Region - Kunst - Regionalismus. Regionale Identifizierungen mit den Mitteln
der Künste in Zentral-, Ostmittel-, Südost- und Osteuropa von der 2. Hälfte
des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart.
Jahrestagung des Johann Gottfried Herder-Forschungsrates 2005, in
Kooperation mit dem Herder-Institut, Herder-Institut, Marburg 1.-3. April
2005
Katja Bernhardt (Berlin)
Die diesjährige Jahrestagung des Herder-Forschungsrates und des
Herder-Instituts fügte sich in die aktuelle Methodendiskussion ein, die in
der Geschichts- und in der historisch arbeitenden
Kunstgeschichtswissenschaft in den letzten Jahren mit hoher Dynamik immer
wieder neue Forschungsmodelle, wie Globalisierungsgeschichte, transnationale
Geschichte oder aber die Neubewertung der Kategorie des Raumes, zur
Diskussion stellt. In Marburg nun wurde die „Region“ als methodischer
Bezugsrahmen für die Erforschung der Kunstgeschichte Mittel-, Ost- und
Südosteuropas der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart in
den Mittelpunkt der Auseinadersetzung gerückt. Mit dieser Themenstellung
nahmen die beiden Organisatoren, Michaela Marek (Herder-Forschungsrat,
Leipzig) und Dietmar Popp (Herder-Institut, Marburg), eine bereits längere
Tradition von Regionalforschung im Rahmen der beiden Institutionen auf [1],
fokussierten diese jedoch auf speziell kunstgeschichtliche Fragen. Die ließ
erwarten, dass Problemfelder thematisiert würden, die bis dato unter der
diesen Bereich der Kunstgeschichte in den letzten Jahren prägenden
Perspektive der „Nation“, nicht in den Blick geraten waren.
Nach den Begrüßungsworten des stellvertretenden Direktors des
Herderinstitutes Winfried Irgang (Marburg) verwies Klaus Roth (Präsident des
Herder-Forschungsrates, München) in seinen einleitenden Worten auf die
schwierige begriffliche und räumliche Bestimmung von „Region“ und auf die
damit verbundenen methodischen Probleme. Regionen seien zwar für einen
bestimmten Betrachtungsmoment im geografischen Sinne bestimmbar, entzögen
sich jedoch aufgrund ihrer steten räumlichen und zeitlichen Dynamik einer
eindeutigen und dauerhaften Zuordnung. Dies um so mehr als dass „Region“
eine Kategorie sei, die immer auch einer subjektiven Beurteilung unterläge.
Die spezifisch kunsthistoriografische Problematik, die mit dem Begriff „Region“ verbunden ist, nahm Dietmar Popp (Marburg) in seiner Begrüßung auf.
Er hob hervor, dass dieser neuerliche Zugang auf Region in einer Abgrenzung
zu den Methoden und Zielsetzungen der Kunstgeografie, des Modells der
Kunstlandschaft sowie des auf Nationen abhebenden Konzeptes von Georg Dehio
zu vollziehen sei. Michaela Marek (Leipzig) verbildlichte diesen Unterschied
methodischer Ansätze später in ihrem Beitrag, indem sie für die
Regionalismen von einer horizontalen hingegen für das Konzept der
Kunstlandschaft von einer vertikalen Betrachtungsweise, durch die
Stilentwicklungen hindurch, sprach.
Mit der ersten Sektion „Regionalität und Modernisierung“ wurde ein, wie es
im Verlaufe der Konferenz deutlich wurde, zentrales Problemfeld der
Regionalismen thematisiert. Ákos Moravánszky (Zürich) zeigte anhand
verschiedener, insbesondere ungarischer Beispiele, dass dieses Verhältnis
durchaus ambivalenten Charakter haben konnte. Der Rückgriff auf Formen
regionaler Architektur zu Beginn des 20. Jahrhunderts, einerseits als
Korrektiv zu den rasanten Modernisierungsprozessen verstanden, konnte
andererseits als spezifisches Mittel der Modernisierung begriffen werden,
welches dazu dienen sollte, dass „die Werte der Peripherie zur Entstehung
einer modernen nationalen Kultur des Zentrums beitragen“ würden. Jenes
Modell von Peripherie und Zentrum, das von einem Spannungsverhältnis
zwischen den dynamischen, normativen, aus dem Zentrum drängenden Kräften und
den so genannten Beharrungskräften in der Peripherie ausging, und als
solches auch der Kunstgeografie zu Grunde lag, blieb weder in der Kunst
selbst noch in der Kunstgeschichtsschreibung unangefochten, wie Marina
Dimitrieva (Leipzig) erörterte. Die moderne Kunst in Mittel- und Osteuropa
sucht, die Perspektive umzukehren, indem sie sich selbst als Zentrum
bestimmte, oder aber gedachte diesen Gegensatz von Zentrum und Peripherie
mit dem Modell einer Vernetzung aufzulösen. Die jüngere
Kunstgeschichtsschreibung „aus der Peripherie heraus“, stellt diese
Hierarchie in Frage, indem sie von einem „in between“ oder aber von einer „Peripherie, die kein Zentrum mehr braucht“ spricht.
