CFP 27.01.2021

kritische berichte 1.2022: Phänomen 'Farbe': Ästhetik – Epistemologie – Politik

Eingabeschluss : 21.02.2021
www.ulmer-verein.de

Katharine Stahlbuhk

[English version below]

kritische berichte 1.2022:

Phänomen 'Farbe': Ästhetik – Epistemologie – Politik

Herausgegeben von Hana Gründler/Florenz, Franziska Lampe/München und Katharine Stahlbuhk/Rom

"Die Farbe wird man niemals mit Leichtigkeit sehen" schreibt Leonardo da Vinci in seinem Libro di pittura. Der frühneuzeitliche Künstler deutet hier konzise an, was die Beschäftigung mit der Farbe, die in vielen Kulturen eine grundlegende Rolle in der künstlerischen Praxis, der Kunstgeschichte und Kunsttheorie spielt, seit jeher angetrieben und zugleich erschwert hat: nämlich die Tatsache, dass die Farbe als optisch vermittelter Sinneseindruck stets von subjektiven Faktoren, wie etwa der jeweiligen Beschaffenheit des Wahrnehmungsapparates bestimmt wird. Zugleich ist die Farbe (und ihre Wahrnehmung) aber auch von einer Vielzahl äußerer physikalischer Rahmenbedingungen abhängig und wird maßgeblich von sozialen und kulturellen Vorbedingungen und sprachlichen Bedeutungen und Zuschreibungen geprägt. Das Sehen der und das Sprechen über Farbe – eine der elementaren Aufgaben von Kunsthistoriker:nnen – erweist sich also stets als ein komplexer Prozess, der nicht nur die Perzeptivität berührt, sondern auf das Engste mit ästhetischen, epistemischen, ethischen und (macht)politischen Fragen und Problematiken zusammenhängt und nicht zuletzt von (Vor-)Urteilen begleitet wird.

Das Heft 1.2022 der kritischen berichte möchte die Mehrdeutigkeit, ja gar Unbestimmbarkeit des Phänomens 'Farbe' zum Ausgangspunkt nehmen, um sich mit den zum Teil divergierenden Charakterisierungen auseinanderzusetzen und historisch tief verwurzelte Zuschreibungen und kontroverse Kategorisierungen zu hinterfragen: Als Beispiel mag hier die klassische disegno-colore-Debatte gelten, die in nuce auf die aristotelische Distinktion von Form und Materie zurückgeht, und mit zweifelhaften Zuschreibungen von Männlich=Geist und Weiblich=Materie operiert. Die damit einhergehenden – häufig dualistischen – ontologischen und epistemologischen Annahmen und Wertungen prägten das Nachdenken, Sprechen und Urteilen über Farbe bis in die Moderne und hatten durchaus schwerwiegende ethische und politische Implikationen, zumal ein Zuviel an Farbe, oder überhaupt deren Einsatz, häufig negativ konnotiert war und ist. Wie widersprüchlich der Umgang und die Einschätzung dieses Phänomens ist, zeigt sich auch darin, dass neben dem Exzess von Farbe andererseits aber auch die Abwesenheit von Farbvielfalt ähnlich negativ bewertet wurde.

Ziel dieses Heftes ist es, die mit der Farbe assoziierten Hierarchien und Ideologien kritisch in den Blick zu nehmen und zu untersuchen, welche Konsequenzen aus den häufig westlich determinierten Farbschemen, Theorien und Harmonien resultieren. Das Spektrum der Fragen ist breit und könnte folgende Themenbereiche berühren: Wie gehen wir in der Kunstgeschichte mit den sprachlichen Grenzen der Beschreibung des Phänomens Farbe um? Wie können wir heute, im Bewusstsein der historischen und kulturellen Prägungen, über Farben sprechen? Wie oder wann unterlaufen die mit einzelnen Farben verbundenen Semantiken Veränderungen? Inwiefern werden Farbmetaphern und -symboliken heutzutage instrumentalisiert? Und daraus resultierend: welche ethischen Implikationen werden bestimmten Farben zugeschrieben? Wie und in welcher Form wird Farbe oder deren Fehlen ideologisch ge- und missbraucht? Und was sind die (machtpolitischen) Dispositive, in denen sich das Urteilen über Farben bewegt? Oder ganz grundlegend gefragt: warum berührt uns Farbe so tiefgreifend?

