CFP 12.12.2019

Framing – Deframing – Reframing (Krems, 16-18 Sep 20)

Krems an der Donau, 16.–18.09.2020
Eingabeschluss : 31.01.2020

Heike Schlie

[deutsche Langfassung unten stehend]

Organizer / Veranstalter:
Interdisziplinäres Zentrum für Mittelalter und Frühneuzeit/IZMF, Universität Salzburg
Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit/ IMAREAL, Universität Salzburg

Framing – Deframing – Reframing
Ways, mechanisms and strategies of cultural adoption in the Middle Ages and Early Modern Times

Labelled by the keyword “framing”, the conference is dedicated to premodern phenomena of cultural adoption while laying a special focus on its whys and wherefores rather than on its subjects. Cultural transfer, which has been of increasing importance for cultural studies in times of globalization, will be analysed as a vehicle of cultural productivity that coined premodern societies, too. Unlike cultural transfer, the concept of cultural adoption is more concerned with the perspective and engagement of those who took over culturally defined entities (e.g. material objects, concepts, rituals, practices, ideas, motifs, narratives, subjects) from other cultures or from other segments of their own culture. The fact that the cultural entities undergo processes of modification and reinterpretation in the course of their appropriation – which might also be understood as instances of deframing and reframing - raises a number of questions concerning functions, relevance, and meaning of these entities in their original settings as well as in their new conceptual frames. In an interdisciplinary synopsis, the conference will fathom the potentials of “framing” as an approach to describe the dynamics and processuality in the transfer and transformation of cultural entities.

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Framing – Deframing – Reframing.
Wege, Mechanismen und Strategien der kulturellen Aneignung in Mittelalter und Früher Neuzeit

Die IZMF/IMAREAL-Tagung 2020 widmet sich unter dem Stichwort des Framing verschiedenen Phänomenen der kulturellen Aneignung in der Vormoderne. Dabei soll es dezidiert und in primärer Hinsicht nicht um das konkrete „Was“, sondern das „Wie“ der Aneignung gehen, also um deren Strukturen, Mechanismen und Strategien. Im Sinne eines Konzeptes des Aneignens als Form der kulturellen Produktivität gelten die Fragen sowohl der Motivation und dem Engagement der Akteure/innen, welche den angeeigneten Gegenstand in neuen Deutungsmustern positionieren, als auch den Bedarfsstrukturen und Bedingungen, unter denen sich solche Gegenstände für eine Übernahme anbieten.

In den Kulturwissenschaften sind die Phänomene des so genannten Kulturtransfers auch deshalb in den letzten Jahren ein wichtiger und viel genannter Gegenstand der Forschung, weil sie gerade zu Zeiten der Globalisierung ein virulentes Thema sind. Auch die Gesellschaften der Vormoderne waren von kulturellen Transfererscheinungen und -prozessen gekennzeichnet und bestimmt. Die Aneignung und Modifikation von Inhalten aus „Fremdkulturen“ erstrecken sich sowohl auf materielle Kulturen als auch auf ideengeschichtliche Aspekte. Je nachdem, welcher Kulturbegriff zur Anwendung kommt („Nationalkulturen“, Kulturraum, Kulturbereich, regionale Kulturen, soziale Kulturen, Text- und Bildkulturen etc.), lassen sich Übertragungen größerer Nähe, Dichte oder Ferne beobachten.

Anders als diejenigen Studien zum Kulturtransfer, welche ein lineares dreigeteiltes Prinzip von Herkunftskultur, Vermittlungsweg und Zielkultur beschreiben, betont die ‚kulturelle Aneignung‘ vor allem die Perspektive und das Engagement der Übernahmeinstanz. Wir sprechen von kultureller Aneignung, wenn kulturell definierte Entitäten (Objekte, Konzepte, Rituale, Praktiken, Ideen, Motive, Narrative, Erzählstoffe etc.) aus anderen Kulturen oder aus anderen Segmenten der eigenen Kulturen übernommen werden. Kulturelle Aneignung kann als synchroner oder diachroner Transfer gefasst werden. Mit den übernommenen oder adaptierten Entitäten werden aber nicht zwingend die Konditionen ihrer Interpretation in den Herkunftskulturen übernommen, und somit auch nicht ihre Bedeutungen und praxeologischen, symbolischen oder theoriebildenden Funktionen. Vielmehr ist eine solche Übernahme zumeist mit Modifikationen und Umdeutungen verbunden. Die Fragen, die sich hier stellen, betreffen den Status der kulturellen Entitäten sowohl in den Ursprungskulturen als auch in den neuen kulturellen Settings: Warum wird etwas übernommen? Wie sahen die Entitäten in den Ursprungskulturen genau aus, welche Funktion, Relevanz und Bedeutung hatten sie? Auf welchem Weg gelangten sie in die anderen Kulturen? Inwiefern boten sie sich im Sinne der Affordanz für Übernahme und Umdeutung an, wie wurden sie modifiziert? Welche Funktion, Relevanz und Bedeutung erlangten sie in der Folge? Welche anderen Entitäten ersetzten sie dort? Welche Aspekte des „Fremden“ und des „Eigenen“ lassen sich im Prozess der Übernahme beobachten und welche Rolle spielen beide Aspekte dabei? Erscheinen die angeeigneten Entitäten in der Folge ganz und gar als Bestandteil der eigenen Kulturen, oder sind „Fremdheit“, Exotik bzw. Alterität die wichtigen Kennzeichen?

