kassel) analysierte den Baum in kartographischen Räumen von heilsgeschichtlichen Karten des Mittelalters (Ebstorfer Weltkarte), von Portolanen des späten 15. Jahrhunderts und von deutschen Regionalkarten des 17. Jahrhunderts und stellte fest, dass den Darstellungen des Baumes oder Waldes in den jeweiligen Kartenarten eine spezifische Codierung zugewiesen wurde.

Silvia Schmitt-Maaß (Universität Osnabrück) untersuchte die Darstellung des Waldes in den Codices der Bibliothek König Wenzels von Luxemburg. In seiner illuminierten Handschrift der Goldenen Bulle gebietet der König über den Wald, der durch Bewirtschaftung und Durchsetzung der Gesetze zu einem befriedeten Raum werden sollte. In ihm fanden Gesetzesbrecher wie Pfahlbürger oder abtrünnige Adelige einen Rückzugspunkt, sodass er als Ort der Gefahren identifiziert werden kann.

Sabine Holtz (Universität Stuttgart) führte den Workshop mit einer landesgeschichtlichen Perspektive des Waldes fort. Der Wald stellte für die Region um 1500 einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor dar, mit dessen Nutzung sich verschiedene Interessensgruppen (Landesfürsten, niederer Adel oder bäuerliche Kreise) auseinandersetzten. Besonders brisant erscheint in diesem Kontext, dass im frühen 16. Jahrhundert die mittelalterliche Waldnutzung (häufig durch Gewohnheitsrecht geregelt) mit neuzeitlichen Eigentumsrechten kollidierte.

Daniela Bohde setzte für die gleiche Zeitperiode einen kunsthistorischen Blickwinkel an, indem sie Landschaftsgraphiken Albrecht Altdorfers und Wolf Hubers untersuchte. Altdorfer, der meist als Vertreter des stimmungshaften Landschaftsbildes wahrgenommen wird, erschien in ihrem Vortrag als ein Künstler, der sich mit der Eisenverhüttung im Oberpfälzer Wald auseinandersetzte. Huber befreite seine Walddarstellungen von Figuren und kombinierte eine verblüffend genaue Topographie mit imaginierten Landschaftskonstruktionen in denen er graphische Mittel entwickelte, um auf dem Papier die Tiefe des Waldes zu evozieren. Die Frage nach der Funktion und der Rezeption solcher auf Nahsicht komponierter Graphiken konnte nur mit der Nennung von Rezipientengruppen beantwortet werden.

Die Akzentsetzung auf Landschaftsgraphik wurde von Anna Christina Schütz in ihrem Beitrag über die Darstellung von Nadelbäumen im 16. und 18. Jahrhundert fortgesetzt. Sie zeigte den kompositorischen Einsatz der Bäume als blicklenkendes Phänomen auf. Weiterhin stellte sie wieder ein formal-ästhetisches Interesse fest und verfolgte die Bedeutung von Nadelbäumen für die deutsche Forstwirtschaft bis ins 18. Jahrhundert. Sie kam zu dem Schluss kam, dass der Nadelbaum ausgerechnet in den arkadischen Landschaften des für die Holzversorgung Zürichs tätigen Salomon Gessners keinen Platz mehr hatte.

Die Literaturwissenschaftlerin Klara Schubenz (Universitätsmedizin Mainz) konzentrierte sich auf Waldtexte des 17. und 18. Jahrhunderts. Der Vortrag demonstrierte, dass man bereits in aufklärerischen Forsttraktaten ein schwärmerisch-romantisiertes Bild von Wald entwickelte. Hierbei spielten sogenannte Anthropomorphisierungen eine entscheidende Rolle. Exemplarisch wurde dabei die 1713 erschienene „Sylvicultura oeconomica“ des Hans Carl von Carlowitz herangezogen. Dieses rational angelegte Traktat über den Wald und seine Bewirtschaftung besitzt ein auffallend irrationales Kapitel, das von Anfang an eine poetische Forstsprache aufweist.

