CFP 13.12.2002

Haare darstellen (TU Darmstadt, 16.5.03)

"Haar darstellen"
Kulturwissenschaftliche Tagung

Veranstalter: Wella-Stiftungsdozentur fuer Mode und Aesthetik am
Institut fuer Berufspaedagogik und Allgemeine Paedagogik der
TU-Darmstadt

Tagungsort: Lichtenberg-Haus, Darmstadt

Termin: Freitag, 16. Mai 2003

Call for papers:

Gegenstand der Tagung ist die Darstellung des Haares, hauptsaechlich
auf seiten der HaartraegerInnen: Wie verlaeuft Selbstdarstellung
ueber Haar und Frisur? Wie stellen diese sich fuer Dritte dar?
Darueber hinaus sind Darstellungen des Haares im Sinne visueller und
theatraler Repraesentationen von Interesse, also z.B. in Werbung,
Film, Kunst, Theater und Tanz.

Die Kontexte, in denen Haare getragen und/oder dargestellt werden,
sollen erfaßt und in ihren Unterschieden zu den eng benachbarten -
bzw. damit verwobenen - Feldern etwa des Koerpers oder der
Kleidermode deutlich werden: Die im Zuge neuerlicher Beachtung des
Koerpers vorgebrachte Einsicht, nicht Kleider, sondern Koerper
machten Leute, klingt fuer eine mit dem Haar befasste Perspektive
recht vertraut. Denn dank der merkwuerdigen Stellung des Haares
zwischen natuerlichem Koerperprodukt und kultureller, mithin
optionaler Form in Frisur und Haarfaerbung, ist das Haar einerseits
unmittelbarer dem Koerper verbunden als die Kleidung, muß den
Gegebenheiten des Koerpers aber weniger folgen. Daraus folgen
spezifische Bedingungen sowohl fuer das getragene Haar, als auch fuer
saemtliche Arten seiner Repraesentation (s.u.).

Haare bzw. Frisuren begleiten uns meist nachhaltiger als Kleidung:
Zwar koennen wir uns zu besonderen Anlaessen umfrisieren oder uns
sogleich einen neuen Schnitt bzw. eine andere Haarfarbe zulegen, aber
ein Hut oder ein Kleid sind schneller und nach Belieben wechselbar.
Daher muß unsere jeweilige Frisur oft ueber mehrere Szenen unseres
Alltags hinweg 'tragen', einerlei, was tatsaechlich soeben 'gespielt'
wird. Selbstausdruck des Menschen ist auf dem Feld der Haare daher in
gewissem Sinne immer schon geronnen, er ist das von uns zwar
entworfene, aber uns auch anhaftende 'Bild' - ueber momentane
Anlaesse hinaus. Das koennte fuer die mit dem getragenen Haar -
insbesondere mit 'Frisur/Haar-Biographien' - befaßten Beitraege von
Interesse sein.

Methodisch sowie hinsichtlich einer Spezifizierung des Gegenstandes
moechte die Tagung sich von folgenden Trends abheben:
Erstens orientieren sich viele Forschungen zu Haar und Frisur eng an
der Geschichte und den Kategorien der Kleidermode, was mit Blick auf
viele historische Parallelen zwar unverzichtbar ist, aber auch die
Einebnung von Unterschieden beguenstigt.
Zweitens scheint gerade im Zuge neueren, prinzipiell
begruessenswerten Interesses der Kulturwissenschaften an
marginalisierten Forschungsgegenstaenden kaum Zeit verfuegbar zu sein
fuer die Recherche und Auseinandersetzung mit jenen - leider seltenen
und entlegenen - Vorleistungen zum Thema, in denen Haar und Frisur
als das historisch vielgestaltige Medium begriffen werden, das sie
sind. Stattdessen werden sie gern auf einen mysterioesen Topos
zusammengestaucht, der seinerseits dann randvoll gepackt ist mit
Symbolik, einschlaegigen Mythen, Anekdoten, Maerchen und
Sprichwoertern rund ums Haar. In solcher Zurichtung werden dann
spezielle Haartrends eroertert oder 'Anwendungen' auf kulturelle
Darstellungen des Haares (z.B. in der Literatur) probiert.
Demgegenueber soll auf der Tagung die Eroerterung jener phaenomenalen
Besonderheiten von Haar und Frisur im Vordergrund stehen, die
großteils Desiderat blieben. Unter dieser Maßgabe sind dann auch die
hier polemisch gestreiften Zugangsweisen, bzw. das in ihnen Erfaßte
wieder gefragt.

