CFP 24.03.2017

engagée. politisch-philosophische Einmischungen: Maschine-Werden

Wien/ Berlin/ Utrecht/ London
Eingabeschluss : 23.04.2017
www.engagee.org/call.html

Anna-Verena Nosthoff
“Die gewaltige Ausweitung des Internets wird zum Motor einer der aufregendsten gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Revolutionen der Geschichte, und anders als in früheren Epochen wirken die Veränderungen diesmal weltweit. Nie zuvor in der Geschichte der Menschheit hatten so viele Menschen an so vielen Orten so viele Möglichkeiten.”
– Eric Schmidt (ehemaliger CEO von Google, nun Executive Chairman von Alphabet Inc.) und Jared Cohen (Gründer von Google Ideas), Die Vernetzung der Welt

„Wir sind jetzt die Ureinwohner, deren Ansprüche auf Selbstbestimmung stillschweigend von den Karten unseres eigenen Verhaltens verschwunden sind.
Sie wurden getilgt durch einen verblüffenden, dreisten Akt der Enteignung durch Überwachung, der das Recht beansprucht, in seinem Hunger nach Wissen und Einfluss auf unsere Verhalten keinerlei Grenzen zu achten. Wer sich über denlogischen Abschluss de r Kommerzialisierungsprozesse wundert, dem sei gesagt, dass sie ihren Abschluss in der Enteignung unserer intimsten alltäglichen Realität finden, nun wiedergeboren als Verhalten, das es zu überwachen und zu verändern, zu kaufen und zu verkaufen gilt.“
– Shoshana Zuboff (Harvard Business School), Überwachungskapitalismus: Wie wir Googles Sklaven wurden

Die Welle 4.0 der digitalen Revolution hat uns längst erfasst: Unaufhörlich und immer tiefer dringen smarte Maschinen, Drohnen und das Internet der Dinge in unsere Lebenswelt ein. Langfristig sind sie sogar darauf angelegt, im Hintergrund unserer Alltagspraxen zu verschwinden – wie Eric Schmidt es formuliert: “The Internet will disappear. It will be part of your presence all the time.”
Beunruhigenderweise wissen wir jedoch immer noch nicht, wie politisch auf die Digitalisierung zu reagieren ist – schließlich sind ihre Folgen nur schwer abschätzbar: Twitter etwa, vor einigen Jahren noch Hoffnungsmedium der arabischen Revolutionen, offenbarte sich zuletzt als fröhlich bespielter Kanal von Trumps Populismus.
Immer offensichtlicher wird also, dass Technik nur über eine Ambivalenz zu definieren ist, die sich auch in ihrer Bewertung niederschlägt: Die Einen affirmieren die Digitalisierung – von Big Data über das Life-hacking bis zum smarten Kühlschrank – als notwendige Medizin, begreifen sie nach wie vor als gegenkulturelle ‘Emanzipationsmaschine’; forcieren mit ihnen sogar akzelerationistisch das Ende des Kapitalismus.
Die Anderen erkennen in den digitalen Innovationen in erster Linie Gift: einen durch sie aufgerüsteten Konsum- und Kontrollapparat, dessen Machbarkeitsethik keine “moralische Phantasie” kennt, dessen Automationsprozesse Arbeitsplatz-, Freiheits- und Weltvernichtung bedeuten; und schließlich vermeinen sie im allumfänglichen Maschinenraum der Daten sogar die Potenziale der Kritik untergehen zu sehen, was dann bedeutet: End of Theory. Die Interfaces des digitalen Neulands sind also von Meinungsgräben durchzogen – und wie die binäre Programmierungslogik aus 0 und 1 scheinen sich allzu häufig blind-technophiler Optimismus und skeptisches Ressentiment weitestgehend unerhört gegenüber zu stehen.
In diesem Spannungsfeld will die fünfte Ausgabe der Zeitschrift engagée. politisch-philosophische Einmischungen konkreter werden, sich den digitalen Entwicklungen – ihren Potentialen und Verwerfungen, Versprechungen und Überforderungen – politisch philosophisch annehmen. Mit Günther Anders gesprochen möchte sie versuchen, „die Kapazität und Elastizität unseres Vorstellens und Fühlens den Größenmaßen unserer eigenen Produkte und dem unabsehbaren Ausmaß dessen, was wir anrichten können, anzumessen; uns also das Vorstellende und Fühlende mit uns als Machenden gleichzuschalten.”
Besonders interessieren uns Interventionen, Auseinandersetzungen und Reflexionen dazu, wie die Digitalisierung das Soziale, das Politische, Formen individueller Subjektivierung sowie gesellschaftliche Individuationsprozesse, theoretische Vorstellungen und praktische Beweggründe affiziert: Welche kulturelle Verschiebungen (Quantified Self, Smombies, Social Freezing etc.), ökonomische Disruptionen (Prekarisierung, Grundeinkommen, Ungleichheit etc.) und realpolitische Irritationen (Data Mining à la NSA, Fake-News à la Trump, Cyberattacken à la Geheimdienst etc.) lassen sich beschreiben, welche Horizonte unter Rückgriff auf welche Begriffe (Postkapitalismus, Kybernetik, Cyberkommunismus, Transhumanismus etc.) aufzuzeigen?
Was ist eigentlich ‘revolutionär’ an der digitalen “Revolution”? Welche realpolitischen Konsequenzen und Formen der Prekarisierung gehen mit der allseits geforderten ‘Newness’ in der plattformkapitalistischen New Economy einher (Uber, airBnB, Facebook etc.)? Und was überhaupt heißt “sozial”, wenn von “sozialen Medien” gesprochen wird?
Wie ist das Verhältnis zwischen equal access und politischer Teilhabe, digitaler Partizipation und politischer Handlungsfähigkeit zu denken? Ist Begriffsarbeit überhaupt noch hinreichend, um die Phänomene und Fragen der “Techno-logie” zu erfassen? Hieße es heute: “Emanzipier dich durch oder von der Technik”, “Willkommen in der Box! oder ‘Fuck off, Google!’”, Kritik der Kontrolle oder Kontrolle der Kritik? Oder verschließen uns derlei Dichotomien nicht doch vielleicht die nötigen Gestaltungs- und Emanzipationsmöglichkeiten?

