CFP 01.11.2011

Dreiecksverhältnisse: Aushandlung von Stellvertretung

Frankfurt/M., 13.–14.07.2012
Eingabeschluss : 01.03.2012

Dr. Sebastian Kühn

Für Band 13 der Beiträge zur Rechts-, Gesellschafts- und Kulturkritik (vormals Salecina-Beiträge zur Gesellschafts- und Kulturkritik, trafo Verlag Berlin, www.kritische-reihe.de) werden Beiträge zum Thema "Dreiecksverhältnisse: Aushandlung von Stellvertretung", hg. von Malte Gruber und Sebastian Kühn, gesucht.

Im Französischen kann der Stellvertreter „Lieu-tenant“ bedeuten: der den Platz eines Anderen einnimmt. Was als selbstverständlich erscheinen mag, nämlich die prinzipielle Möglichkeit, für einen Anderen zu handeln oder zu entscheiden und ihn damit unmittelbar zu verpflichten – ganz genauso, als ob er selbst gehandelt hätte – ist alles andere als trivial. Vertretungsmacht setzt voraus, dass das Handeln des Stellvertreters einem anderen zugeschrieben wird, bewegt sich mithin zwischen Substitution und Repräsentation. In der Stellvertretung wird Abwesendes sichtbar gemacht, ohne dieses zu ersetzen. Wie geht nun dieser fragile Prozess der Delegierung, Autorisierung und Anerkennung vor sich, wie wird die Handlungsmacht dabei verteilt, wie verändern sich dadurch Hierarchien und Beziehungen der Beteiligten?
Im Bereich der Politik oder des Rechts sind dazu schon differenzierte Überlegungen angestellt worden. Doch der Fokus soll auf weitere, weniger institutionalisierte Bereiche hin erweitert werden: Literatur, Religionen, Kunst, Geschichte oder Wirtschaft liefern vielfältige Beispiele von stellvertretendem Handeln. Denn wenn Stellvertretung verstanden wird als eine triadische Figuration, in der ein Stellvertreter für einen Geschäftsherrn (oder -frau) gegenüber einem Dritten handelt, so zeigt sich die generelle gesellschaftlich vermittelnde Leistung dieser Figur, die sich zugleich als höchst problematisch erweist. Im gesellschaftlichen Leben scheint es unabdingbar, Andere(s) in Vertretung zu beauftragen: niemand kann, will oder darf alles direkt erledigen, entscheiden und beraten. Vielmehr bedarf jedermann gleichsam einer Vervielfältigung der von Savigny so genannten „juristischen Organe“, indem er sich zuzeiten „im Willen“ vertreten lässt.
Stellvertretung setzt dabei allerdings ein komplexes soziales Beziehungsgeflecht voraus, in dem die Balance zwischen allen Beteiligten immer wieder ausgehandelt werden muss. Deutlich wird das vielleicht weniger im Militär oder bei einem Rechtsanwalt, als etwa bei Gesandten und Botschaftern. Inwiefern ist ein Stellvertreter nur Instrument, oder kann er gerade über seine Zwischenstellung Handlungsmacht akkumulieren? Der Stellvertreter soll kontrolliert werden können, muss zugleich aber anerkannt sein – was ihm z.T. erhebliche Handlungsspielräume eröffnet. In unterschiedlichen Graden können diese Beziehungen formalisiert und institutionalisiert sein.
In dem geplanten Band soll es genau um diese Aushandlungsprozesse um den Stellvertreter gehen: Welche Techniken konnten angewendet werden, um Sicherheit, Dauer und Verbindlichkeit zu erreichen, den Stellvertreter aber gleichzeitig nicht als Urheber der Handlungen erscheinen zu lassen? Wie kann eine Stellvertretung beendet werden? Wo lagen die Grenzen der Stellvertretung – wer und welches Handeln kann nicht delegiert werden? Schließlich: wer oder auch was konnte als Stellvertreter/in fungieren bzw. vertreten werden? Das öffnet die Diskussion auf mögliche soziale und Geschlechterdifferenzen ebenso wie auf die keineswegs feststehenden Grenzen zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren. Denn auch Dinge konnten und können als stellvertretende Handelnde wirken – seien es etwa Reliquien, Bilder oder die von Kantorowicz beschriebenen königlichen Effigien, die den Platz des verstorbenen Königs zeitweise einnahmen.
In historischer und interdisziplinärer Perspektive öffnet sich so ein breites Untersuchungsfeld, in dessen Fokus v.a. die Mikroebene der konkreten Aushandlungsprozesse stehen wird. Erfragt sind Beiträge aus allen Disziplinen, die sich mit der systematischen und historischen Tiefenschärfe des Phänomens der Stellvertretung befassen.

Anmeldungen von Beiträgen: bis 1. März 2012.

Es ist eine Arbeitstagung zur Besprechung der Beiträge geplant: 13./14. Juli 2012.

Bitte senden Sie Ihre Themenvorschläge mit einem Exposé und kurzen biobibliographischen Angaben an eine der folgenden Anschriften:

Dr. Malte Gruber
J. W. Goethe-Universität
FB Rechtswissenschaft
Institut für Wirtschaftsrecht
Grüneburgplatz 1
60629 Frankfurt a. M.
Tel.: +49 (0)69 798 34254
Fax: +49 (0)69 798 763 34254
gruberjur.uni-frankfurt.de

Dr. Sebastian Kühn
Centre Marc Bloch
Friedrichstr. 191
D-10117 Berlin
Tel.: +49 (30) 209370725
kuehncmb.hu-berlin.de

Quellennachweis:
CFP: Dreiecksverhältnisse: Aushandlung von Stellvertretung. In: ArtHist.net, 01.11.2011. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/archive/2135>.

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