Frame – Framing:
Jedes historische Objekt oder Konzept, jede Praxis oder Idee manifestiert sich in einem bestimmten Setting. Ist dieses Setting beobachtbar, bietet es sich zur – beispielsweise historiographischen – Archivierung an. Jeder historische Gegenstand nimmt bestimmte Orte ein und wechselt diese unter Umständen, in räumlichen Positionierungen, in Beziehungen zu anderen Gegenständen und in Praktiken, die sich jeweils ebenfalls verändern können. Rituelle Handlungen und Objekte sind in ein Setting eingebettet und geben ihrerseits ein Setting für (auch profane) Dinge und Handlungen vor. Erzählstoffe entwickeln und verändern sich im Rahmen verschiedener Gattungen, die ihrerseits als Frames gesehen werden können. Objekte figurieren in literarischen Erzählungen oder in Chroniken und entfalten dort ihre Signifikanz in einem definierten Erzählrahmen. Man spricht in all diesen Zusammenhängen oft vom Kontext und in den Fällen des Transfers dieser Gegenstände von Rekontextualisierung oder dem 'neuen Kontext', in dem eine transferierte bzw. angeeignete Entität eine (neue) Bedeutung erlangt oder eine (neue) Funktion erfüllt. Für die IZMF-Tagung 2020 soll in einer interdisziplinären Zusammenschau der Begriff des Framing ausgelotet werden, der unserer Meinung nach die Phänomene kultureller Aneignung in ihrer Prozesshaftigkeit und den Aspekt der Übernahme in das System der eigenen kulturellen Identitätsentwürfe besser erfassen kann als der Begriff des Kontextes: Im Framing, vor allem aber in dem Prozess von Deframing zu Reframing ist das „Aneignen“ bereits praxeologisch enthalten. Jeder Transfer eines Objektes oder eines Konzeptes beinhaltet ein Deframing und Reframing. Das betrifft sowohl die im weitesten Sinne materielle und räumliche Umgebung, aber auch die mit dem Transfer verbundenen neuen Praktiken, in die die zu untersuchende Entität inseriert wird, und die Bedeutungszuschreibungen, die ihr gelten. Auch Ideen, Vorstellungen und Konzepte sind unter den Bedingungen ihres Framings besser fassbar bzw. erfahren ihrerseits neue Framings im Zuge von Transfer- und Transformationsprozessen. Der Begriff des Frames oder Framing verdeutlicht unmittelbar, dass sich die Wahrnehmung, Nutzung und Bedeutung ein und desselben von Frame zu Frame „wandernden“ Objektes mit jedem neuen Frame ändert. Das angeeignete Objekt bleibt nicht das Gleiche – der Begriff des Framing erfasst auch diesen Aspekt prägnanter als der des Kontextes. Das Konzept des „Framing“ (im Ursprung basierend auf der Frame Analysis von Erving Goffman) denkt auch den Beobachtungsstandpunkt mit: In welchem Rahmen wird etwas wahrgenommen?

Reframing ist in der Kunstgeschichte ein bereits eingeführter Begriff und bezeichnet die Inserierung eines älteren Kunstwerkes oder das Fragment eines solchen in ein neues Werk. Tatsächlich wird er zumeist auf materielle „Rahmungen“ bezogen, nicht beispielsweise auf neue räumliche, performative oder auch ideologische Umgebungen eines in materieller Hinsicht unveränderten Werkes, was eine sinnvolle Erweiterung in Analogie zur Bedeutungsentwicklung des Begriffes in den Sozialwissenschaften und der Psychologie wäre. Dort weist die Art des Framings einer Sache deren Bedeutung zu bzw. provoziert ihre Deutung. Das Framing einer Mediennachricht in einer Zeitung beispielsweise beinhaltet u.a. die Sprachwahl für die Information, Setzung der Schlagzeile, die Länge des Beitrags, Einfügung von Bildern und die Positionierung innerhalb der Zeitung. Das Framing beeinflusst die Wirkung, Aufnahmebereitschaft, Deutung und Bewertung der Nachricht auf Seiten der Leser/innen. Der Begriff des Framing bietet weiterhin den Vorteil der Nutzung für wissenschaftsgeschichtliche Fragen, auch den virtuellen Rahmen (bzw. das Rahmen) zu erfassen, in welche die Forschung die Dinge im Zusammenhang von Kanon, Kategorisierung, Gattungen und Methodik stellt - zunehmend auch unter den Bedingungen der Digital Humanities.

