ANN 31.10.2022

Andere Ideen von Afrika/Other Ideas of Africa (Essen, 2 Nov 22-25 Jan 23)

Universität Duisburg-Essen, Institut für Kunst und Kunstwissenschaft, mittwochs 16-18.00 Uhr, Hörsaal R11 T00 D01, 02.11.2022–25.01.2023

Gabriele Genge

Transdisziplinäre Ringvorlesung: Andere Ideen von Afrika: Konzepte von Bild, Wissen und Denken/ Other Ideas of Africa: Concepts of Image, Knowledge and Thought.

Die Vorlesungsreihe soll eine erneuerte Beschäftigung mit historischen und aktuellen Positionen afrikanischer Philosophie und deren Verankerung in einer gegenwärtigen Geschichte des Denkens erbringen, die mit Beiträgen zum Konzept des Bildes auch die besondere Relevanz ästhetischer und kunstwissenschaftlicher Positionen aufgreift.
Mit Valentin-Yves Mudimbe’s Publikation The Idea of Africa (1994) rückte eine erste diskursive und aus der Kolonialismus- und Rassismuskritik entstandene Auseinandersetzung mit dem Wissen und Denken über Afrika in den Fokus. Sie verstand sich als methodische Dekonstruktion eines westlichen Afrikadiskurses in Ethnologie, theologischen Schriften von Missionaren und Rekursen auf antike Denktraditionen. Derzeit etabliert sich eine (post-)koloniale Neubestimmung „afrikanischer Philosophie“, deren transdisziplinäre Ausrichtung und lokale bzw. globale Relevanz mit der Ringvorlesung in den Blick genommen werden soll. Die Traditionen dieser im kolonialen Diskurs verankerten Begriffsbestimmung liegen bei Placide Tempels‘ umstrittener Beschreibung der sogenannten „Philosophie bantou“ (1948). Der Missionar und Franziskanerpater hatte eine eigene systematische Denktradition in Afrika geltend gemacht, die aus der Mündlichkeit entwickelt wurde und mit animistischen Grenzphänomenen einer „force vitale“ operiert. Tempels erhielt umfangreiche Würdigung, ua. auch aus dem Kreis der Negritude, da er die hegelianische Exklusion Afrikas aus der Philosophie aufhob. Zugleich wurden seine Konzepte aber auch als kulturelle Essentialisierung „primitiven Denkens" bzw. als koloniale „Ethnophilosophie“ kritisiert (ua. Paulin Hountondji).
In aktuellen philosophischen Ansätzen konkretisieren sich Auswege aus dieser kolonialen Festlegung – auch im Rückgriff auf Mudimbe’s weitverzweigte Wissensarchive. Sie suchen plurale, dynamische Auseinandersetzungen mit Konzepten des Denkens in Afrika. Hier liefern vor allem auch die Wissensmedien selbst und die materiellen und ästhetischen Praktiken ihrer Verhandlung neue Perspektiven und wichtige Herausforderungen, nicht zuletzt für eine transkulturelle Kunstwissenschaft. Kanonisierungen von Bild-/ Objektkulturen, Schriftlichkeit und Sprache werden in künstlerischen Positionen neu reflektiert, Konzepte von Zeitlichkeit/ Geschichte, Ökologie und Religion mit Bezug auf Negritude und Ethnophilosophie aufgerufen.
Ausgehend von den benannten Kontexten umfassen die Themenfelder der Ringvorlesung a) Positionierungen einzelner Autor:innen, b) Referenzen auf Wissensmedien und c) exemplarische künstlerische Arbeiten.
Zur Diskussion steht beispielsweise die disziplinäre Begründung dessen, was als „afrikanische Philosophie“ bezeichnet werden kann (vgl. Diagne 2015). Die Debatte um dieses philosophische Modell zeigt exemplarisch nicht nur die methodischen Herausforderungen einer gegenwärtigen Dekolonialisierung von Wissen und Denken, sondern auch deren Verankerung in kulturellen Normativen und ästhetischen Praktiken. Paulin Hountondji’s Plädoyer für ein neues Verständnis von afrikanischer Philosophie verweist auch auf das Medium der Schrift. Diese verhindere, so der Autor, die ethnologische Essentialisierung des Denkens, ermögliche dessen dynamische Neupositionierung und leite Prozesse des Umsturzes von Ideen ein.
Mit der materiellen Verankerung von Denkprozessen in der Schrift positioniert sich Hountondji in einem weitreichenden ästhetisch-diskursiven Kontext. Ähnliche Ideen verfolgen ästhetische Theorien im Kontext von Surrealismus und Négritude, die den Rekurs auf afrikanische bzw. ägyptische Schrifttraditionen als Kritik an westlichen Bildkonzepten geltend machten. Aktuell wird jenes Denken in Schrift und Bild in fachübergreifenden und transkulturellen Kontexten untersucht, übertragen in Phänomenologien der Linie und die mit ihnen verbundenen Ansprüche an Prozesse des Lernens, der Wissensgenese und kultureller Praxis (Tim Ingold). Sie erweitern schriftbildliche kunstwissenschaftliche Fachtraditionen mit kulturanthropologischen Fragestellungen, deren Reflexion auch in künstlerischen Arbeiten untersucht werden kann.
Weitere Beiträge zu einer gegenwärtigen politischen und ästhetischen Positionierung philosophischen Denkens in Afrika betreffen Konzepte von „Zeitlichkeit“ (ua. John Mbiti) und „Animismus/ bzw. Totemismus“ (Lucien Lévy-Bruhl, Henri Bergson), sowie aktuelle Referenzen auf den kolonialen Rassendiskurs der Aufklärung (Achille Mbembe), die sich ebenfalls aus den frühen Positionierungen einer „afrikanischen Philosophie“ ergeben.