Die folgenden Tops entwerfen keine Sektionen der Tagung, sondern
sollen allein das Spektrum denkbarer Anwendungen/Facetten auffaechern
(Querverbindungen u. Ueberschneidungen sind daher nicht nur moeglich,
sondern wahrscheinlich):

Haar formen:
Einzelne Frisuren wurden kaum erforscht, es sei denn, sie stuenden in
ausgezeichnetem Zusammenhang mit der Kostuemgeschichte (s.o.), oder
einschlaegigen sub-, populaerkulturellen- bzw. Jugendbewegungen (z.B.
der sog. 'Irokesenschnitt' im Punk). Von großem Interesse waere daher
die eingehende Beschaeftigung mit weniger prominenten oder
charakteristischen, dafuer aber umso verbreiteteren Varianten, die
etwa in ihrem Zusammenhang mit zeitgleichem Design, aber auch mit
zuordbaren gesellschaftlichen Gruppen erschlossen werden koennten.
(Denkbar waeren hier z.B. gewisse 'Spannkraft' demonstrierende
Haarhelme der 50er-70er Jahre, oder Untersuchungen ueber
Zusammenhaenge von Scheiteln, Haarlaengen u. dgl. mit bestimmten
Milieus)

Haar tragen:
Frisurenmode ist das eine, getragenes Haar das andere: die damit
einhergehenden Posen, Kopfbewegungen und Haltungen eroeffnen in
verschiedenen situativ, raeumlich, sozial, bzw. durch
Geschlechterordnungen bestimmten Kontexten Spielraeume der
Selbstdarstellung, der Unterwerfung, oder der Souveraenitaet.
Dank der vergleichsweise nachhaltigen Festlegung auf einen Schnitt
bzw. eine Frisur sind deren TraegerInnen biographischen Konflikten
und u.U. diskriminierenden Zuschreibungen unterworfen.
Die 'gewaehlte' Frisur kann - ohne, daß TraegerInnen das bewußt
reflektieren mueßten - bereits ein Gestalt gewordener Kompromiß sein:
zwischen irreduzibel individuellen Praeferenzen, einem als befreiend
erachteten Ausdruck, dem man ostentativ sich anschließt und
schließlich den disziplinierenden Anspruechen der Außenwelt.

Haar repraesentieren:
Haare sind als dem Koerper entwachsende eng mit ihm verbunden,
andererseits sind sie in ihrem Formverlauf vergleichsweise optional,
(waehrend Kleidung - weniger extrem - dem Koerper tendenziell nur
aufliegt, dafuer aber staerker Echo seiner Form ist). Dies
praedestiniert das Sujet 'Haare' fuer die Preisgabe des Inneren einer
Figur in der Bildenden Kunst, denn die Matrix 'Haar' entstammt dem
Koerper, waehrend sich im Rahmen dieser Matrix unbegrenzte
Moeglichkeiten der Darstellung bzw. Auffuellung mit Bedeutung auftun.
In der Werbung fuer Haarpflegeprodukte sind Haare oft nahe am
Artefakt, anders sind bzw. waren sie es im Falle der Peruecke oder
hinsichtlich einer Zustaendigkeit der Maskenbildnerei fuer die
Herrichtung des Haares im Theater. Wie beeinflußt eine solche 'zweite
Frisur' Haardarstellungen?
Wie im Falle der Modenschau werden auch Frisuren von Models
vorgefuehrt oder in (halb-)oeffentlichen Friseur-Contests agonal
erzeugt. Was sind die Spezifika solcher 'Darstellungen'?

Haar bewegen:
Wie nach altchinesischer Auffassung die Waffe den Arm, so kann das
Haar den Koerper verlaengern, ohne selbst dieser Koerper zu sein. Das
gilt auch fuer die Bewegung des Haares - etwa im modernen Tanz, oder
noch in heutigem 'head banging'. Wird das zugleich als Instrument
und Teil des Koerpers bewegte Haar noch als Geste verstaendlich? Oder
- und inwieweit - als Bewegen eines Objektes? Neben Tanz und Theater
waere auch der Sport von Interesse (fuer den es eigens konzipierte
Frisuren gibt). An Film und Alltag waere untersuchbar, inwiefern
Bewegungen des Haares erotisch, dynamisch oder anderweitig
kodiert/eingesetzt werden.

Versierte Beitraege aus unterschiedlichen Disziplinen sind
willkommen, sowohl zu einzelnen der skizzierten (oder nur
gestreiften) Anwendungsfelder, als auch zu theoretischen bzw.
allgemeineren Fragestellungen im Rahmen des Themas.
Da eine vergleichsweise zuegige Veroeffentlichung der Beitraege
vorgesehen ist, sollten interessierte ReferentInnen Zeit fuer die
Ausfertigung des Manuskriptes im Anschluß an die Tagung
miteinkalkulieren (ca. max. 12 Wochen).
Ruecksprache vor dem Verfassen eines Abstracts ist moeglich.
Einsendungen unter Angabe des Namens, der Institution/Taetigkeit
des/der Betreffenden, des Vortragstitels, sowie eines max. 3000
Zeichen (gern weniger) umfassenden Abstracts (fuer ein 30-minuetiges
Referat) koennen postalisch oder per Mail (bitte nur Word-Dateien)
bis Ende Januar 2003 vorgenommen werden. Zwecks flexibler
Bearbeitungsmoeglichkeit bitte nicht an die o.g. Dienstanschrift,
sondern an:

Dr. Christian Janecke
Sophienstr. 56
60487-Frankfurt

janeckechristianaol.com

Tel.: 069 - 79 58 37 37

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Quellennachweis:
CFP: Haare darstellen (TU Darmstadt, 16.5.03). In: ArtHist.net, 13.12.2002. Letzter Zugriff 19.04.2024. <https://arthist.net/archive/25376>.

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