Den musikhistorischen Zugang zum Wald eröffnete Helena Langewitz (Basel) am Beispiel der Schwetzinger Opernbühne des 18. Jahrhunderts. Zu den Grundausstattungen des Waldes im Bereich der Bühnenkulissen gehörten Versatzstücke wie Bäume, Büsche, Wildtiere, Quellen, Felsen oder Höhlen, die illusorisch vereint wurden. In den aufgeführten Stücken konnte der Wald als locus amoenus oder als locus horribilis gedeutet werden. Darüber hinaus wohnte dem Wald ein antikisch-sakraler Charakter inne. Wesentlich war die Divergenz zwischen dem theatralischen Wald der Oper und dem realen Bestand des kurfürstlichen Waldes, der sich durch die damalige Forstpolitik in der Pfalz extrem verringerte.

Sigrid Ruby (Justus-Liebig-Universität Gießen) beschäftigte sich mit der Rolle des Waldes in den „Commentaires de la guerre gallique“, einer Prunkhandschrift für Franz I. von Frankreich, entstanden zwischen 1519 und 1520. Wesentlicher Anstoß zur visuellen Darstellung des Waldes ist die Begegnung von Franz I. als erneuerter Caesar mit dem historischen Gaius Julius Caesar in den Wäldern von Saint-Germain-en-Laye oder Fontainebleau, die dem König als tatsächliche Orte der Jagd dienten. Der Wald erhielt in diesen Buchmalereien nicht nur als Ort der Jagd Bildwürdigkeit, sondern war auch ästhetischer Ermöglicher für die fantastische Zusammenkunft der beiden Regenten aus verschiedenen Zeitaltern.

Astrid Zenkert (Universität Stuttgart) verlagerte den Fokus auf die Gartenarchitektur der Frühen Neuzeit am Beispiel der sogenannten Boschetti, verkleinerten Schauwäldern, die als Binnenzone im Gartenkomplex angelegt wurden. Bäume und Wälder in Zusammenhang mit Staffagebauten, Wasserorgeln oder metamorphischen Skulpturen bilden hier eine kreative Ressource im Garten, die von spielerischen Umherwandlungen und der Imaginationskraft der Rezipienten gespeist werden und sich so zu lustvollen oder schrecklichen Erfahrungsräumen transformieren.

Der Vortrag von Anette Baumann (Justus-Liebig-Universität Gießen) über Augenscheinkarten des Reichskammergerichts im 16. Jahrhundert stellte anhand dieser sehr spezifischen Bildgattung Visualisierungen von juristischen Auseinandersetzungen in Forstgebieten vor. Die mithilfe eines dazugehörigen Protokolls zu lesenden Karten ermöglichten den Richtern am Reichskammergericht die innere ‚Durchwanderung‘ des strittigen Gebiets. Die Karten sind eine wenig bekannte Quelle für die Funktion von Bildern ‚Wahrheit‘ zu bezeugen. Hierbei wurde häufig auf dem Gebiet der Landschaftsdarstellung eine innovative Lösung gefunden.

Das Thema Augenzeugenschaft setzte Nils Büttner (Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart) ‚im Wald und um ihn herum‘ fort. Beim besagten Wald handelte es sich um den Sonienwald südöstlich von Brüssel, der bis in die frühe Neuzeit von menschlicher Nutzung nahezu unberührt blieb und aufgrund herrschaftlicher Besitzverhältnisse nicht betreten werden durfte. Es entstanden topographische Ansichten insbesondere der Grenzen des Waldes, die als landschaftliche Versatzstücke in verschiedenen Bildmedien rezipiert wurden.

Der inspirierende Workshop beleuchtete so gleichermaßen den Wald als die entscheidende Rohstoffressource des Holzeitalters wie als Ressource der Imagination in der Frühen Neuzeit. Diese Imaginationen sind nicht abzulösen von der realgeschichtlichen Nutzung des Waldes. Realer, wie imaginierter Wald muss in allen hier behandelten Zeiten als Fundus physischer, kreativer oder kognitiver Art betrachtet werden. Die moderne Landschaftsästhetik erweist sich dabei nur als Resultat bzw. Teilgebiet dieser Ressourcen.

Empfohlene Zitation:
Fabian Mack: [Tagungsbericht zu:] Der Wald in der Frühen Neuzeit zwischen Erfahrung und Erfindung (Institut für Kunstgeschichte, Universität Stuttgart, 14.–16.11.2019). In: ArtHist.net, 05.02.2020. Letzter Zugriff 28.03.2024. <https://arthist.net/reviews/22542>.

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