REV 16.08.2002

Hubert Jedin (Hg.): Handbuch der Kirchengeschichte

Rezensiert von Christoph Markschies

Bei dem "Handbuch der Kirchengeschichte", das nun nicht nur in zwei Paperback-Ausgaben des Verlages (1985 bzw. 1999), sondern auch in der hier anzuzeigenden digitalisierten Form vorliegt, handelt es sich um einen der Klassiker der Disziplin. Mindestens im katholischen Bereich ist seither kein vergleichbares Werk erschienen - die auf vierzehn Baende geplante "Geschichte des Christentums", die seit 1991 im Verlag Herder erscheint und nahezu abgeschlossen ist, stellt eine je nach Band mehr oder weniger bearbeitete Uebersetzung eines franzoesischen Werkes dar, das mit dem alten deutschen Opus schon aufgrund eines durchgaengigen Interesses an sozial- und mentalitaetsgeschichtlichen Fragestellungen kaum mehr etwas gemeinsam hat.

Die Charakterisierung des Handbuchs der Kirchengeschichte als "Klassiker" impliziert zunaechst ein gewisses Alter: 1962 begann das Werk zu erscheinen, das vor allem die damaligen Bonner katholischen Kirchenhistoriker Theodor Klauser (1894-1984) und Hubert Jedin (1900-1980) konzipiert hatten, und wurde 1979 mit siebenten Band abgeschlossen. Mit dem Stichwort "Klassiker" ist allerdings auch impliziert, dass Methode und Ergebnisse einen veralteten Stand widerspiegeln. Den methodologischen Standort des ganzen Werkes ebenso wie der meisten seiner Autoren beschreibt ausfuehrlicher Hubert Jedins Einleitung im ersten Band (Bd. I, S. 17-55) und knapper die Formulierung im letzten Band: "Alle Mitarbeiter jedoch waren sich einig im Glauben an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche, einig auch in der Ueberzeugung, dass Kirchengeschichte, auch kirchliche Zeitgeschichte, der historischen Methode zu folgen hat" (Bd. VII, S. VIf.). In einer knappen Vorbemerkung zum vierten Band beschreibt der Bandherausgeber Erwin Iserloh (1915-1996) nochmals ausdruecklich, dass "hier doch keine oekumenische Kirchengeschichte geboten werden" sollte, "sondern eine Geschichte der Kirche in katholischer Sicht" (Bd. IV, S. XI). Entsprechend wird, obwohl Iserloh aus souveraener Quellenkenntnis schreibt und sich bemueht, die seinerzeitige Forschungslage sensibel nachzuzeichnen, beispielsweise der "von der Wurzel" her "subjektivistisch" angelegte Martin Luther (S. 23) und andere Vertreter der "Reformation" einer "katholischen Reform" ganz anderer, naemlich objektiverer Praegung gegenuebergestellt.

Die vom heutigen Forschungsstand her gesehen erheblichen inhaltlichen Probleme des Handbuchs werden bereits am ersten Band deutlich; die ausfuehrlichen Literaturnachtraege fuer die Paperback-Edition von 1985, die die digitalisierte Fassung uebernimmt, haben diese Maengel nicht beheben koennen: Der 1994 verstorbene Bonner Kirchenhistoriker Karl Baus laesst das Christentum vor dem Hintergrund des Verfalls der "altgriechischen" und "altroemischen" Religion auftreten (S. 103- 115), aus dem Osten eingedrungene Formen wie die Mysterienkulte (bezeichnenderweise fehlt ein Hinweis auf Eleusis) beeindrucken nur wenige Menschen, "die grosse Masse des Volkes wandte sich daher den niedrigen Bezirken des Aberglaubens zu" (S. 112).

Auch die Geschichte des Christentums fuehrt pfeilgerade auf die entfaltete Reichskirche des vierten Jahrhunderts zu: Die Briefe des Bischofs Ignatius von Antiochien zeigen, dass in der Metropole schon "im 2. Jahrzehnt des 2. Jh. der monarchische Episkopat" existiert (S. 175), der Opfercharakter der Eucharistie ist auch bei Justin vorausgesetzt, obwohl dieser ihn mit keinem Wort erwaehnt (S. 321). Baus schoepft vor allem aus den Werken der gebildeten Theologen, Inschriften, Papyri und vergleichbare Quellen beruecksichtigt er kaum, selbst dort, wo er ueber die Froemmigkeit in den Gemeinden schreibt.

Man koennte diese Aufzaehlung veralteter Sichtweisen fortsetzen, das waere freilich ungerecht, da es vor allem Schueler von Karl Baus und deren Schueler waren, die unser Bild von der Entwicklung christlicher Froemmigkeit wie kirchlicher Institutionen tiefgreifend veraendert haben. Von all dem kann man natuerlich in den Baenden nichts lesen. Haette man das Werk also ueberhaupt ohne Ergaenzungen nachdrucken bzw. digitalisieren sollen? Fuer eine positive Antwort koennte man zwei Argumente anfuehren.

Zum einen gilt die eben entfaltete Maengeldiagnose natuerlich nicht fuer alle Partien des Werkes gleichermassen: Was beispielsweise im letzten Band ueber die Geschichte des Kirchenrechtes und der Konkordate im zwanzigsten Jahrhundert geschrieben wurde (Georg May), ist trotz aller seitherigen Veraenderungen - immerhin erschien 1983 ein neuer Codex Iuris Canonici - nach wie vor lesenswert. Zum anderen erlaubt die Digitalisierung einen anderen Umgang mit dem Werk: 18 Seiten Register erschliessen beispielsweise den ersten Band der Druckausgabe, aber es war bisher nicht moeglich, gezielt nach einzelnen Autoren oder Stellen zu suchen. Das ist ueber die einfache Suchfunktion ebenso leicht moeglich wie die Uebernahme von bibliographischen Angaben aus dem Werk in eigene Dateien ohne Probleme gelingt.

Zur technischen Realisierung von Digitalisierungen im Rahmen der "Digitalen Bibliothek" ist in H-Soz-u-Kult schon mehrfach Stellung genommen worden; vgl. hierzu beispielsweise die recht ausfuehrliche Rezension von Fotis Jannidis in H-Soz-u-Kult: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensio/digital/cdrom/datenban/jafo0799.htm. Man kann mit der Suchfunktion alle sieben Baende durchsehen, leicht von der Bildschirmzaehlung auf die Buchzaehlung umschalten und alle Passagen leicht in eigene Dateien kopieren, auch der Druck ist einfach moeglich. Eine besondere Haeufung von Fehlern, die gewoehnlich beim Einscannen von Texten auftreten, ist dem Rezensenten nicht aufgefallen. Mit den genannten Einschraenkungen kann die CD-ROM also kundigen Benutzern durchaus empfohlen werden.

Jedin, Hubert (Hrsg.): Handbuch der Kirchengeschichte, Berlin: Directmedia Publishing 2000
ISBN-10: 3-89853-135-X, 1 CD-ROM, EUR 50,62

Empfohlene Zitation:
Christoph Markschies: [Rezension zu:] Jedin, Hubert (Hrsg.): Handbuch der Kirchengeschichte, Berlin 2000. In: ArtHist.net, 16.08.2002. Letzter Zugriff 25.04.2024. <https://arthist.net/reviews/201>.

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