Wir begrüßen sowohl spezifische case studies als auch methodisch-systematische bzw. theoretische Untersuchungen, die den unterschiedlichsten Medien, Epochen und Kulturen gewidmet sein können. Bitte senden Sie ein Abstract mit max. 2000 Zeichen und einen kurzen Lebenslauf (zusammengefasst in einem PDF) in deutscher oder englischer Sprache per e-mail an:
gruendlerkhi.fi.it, f.lampezikg.eu und stahlbuhkbiblhertz.it
Deadline: 21.02.2021

Die Rückmeldung über die Annahme des Textes erfolgt bis zum 02.04.2021.
Die fertiggestellten Texte im Umfang von max. 25.000 Zeichen (inkl.
Leerzeichen und Fußnoten) und maximal drei Schwarz-Weiß-Abbildungen müssen bis 19.7.2021 eingereicht werden.

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kritische berichte 1.2022:

Phenomenon 'Colour': Aesthetics – Epistemology – Politics
Editors: Hana Gründler/Florence, Franziska Lampe/Munich, Katharine Stahlbuhk/Rome

"Colour will never be seen with ease” writes Leonardo da Vinci in his Libro di pittura. The early modern artist concisely hints at what has always driven, and at the same time complicated, the preoccupation with colour, which in many cultures plays a fundamental role in artistic practice, art history, and art theory: namely the fact that colour as an optically mediated sensory impression is always determined by subjective factors, such as the respective condition of the perceptual apparatus. At the same time, however, colour (and its perception) is also dependent on a variety of external physical conditions and is decisively shaped by social and cultural preconditions, as well as linguistic meanings and attributions. Seeing and talking about colour – one of the fundamental tasks of art historians – therefore proves to be a complex process that does not only touch on perceptivity, but is also closely connected to aesthetic, epistemic, ethical and (power-)political questions and problems, and is not least accompanied by (pre-)judgements.

In organising a thematic issue of the kritische berichte 1.2022, we intend to take the ambiguity – even the indeterminacy – of the phenomenon 'colour' as a starting point to grapple with its sometimes divergent characterisations and to question historically rooted attributions and contentious categorisations. One example is the classical disegno-colore debate, which in nuce goes back to the Aristotelian distinction of form and matter and operates with dubious attributions of male=spirit and female=matter. The concomitant ontological and epistemological assumptions and evaluations shaped the thinking, speaking and judging about colour into modernity and had serious ethical and political implications, especially since too much colour, or its use at all, often had and still has negative connotations. The fact that, besides the excess of colour, even its absence has been assessed in a similarly negative way, demonstrates the contradictory nature of the handling and evaluation of this phenomenon.

The aim of this issue is to take a critical look at the hierarchies and ideologies associated with colour and to examine what consequences result from the colour schemes, theories and harmonies often determined in the West. The spectrum of questions is broad and may touch upon the following thematic areas: How do we in art history deal with the linguistic limits of describing the phenomenon of colour? How can we talk about colours today, aware of the historical and cultural imprints? How or when do the semantics associated with individual colours change over time? To what extent are colour metaphors and symbolisms instrumentalised nowadays? And as a result: what ethical implications are attributed to certain colours? How and in what form is colour or the lack of it ideologically used and abused? And what are the (power-political) dispositifs in which judgements about colours are made? Or, more fundamentally, why does colour affect us so profoundly?

We welcome specific case studies as well as methodical-systematic considerations or theoretical investigations, addressing a wide variety of media, epochs and cultures. Please send your paper proposal (max. 2000 characters) with a short CV (in a joined PDF) to gruendlerkhi.fi.it, f.lampezikg.eu and stahlbuhkbiblhertz.it by February 21, 2021.

Feedback on the acceptance of your contributions will be sent until April 2, 2021. The final text contributions for the planned issue 1.2022 of the kritische berichte (max. 25 000 characters, three images in b/w) must be sent by July 19, 2021.

kritische berichte. Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften. More information on the journal and the already published issues can be found on the website www.ulmer-verein.de

Quellennachweis:
CFP: kritische berichte 1.2022: Phänomen 'Farbe': Ästhetik – Epistemologie – Politik. In: ArtHist.net, 27.01.2021. Letzter Zugriff 20.04.2024. <https://arthist.net/archive/33246>.

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