CONF 13.10.2002

deutsche Kriegsfotografie 1939 bis 45 (25.10.02 München)

Felix Hoffmann

Fotosymposium am 25.10.2002 in Muenchen

"Verweilen beim Grauen" (Hannah Arendt)
Ausstellungen und Publikationen zur deutschen Kriegsfotografie 1939
bis 45

Die Ueberlieferung geschichtlicher Ereignisse hat zu
unterschiedlichen Zeiten unterschiedlicher Medien bedurft. Das
zentrale Bildmedium zur Darstellung des Zweiten Weltkrieges war vor
allem die Fotografie.

Das Zitat von Hannah Arendt: "Verweilen beim Grauen" birgt in Bezug
auf Fotografien des Zweiten Weltkrieges zweierlei Komponenten. Zum
einen zeigt es die zirkulaere Wiederkehr der Bilder, die von
unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen aber auch der
Oeffentlichkeit bearbeitet, diskutiert und interpretiert werden, und
gleichzeitig fuer das individuelle und kollektive Gedaechtnis stehen.
Zum anderen ist damit die immer wieder notwendige Konfrontation des
einzelnen mit jenem Grauen gemeint, das einen Bruch in der
abendlaendischen Kultur beschreibt.

Schon die Konferenz "Das Photo als historische Quelle" des Hamburger
Instituts fuer Sozialforschung 1999 stellte die Frage nach dem Umgang
mit der Fotografie als historischem Material. Dies geschah besonders
vor dem Hintergrund der Debatte um die Verwendung der Fotografien
innerhalb der Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der
Wehrmacht 1941 bis 1944". Im Zentrum der Konferenz stand die
wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den materiell-technischen
Qualitaeten der ueberlieferten Fotografien.

Diese materialorientierte Analyse der fotografischen Quellen soll nun
innerhalb des Symposiums "Verweilen beim Grauen" erweitert werden. Im
Mittelpunkt steht die allgemeine Kontextualisierung (Performanz) der
Fotografien, d. h. ihre Entstehungs- und
Veroeffentlichungsbedingungen. Denn nicht nur die materiellen
Bedingungen der Bildherstellung und -bearbeitung, wie Blickwinkel,
Abzugstechnik, Retusche etc., veraenderten die Lesarten
fotografischer Bilder, sondern auch die gesellschaftliche oder
wissenschaftliche Kontextualisierung und die damit verbundenen
sozialen oder politischen Interessen.

Das Symposium im Oktober 2002 soll vor allem die vermeintliche
Objektivitaet und Neutralitaet des Bildmediums Fotografie
hinterfragen. Dabei sollen die manipulativen Moeglichkeiten
historischer Quellen bei ihrer Praesentation und der daran
geknuepften Performanz, im speziellen Fall der Publikation von
Bildern der Wehrmacht, untersucht werden. Denn der derzeitige Umgang
mit der Fotografie als historische Quelle verdeutlicht, wie wenig
sich die wissenschaftlichen Disziplinen bisher mit der Vielfalt
perspektivischer Veraenderungen auf visuelles Quellenmaterial
beschaeftigt haben.
Felix Hoffmann

Programm

10.00 Uhr Dr. Ulrich Pohlmann (Muenchen): Begruessung

10.15 Uhr Dr. Hanno Loewy (Frankfurt a. M./ Konstanz): Sehweisen -
Lesarten. Bilder des Anderen, Bilder des Eigenen, Bilder der
Vernichtung
10.45 Uhr Dr. Cornelia Brink (Freiburg i. Br.): Auschwitz in der
Paulskirche: Fotoausstellungen der 60er Jahre
11.15 Uhr Diskussion
12.00 Uhr Mittagspause

13.30 Uhr Dr. Ulrike Jureit (Hamburg): Abbilden und Ausblenden.
Ueberlegungen zu einer fotospezifischen Quellenkritik
14.00 Uhr Dr. Petra Bopp (Hamburg): Fuer eine Philologie des Auges:
Der Gebrauch der Fotografie in den beiden Ausstellungen ueber die
Verbrechen der Wehrmacht
14.30 Uhr Diskussion