Neben der dringlichen Kritik digitaler Hierarchien, informationeller Wahrheitsregime und disruptiver Tech-Ökonomien suchen wir nach emanzipativen Möglichkeiten, sich die Technik anzueignen, nach Alternativen zu den gewaltigen Monopolen, nach neuen politischen Formaten, aktivistischen Hackerethiken und Spielweisen, die das Internet ermöglicht. engagée möchte über eine Analyse des Ist-Zustands hinausweisen und fordert mutige Einmischungen – auf der Suche nach wild wuchernden Zukünften.

Künstlerische, essayistische, literarische, journalistische, politikwissenschaftliche, politisch theoretische und philosophische Interventionen und Beiträge sind willkommen bis zum 23.04.2017 und können an redaktionengagee.org gesendet werden. Die Beiträge sollen nach Möglichkeit eine Länge von 10.000 Zeichen nicht überschreiten, Bildmaterial ist ausdrücklich erwünscht.
Bitte beachte auch genauere Hinweise zu Zitation, Stil, der offenen Redaktion, den Einreichungsbedingungen der Blattlinie (http://www.engagee.org/call.html).

Call for Contributions é-Blog:

Themenunabhängige Beiträge, die zur Blattlinie (http://www.engagee.org/blattlinie.html) von engagée passen, veröffentlichen wir laufend auf unserem Blog. Vorschläge und Einreichungen können jederzeit an die Redaktion gesendet werden. Länge, Stil und Form der Beiträge stehen den AutorInnen frei.

Quellennachweis:
CFP: engagée. politisch-philosophische Einmischungen: Maschine-Werden. In: ArtHist.net, 24.03.2017. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/archive/15049>.

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