Programm:
2.11.2022
Gabriele Genge, Universität Duisburg-Essen: Bild und Ideogramm:
Wissen und Denken im Kontext der Négritude

9.11.2022
Angela Stercken, Universität Duisburg-Essen: »The Past is the Present: It‘s the Future too.« Afrofuturistische Visionen zwischen Film und Bildender Kunst

16.11.2022
Franziska Martinsen, Universität Duisburg-Essen: Das eurozentrische Subjekt und die »Anderen«

23.11.2022
Claudia Jahnel, Ruhr-Universität Bochum: The Nearness of the Spirit World. John Mbitis »Afrikanische Zeit« neu positioniert

7.12.2022
Lucky Ugbudian, Alex Ekwueme Federal University Ndufu-Alike, Ikwo, Nigeria: Knowledge, Thoughts, and Objects in Africa: The Benin Artefacts Perspective (online)

14.12.2022
Christoph Marx, Universität Duisburg-Essen: Schwarzes Bewusstsein und Gemeinschaft in Südafrika: Von Steve Biko zu Ubuntu

21.12.2022
Franziska Dübgen, Westfälische Wilhelms-Universität Münster: Die Genesis von »Afrika«. Mudimbes Kritik ethnozentrischer Wissensbildung (online)

11.1.2023
Henriette Gunkel, Ruhr-Universität Bochum: Residence Time und
Spektrale Infrastrukturen der Extraktion in Aryan Kaganoffs »Western 4.33«

18.1.2023
Dorothea Schulz, Westfälische Wilhelms-Universität Münster: Projecting the Future: Muslim Youth and Struggles of Future- Making in Uganda

25.1.2023
Sabine Mainberger, Rheinische Friedrich- Wilhelms Universität Bonn: Linienwissen – mit einem Blick auf Henri Michaux

Quellennachweis:
ANN: Andere Ideen von Afrika/Other Ideas of Africa (Essen, 2 Nov 22-25 Jan 23). In: ArtHist.net, 31.10.2022. Letzter Zugriff 20.04.2024. <https://arthist.net/archive/37828>.

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