15.00 Uhr Prof. Dr. Detlef Hoffmann (Muenchen/ Oldenburg): Die Genese
des Bildes vom Frontsoldaten
15.30 Uhr Anton Holzer (Wien): Die oben, wir unten. Zur Karriere der
U-Boot-Fotografien des Kriegsberichters L. G. Buchheim ("Das Boot")
nach 1945
16.00 Uhr Diskussion und Pause
17.00 Uhr Abschlusspodium

ca. 18.00 Uhr Ende der Veranstaltung

Moderation und Einfuehrungen: Dr. Ulrich Pohlmann, Felix Hoffmann

Kurztexte zu den jeweiligen Vortraegen:

Dr. Hanno Loewy, Literaturwissenschaftler, Universitaet Konstanz

Sehweisen - Lesarten. Bilder des Anderen, Bilder des Eigenen, Bilder
der Vernichtung

Historische Fotografien dienen traditionell als Illustration und
Beleg sprachlich konstituierter Narrative und Sinnkonstruktionen. Die
Auseinandersetzungen um die Verwendung von Fotografien in
Ausstellungen, Filmen und Publikationen haben scheinbar das
Bewusstsein fuer die Probleme visueller Quellen gehoben. Doch
historische Quellenkritik an fotografischer Ueberlieferung bedeutet
noch keineswegs, den Eigensinn der Bilder als Ressource symbolischer
Deutungen und Selbstdeutungen ernst zu nehmen oder auch Fotografie
als sozialen Prozess kommunikativer Inszenierung der Wirklichkeit zu
beschreiben. Hinter dem Streit um korrekte Bildbeschriftungen und
Zuschreibungen verbirgt sich haeufig der Streit um konkurrierende
Selbstbilder und narrative Tradierungen, deren Produkt schon die
Fotografien selber sein koennen und deren Spur in ihnen zu entfalten
waere. Fuer kaum einen historischen Gegenstand gilt dies mehr, als
fuer den Nationalsozialismus.

Dr. Cornelia Brink, Historikerin, Universitaet Freiburg

Auschwitz in der Paulskirche: Fotoausstellungen der 60er Jahre

Ihr Changieren zwischen dem Anspruch auf Faktizitaet auf der einen
Seite und Deutungsoffenheit auf der anderen macht die Fotografie
nuetzlich fuer viele Verwendungsweisen: Was ein Foto aussagt, wie es
wirkt, haengt nicht zuletzt davon ab, wann und wo man ihm begegnet.
Ausstellungen praesentieren Fotografien am oeffentlichen Ort. Sie
entfernen die Bilder aus der Lebenspraxis, um auf neue Weise
kommunikative Beziehungen zwischen Fotografie und Betrachter
herzustellen. Darum soll es gehen: Welchen Gebrauch haben
Ausstellungen ueber die NS - Verbrechen in den 60er Jahren von
Fotografien gemacht? Auf welche Eigenschaften des Bildmediums
rekurrieren sie? Besucher und Besucherinnen sehen, was Kuratoren und
Gestalter ihnen zu sehen geben - zuweilen aber erkennen sie auch
etwas anderes in den Fotos. Was zeigt das Foto in der Ausstellung?

Dr. Ulrike Jureit, Historikerin, Sprecherin im Ausstellungsteam
"Verbrechen der
Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944", Hamburger
Institut fuer Sozialforschung

Abbilden und Ausblenden. Ueberlegungen zu einer fotospezifischen
Quellenkritik

Die Debatten um die Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der
Wehrmacht 1941 bis 1944", insbesondere um die dort gewaehlte
Praesentation historischen Fotomaterials, hat zumindest eines
deutlich gemacht: Die deutsche Geschichtswissenschaft hat bis in die
90er Jahre hinein das Thema ‚Foto als historische Quelle' weitgehend
ignoriert. Bis heute fehlen theoretische Konzepte, die einen
quellenkritisch reflektierten und im Kontext historischer Forschung
auch praktikablen Umgang mit historischen Bildmaterial entwerfen. Der
zweiten Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des
Vernichtungskrieges 1941-1944" war daher dieses in seinen Untiefen
zwar nun bewusste, aber keineswegs methodisch geloeste Problem in die
Wiege gelegt. Der Vortrag wird anhand von zwei ausgewaehlten
Fotoserien verdeutlichen, welchen Umgang die zweite Ausstellung mit
historischem Bildmaterial gewaehlt hat. Die erste Fotoserie steht
fuer einen Typus, der nicht in die Ausstellung mit aufgenommen wurde
(im Unterschied zur ersten Ausstellung). Hier geht es insbesondere um
Gruende, die zu dieser Entscheidung fuehrten. Das zweite Beispiel
stellt eine Fotoserie zum Massenmord in der Schlucht Babij Jar in den
Mittelpunkt, die in der zweiten Ausstellung zu sehen ist. Anhand
dieser Aufnahmen werden Moeglichkeiten und Grenzen einer
fotospezifischen Quellenkritik exemplarisch ausgeleuchtet.

