CFP 18.09.2002

Utopische Koerper / Utopian bodies (FU Berlin, 23-25.05.03)

H-ArtHist (Godehard Janzing)

[English version below]


Utopische Koerper

Call for papers fuer Tagung an der Volksbuehne am 23-25. Mai 2003
veranstaltet vom Graduiertenkolleg 'Koerper- Inszenierungen' der FU Berlin
in Kooperation mit der Volksbuehne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin

Utopia als Nichtort widerspricht der Kategorie des Koerpers - bezeichnet die
Utopie doch eine Gegenwelt im Nirgendwo, der Koerper hingegen einen Ort, den
wir durch unsere eigene Erfahrung in der Welt fuer vertraut halten.
Gemeinsam scheint beiden nur zu sein, dass es mit ihnen zu Ende geht.
Angesichts realer Dystopien des 20. Jahrhunderts geriet das politische
utopische Denken zunehmend ausser Kurs. Dem seit 1989 immer lauter
ausgerufenen „Ende der Utopien“ laesst sich die Rede vom Verschwinden des
Koerpers zur Seite stellen. Zugleich melden sich in der Debatte ueber den
„Posthumanismus“ Stimmen, deren utopischer Grundton unueberhoerbar ist: Im
Cyberbody wird die Ueberwindung des antiquierten Psychobody gesehen. In
diesen Auseinandersetzungen wird aber deutlich, in welchem Masse
Zukunftstechnologien - von der Virtualisierung bis zur Biotechnologie - am
Koerper ausgetragen werden. Die Utopie besetzt den Koerper als ihren Ort.
Abseits technologischer Zukunftsvisionen zeugen gegenwaertige
Gesellschaftspraxen laengst vom Einwandern der Utopie in den Koerper. War
das Kriterium der Utopie bislang ihre Unrealisierbarkeit, so konkretisieren
sich utopische Koerper in kosmetischen, pharmazeutischen und chirurgischen
Zugriffen. Oder sind Koerperutopien im Zeitalter ihrer Virtualisierung und
Visualisierung in Bildmedien und bildgebenden Verfahren vor allem
Koerperbilder
Wie ging die Vorstellung von der Perfektibilitaet des
Menschen auch historisch mit der Planung perfektionierter Koerper einher

Welche Rolle spielt der Koerper in Heterotopien von der Phalanstère ueber
Geheimgesellschaften bis hin zu Projekten gemeinschaftlichen Lebens, in
denen Utopien im "Kleinen" realisiert werden
Welche Wechselwirkungen
bestehen etwa zwischen den Vorstellungen von Koerperfunktionen und der
Erforschung von Arbeits- und Lebensablaeufen (Arbeitsoekonomien,
Architekturen, Ergonomik, Biorhythmen)


Mit den folgenden Schwerpunkte moechte die Tagung das Verhaeltnis von
Koerper und Utopie untersuchen:

* Aufruestungen des Koerpers in Form von Spitzensport, Fitness und Wellness
basieren insofern auf einer utopischen Struktur, als die Koerper immer noch
schneller, staerker schoener oder schlanker werden muessen. Folgen die
Koerperpraktiken in Hochleistungsdoping, Risiko- und Extremsport sowie der
Fitness-Bewegung einer vermeintlich individuellen Utopie, die obsolet
gewordene gesamtgesellschaftliche Entwuerfe ersetzt
Ist die tatsaechliche
Leistungsfaehigkeit der Koerper oder der Anschein einer solchen entscheidend

Welche Bedeutung kann in Zukunft ein Koerper haben, der nicht durch
sportliches Training zugerichtet ist


* In keinem Bereich scheint der neue Mensch so machbar wie in der
Biotechnologie. Dabei reagieren ihre Versprechungen nicht nur auf
vermeintliche Leerstellen medizinischer Forschung, sondern speisen sich
immer auch aus utopischen Wunschvorstellungen, die sich haeufig von
konkreten Problemen geloest haben. Welche utopischen Koerperbilder und
gesellschaftlichen Entwuerfe stehen hinter den medizinischen
Heilsversprechen der Biotechnologie


* In „theoretical fictions“, dem Konvergenzraum wissenschaftlicher
Projektionsfelder und aesthetischer Inszenierungen des Kuenftigen, wird
indirekt am Utopischen gearbeitet. Existieren neben einer Vorherrschaft des
Dystopischen (etwa der Cyberpunk im Science Fiction) und eines an
szientistischen Imaginationen orientierten „Posthumanismus“ kulturelle
Spielraeume lebendiger Koerperlichkeit
Tragen aesthetische und theoretische
Koerperinszenierungen gerade durch den Kontakt mit Dystopie und Technologie
Momente einer „kritischen Utopie“ in sich