Auf diese Weise lassen sich auch Unterschiede der Phänomene kultureller Aneignung strukturell-methodisch erfassen. Eignet sich beispielsweise das Bürgertum im Rahmen von bestehenden Kleiderordnungen Attribute des Adels an, so bedingt dies die Kenntnis, Nutzung und auch Gültigkeit des primären Frames. Das Gleiche gilt in der Literaturgeschichte für die Übernahme von Erzählstoffen, Stilmitteln oder Motiven aus einer Gattung in eine andere, beispielsweise aus der Heldenepik in den Schwank. Erfährt wiederum eine antike Gemme (diachron-interkulturell) ein neues Framing in einem christlichen Reliquiar, so ist ihr ursprüngliches Framing nur partiell Bedingung für das Gelingen des Reframing: oft reicht die Kenntnis oder Annahme, dass sie aus der Lebenszeit Christi stammt.
Das „Wie“ des Framing umfasst u.a. Fragen der Macht aus der Perspektive des Framings selbst. In der Erweiterung von Herrschaftsgebieten und im kolonialen Kontext können auch die „Fremden“ jene sein, die über dominante Narrative und Praktiken ihr Framing durchsetzen. Dies ist auch noch in postkolonialen Zusammenhängen relevant. Ein komplexes Beispiel wäre hier die – heute umstrittene – Inserierung von rituellen afrikanischen Objekten in das westliche Kunst- und Wissenschaftssystem, einerseits in das westliche Kunstsystem der Moderne, andererseits in die Museumslandschaft der ethnologischen Museen.

Die Frage wäre für alle genannten Fälle, ob die kulturelle Aneignung zwingend ein (zumindest partielles) Deframing der Entitäten hinsichtlich ihrer Wahrnehmung, Funktion und Bedeutung in den Herkunftskulturen beinhaltet. Wie verhalten sich diachrone und synchrone Frames der angeeigneten Entitäten zueinander? Kann beispielsweise die „Fortuna“ in der christlichen frühen Neuzeit in der Ambivalenz von schicksalhafter Mächtigkeit und abstrakter Personifikation angeeignet werden, weil ihre Ursprungskulturen nicht mehr bestehen, sie auch an anderer Stelle nicht mehr kultisch als Göttin verehrt wird, d.h. in dieser Hinsicht ein vollständiges Deframing erfahren hat? Zahlreiche Phänomene lassen sich mit den Begriffen des Framings strukturell erfassen: Im Fall einer Invention of Tradition beispielsweise wird für diejenige „Sache“, für welche Anciennität behauptet wird, auch ein virtueller älterer Frame konstruiert. Das Beispiel macht deutlich, dass die dynamisch zu verstehenden Prozesse eines kontinuierenden De- und Reframing als permanente Ordnungsleistungen gesehen werden können. Wir gehen davon aus, dass die Prozesse des De- und Reframing für viele Bereiche in den Kulturen nicht nur symptomatisch bzw. prägend sind und die viel genannte Hybridität kultureller Systeme hervorbringen, sondern auch die kulturelle Produktivität ganz wesentlich steigern.

Auszuloten wäre, ob mithilfe des Framing-Konzeptes die Modi von kulturellen Aneignungsprozessen und damit verbundene Funktionalisierungen und Bedeutungszuschreibungen in den verschiedenen kulturwissenschaftlichen Disziplinen fassbar werden können. Willkommen sind Beiträge aus allen geistes- bzw. kulturwissenschaftlichen Disziplinen, die relevante kulturelle Transfer- und Aneignungsprozesse vorstellen.

Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch. Je nach Bedarf ist ein Zuschuss zu den Kosten für Anreise und Unterkunft möglich.
Vortragsvorschläge in Form eines Abstracts (maximal 5.000 Zeichen inkl. Leerzeichen) sowie kurze Angaben zu CV, Forschungsschwerpunkten und einschlägigen Publikationen werden bis zum 31. Januar 2020 erbeten an Heike.Schliesbg.ac.at.

Organisation: Christina Antenhofer, Heike Schlie

Quellennachweis:
CFP: Framing – Deframing – Reframing (Krems, 16-18 Sep 20). In: ArtHist.net, 12.12.2019. Letzter Zugriff 20.04.2024. <https://arthist.net/archive/22289>.

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