Dr. Petra Bopp, Kunsthistorikerin, Hamburg

Fuer eine Philologie des Auges: Der Gebrauch der Fotografie in den
beiden Ausstellungen ueber die Verbrechen der Wehrmacht

Beim Vergleich der Verwendung der Fotografie in den beiden
Ausstellungen "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis
1944" und "Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des
Vernichtungskrieges 1941-1944" sowie in anderen zeithistorischen
Ausstellungen stellt sich die Frage nach dem Text/ Bild - Verhaeltnis
bei Praesentationen zur Zeitgeschichte. Wie kann Fotografie als eine
"Form der Verstaendigung" (James Nachtwey) eingesetzt werden, um die
Besucher auf die Spur zu den eigenen Bildern zu fuehren?

Prof. Dr. Detlef Hoffmann, Kunsthistoriker, Universitaet Oldenburg

Die Genese des Bildes vom Frontsoldaten

In der oeffentlichen Auseinandersetzung um die erste Ausstellung
"Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" haben die
meisten Kritiker unterstellt, die Fotos seien eine Abbildung der
Wirklichkeit. Dieser Sachverhalt sollte durch punktgenaue
Bildunterschriften bestaetigt werden.
Tatsaechlich ist das Verhaeltnis von Bildern und Krieg sehr viel
komplexer. Dies soll im Vortrag an der Genese des Bildes vom
Frontsoldaten seit 1916 gezeigt werden. Vor diesem Zeitpunkt gab es
keine offizielle Bildpropaganda in Deutschland, nach 1916 spielte die
Fotografie in diesem Kontext gegenueber Zeichnung und Malerei zuerst
eine marginale Rolle. Deren Vorgaben nahm die Fotografie und der Film
seit Ende des 2oer Jahre auf, um dann das Bild (und das Selbstbild)
des Frontsoldaten im Zweiten Weltkrieg zu praegen - nun in allen
Medien.

Anton Holzer, Herausgeber der Zeitschrift "Fotogeschichte", Wien

Die oben, wir unten. Zur Karriere der U-Boot-Fotografien des
Kriegsberichters Lothar Guenther Buchheim ("Das Boot") nach 1945

Der Bildband "Jaeger im Weltmeer" des Kriegsberichters Lothar
Guenther Buchheim, der 1943 mit einem Geleitwort und einer Widmung
von Grossadmiral Doenitz erschien, erlebte nach 1945 eine beachtliche
zweite Karriere. Mit Buchheims Bestseller "Das Boot" (1973) war ein
belastetes Thema als Heldenepos in die grosse deutsche
Oeffentlichkeit zurueckgekehrt. Der nationalsozialistische U-Boot-
Krieg verliess entgueltig die Nischen entlegener und oft
zwielichtiger Verlagshaeuser. Er wurde nicht ueber die
Geschichtsschreibung, sondern ueber populaere Publikationen in die
dominante Geschichtskultur aufgenommen. Im Schatten des Buch- und
spaeter des Filmerfolges (1981) tauchten auch die U-Boot-Fotografien
von Buchheim wieder auf. Sie erzaehlen - mit bemerkenswerten
Veraenderungen in der (Bild-) Sprache - den Krieg als Drama einer
kleinen, ausgesetzten Gemeinschaft.

Quellennachweis:
CONF: deutsche Kriegsfotografie 1939 bis 45 (25.10.02 München). In: ArtHist.net, 13.10.2002. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/archive/25271>.

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