* Aesthetische Gegenwelten antizipieren technologische und wissenschaftliche
Errungenschaften, exponieren ihren utopischen Gehalt und ihre
gesellschaftlichen Auswirkungen. Welchen kuenstlerischen Entwuerfen gelingt
es, sich den "mythopischen" Koerper- und Lebensverbesserungsangeboten zu
widersetzen und welche schoepfen immer neue Moden, aus denen die
Werbeindustrie ihr naechstes Branding speisen kann


* Erstaunlicherweise ist die Utopie des Urlaubs - samt ihrer omnipraesenten
Bilderwelten - die alltaeglichste und gleichzeitig am wenigsten erforschte.
Warum setzt das Gluecksversprechen der unbegrenzten Freiheit alljaehrlich
600 Millionen Menschen in Bewegung, die sich paradoxerweise am Ort des Heils
einem koerperdisziplinierenden 'Urlaubsfaschismus' unterwerfen
Welche
Praktiken werden waehrend des "learning to be a tourist" entwickelt , um den
Koerper fuer den Alltag leistungsbereit zu halten, und inwiefern liefern die
imaginaeren "landscapes and mindscapes" der Kuenste den Urlaubsparadiesen
ihre Vorbilder


* Der pornographische Koerper ist nicht nur durch seine Verortung im
Imaginaeren , sondern auch durch die an ihm ausgetragene, nicht
stillzustellende Lust an der Wahrheit der Sexualitaet mit dem Begriff des
Utopischen verknuepft. Wie haengt das Utopische, das sich im Gegensatz zu
religioesen, eschatologischen Vorstellungen durchaus im Diesseitigen
verortet, aber doch wesentlich unwirklicher Raum bleibt, zusammen mit der
prekaeren Dialektik von Authentizitaet und Inszenierung im pornographischen
Genre

 

Abstracts (300 Woerter) fuer Vortraege (20 min) koennen bis zum 15. November
2002 an folgende Adresse geschickt werden: utopische-koerper@gmx.net

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Utopian bodies

Conference organized by the Graduiertenkolleg „Koerperinszenierungen" (FU
Berlin) In cooperation with the Volksbuehne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin
23-25 May 2003


Utopia and the body seem to be contradictory categories: whereas utopia
means a place that is literally nowhere, the body is marked by its physical
presence. The only thing both concepts appear to share is that they are said
to have come to an end. Due to the 20th century’s real dystopias political
utopian thinking has lost its impact. The „end of utopia“, proclaimed even
more fervently since 1989, is paralleled by the notion of the „posthuman
disappearance of the body. Yet the very debate about posthumanism is
charged with a certain utopian undertone: a superior cyberbody is held to
supersede an outdated psychobody. This discussion indicates to what extent
future technologies - ranging from the virtual world to biotechnology -
seize upon and affect the body. Utopia claims the body as its place. Apart
from technological dreams of the future, present social practice gives
evidence of a utopian occupation of the body. Whereas utopias have commonly
been distinguished by their non-existence in the real world, utopian bodies
are now actually realized by means of cosmetic, pharmaceutical and surgical
intervention. Or are these „real“ utopian bodies, propagated in the age of
virtualization and visual media, invented only as objects of visions -
imaginary bodies in the truest sense
Was the notion of man’s perfectibility
also historically linked with the planning of perfect bodies
How did
utopian projects in the past, be they literary, political or practical, work
on the body and in what way are present body-utopias influenced by their
predecessors
How do concepts of bodily functions and research on working
and living processes (labour economy, architecture, ergonomics, biorhythms)
interact
The conference will examine the interrelations of utopian
imagination and the body in various fields. Our points of interest include
manipulations of the body in sports and wellness, the utopian energy at work
in the discourse in biotechnology and in theoretical fictions, the image of
the body in science fiction literature, the utopia of authenticity in the
staging of the pornographic body and mass tourism as the new form of a
collective utopia.

Abstracts of about 300 words for 20min presentations may be submitted by 15
November 2002 to: utopische-koerper@gmx.net

Quellennachweis:
CFP: Utopische Koerper / Utopian bodies (FU Berlin, 23-25.05.03). In: ArtHist.net, 18.09.2002. Letzter Zugriff 25.04.2024. <https://arthist.net/archive/25189>.

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