CONF 03.11.2020

Kunst und Gebrechen (online, 5-7 Nov 20)

online / Programmbereich „Figurationen des Übergangs“ am Kooperationsschwerpunkt „Wissenschaft & Kunst“ der Paris-Lodron-Universität Salzburg und der Universität Mozarteum, 05.–07.11.2020

Nora Grundtner, Universität Salzburg

Die Tagung rückt die Vorstellungen, die sich um die Gebrechen von Kunstschaffenden gruppieren, in den Fokus. Ulrich von Liechtenstein setzt seine Erzählerfigur im Frauendienst als Versehrten in Szene, um ein dichterisches Alleinstellungsmerkmal zu konstruieren. Während Benvenuto Cellini Fieberzustände als imaginationsfördernd beschreibt, sieht Friedrich Schiller seine Gebrechlichkeit – in Anbetracht eines drohenden Endes – als Motor für das eigene Schaffen. Der Körper, Altern und Gebrechlichkeit spielen im Werk Francisco de Goyas eine wiederkehrende Rolle.
Die Zuschreibung, gebrechlich zu sein, kann dabei vom Kunstschaffenden oder von Rezipient*innen (im Nachhinein) erfolgen und befeuert die Faszination am künstlerischen Oeuvre und den Mythos vom genialen Kunstvermögen, das im zugespitzten Fall überhaupt erst dem Gebrechen zu verdanken wäre.
Ein Schwerpunkt der Tagungsbeiträge liegt auf der rezeptiven ‚Fehlsichtigkeit‘ bzw. einer eventuell ‚eingeschränkten‘ Sichtweise derer, die diese Denkformen kolportieren, und thematisiert u. a. die Rezeption von Künstler*innenbildern, die das Pathologische überbetonen.
Ist William Turners Spätwerk das Ergebnis seiner Sehstörung? Diese Frage, die bereits 1872 von einem Augenarzt bejaht wurde, birgt auch heute noch Stoff für Diskussionen. Im Zuge von Tagungsbeiträgen werden auch die medizinischen – scheinbar objektiven – Antworten und das dahinter liegende biologistische Kunstkonzept in den Fokus gerückt.
Ein spielerischer Zugang, und relativ losgelöst vom medizinischen Konzept, zeigt sich im Umgang mit der Prothese in der zeitgenössischen Kunst, ein Element, das u.a. auf die Idee des Menschen als ‚Mängelwesen‘ Bezug nimmt.

Programm

Donnerstag, 05.11.2020

9:30 Uhr: Begrüßung und Einführung

10:00 Uhr: Nelly Janotka (München): Prothesen in der Body Art. Zwischen Selbstermächtigung, (Dys-)Funktion und Posthumanismus

11:15 Uhr: Julia Hinterberger (Salzburg): "... selten war in einer Krankheitsgeschichte die Szene derart effektvoll gestellt.“ Maria Theresia Paradis in der Populärkultur

12:15 Uhr: Romana Sammern (Salzburg): Weiblichkeit als Gebrechen. Von Sofonisba Anguissola bis Amanda Palmer

15:00 Uhr: Max Pommer (Jena): „Der Einsamkeiten tiefste schauend unter meinem Fuß…“ – Max Klingers tauber Beethoven und die erlösende Macht der Musik

16:00 Uhr: Andreas Emmelheinz (Frankfurt): Krankheit und (Alters)Gebrechen in Goyas Spätwerk

17:15 Uhr: Peter Deutschmann (Salzburg): Wie das Stottern aus Gogols Mantel kam

Freitag, 06.11.2020

9:30 Uhr: Georg Danek (Wien): Der Dichter als blinder Seher: Teiresias, Demodokos, Homer

10:30 Uhr: Dorothea Weber (Salzburg): Dichtung und Wahnsinn: Der Fall Lukrez

12:00 Uhr: Marlen Mairhofer (Salzburg): „Ich war ja nicht krank – ich war nur krank, aber ganz anders.“ Bachmanns (Patho?-)Texte

14:30 Uhr: Ronny F. Schulz (Kiel): Zur Inszenierung körperlicher Defizite als Manifestation poetischer Potenz in Ulrichs von Liechtenstein ‘Frauendienst’

15:30 Uhr: Daniel Ehrmann (Salzburg): Buckel, Blutsturz und das tägliche Befinden. Widerständige Körperlichkeit im Zeitalter der Autonomie (Lichtenberg, Schiller, Stifter)

17:00 Uhr: Gregor Schuhen (Koblenz-Landau): Kranke Genies. Zum Verhältnis von Versehrtheit und Kreativität bei Miguel de Cervantes und Thomas Mann

Samstag, 07.11.2020

9:30 Uhr: Jana Graul (Hamburg): Wenn der frühneuzeitliche Künstler erkrankt: Destruktive Kraft mit kreativem Potenzial

10:30 Uhr: Jenny Lehrl (Marburg): „Für den Augenarzt ist der Anblick eines Gemäldes auch eine medizinische Betrachtung“ – Der Künstler als Sehgestörter


11:45 Uhr: Céline Roussel (Paris): Was wäre Blindheit ohne das Wort des Blinden? Das subversive Potenzial autobiographischer Werke dreier blinder Autoren in der zeitgenössischen Literatur

12:45 Uhr: Resümee und Ausklang

Konzeption und Organisation: Hildegard Fraueneder, Nora Grundtner und Manfred Kern

Die Tagung kann ohne Voranmeldung über folgenden Link besucht werden:
https://w-k.sbg.ac.at/veranstaltung/kunst-und-gebrechen/

Quellennachweis:
CONF: Kunst und Gebrechen (online, 5-7 Nov 20). In: ArtHist.net, 03.11.2020. Letzter Zugriff 19.04.2024. <https://arthist.net/archive/23847>.

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