Die beiden nachfolgenden Beiträge führten einen weiteren für die Konferenz
wesentlichen Aspekt, das Verhältnis von Region und Nation ein. Rüdiger
Ritter (Bremen) beschrieb dieses Verhältnis für seinen
Untersuchungsgegenstand, die Musiktradition im Raum Warschau - Wilna -
Minsk, als eine Dekonstruktion der Region durch die Nation. Während die
musikalische Praxis im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert eine
selbstverständliche ethnische Durchmischung kennzeichnete, seien im
offiziellen Umgang mit der Musik Kulturpolitik, zeitgenössische
Deutungsmuster und spätere Forschung von nationalen Paradigmen geprägt
gewesen. Diese brächen erst in den letzten Jahren auf und stießen eine
neuerliche „Wiederentdeckung regionaler Musiktraditionen“ an. Ein ähnliches
destruktives Verhältnis der Nation zur Region spiegelt sich auch in der
Bedeutungsverschiebung des Begriffes „baltisch“ wider, die Ulrike von
Hirschhausen (Hamburg) darlegte. Während die Einführung des Begriffes „baltisch“ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen von der
deutschen Oberschicht in den russischen Ostseeprovinzen ausgehenden Versuch
darstellt, die Region als eine multiethnische, sich vom Rest des russischen
Reiches unterscheidende, räumliche Einheit zu beschreiben, wurde diese
Einheitlichkeit der „baltischen“ Region nach dem ersten Weltkrieg, unter
Ignoranz der ethnischen Vielschichtigkeit der Region, allein von der
deutschen Bevölkerung in Konkurrenz zu den entstandenen Nationalstaaten der
Letten, Litauer und Esten abgeleitet.
Die zweite Sektion unter der Überschrift „Architektur (-traditionen) als
Mittel regionaler Identifizierungen“ nahm mit neun Vorträgen den weitaus
größten Raum der Konferenz ein. Tatsächlich warf das starke Übergewicht
architekturhistorischer Beiträge die Frage auf (Michaela Marek), inwiefern
dies eine Widerspieglung der Gewichtung wissenschaftlichen
Forschungsinteresses sei oder aber sich hier eine führende Rolle der
Architektur in der Visualisierung von regionaler Identität abzeichne.
Michaela Marek leitete die Sektion mit theoretischen Überlegungen zum
Forschungsstand und zum Umgang mit der Kategorie „Region“ ein. Mit Blick auf
die jeweils schwierige inhaltliche und räumliche Konkretisierung von „Region“ bezeichnete sie diesen Begriff als eine „Verlegenheitslösung“, die
jedoch als wissenschaftliches Modell gerade in ihrer Variabilität und engen
Verbindung mit Prozessen fruchtbringend anwendbar sei. Sie formulierte einen
Fragenkatalog, der eine wissenschaftliche Annäherung an „Region“ ermöglichen
solle. Drei Schwerpunkte zeichneten sich dabei ab. Erstens: Fragen nach der
Entstehung (Auslöser) der Region, dem regionalen Selbstverständnis und deren
Verhältnis zu Staat und Nation; zweitens: Fragen nach der Rolle und des
Anspruches der Kunst und Kultur in der regionalen Identitätsbildung, wobei
die scheinbar führende Rolle der Architektur zu hinterfragen sei und
drittens: Fragen nach Modernisierungsprozessen, die sich in Regionalismen
widerspiegeln. Am Beispiel des in den Jahren 1902-17 von Dusan Jurkovic
realisierten Projektes des Heilbades Luhacovice, zeigte Marek anschließend
wie traditionelle respektive regionale Architekturformen unter dem Einfluss
nationaler Interessen sowie architekturkritischer Forderungen von Jurkovic
in eine neue architektonische Form transformiert wurden. Ähnliche Prozesse
der Adaption und Transformation traditioneller Architektur für die Kreierung
eines architektonischen Nationalstils vollzogen sich ähnlich in Litauen, wie
Giedre Jankeviciute (Wilna) in ihrem Beitrag: „Invented Tradition.
Lithuanian Architecture of the 1930's“ darstellte, wie auch in Polen. In den
Beiträgen von Malgorzata Omilanowska (Warschau) und Tomasz Szybisty (Krakau)
wurde der so genannte „Zakopaner Stil“ untersucht. Unter der Annahme, dass
sich in Zakopane jene ursprüngliche Architekturtradition erhalten habe, die
einst für das gesamte polnische Gebiet charakteristisch gewesen sei, wurde
eine regional eingrenzbare Architekturform um die Jahrhundertwende zum
Ausgangspunkt für die Erneuerung der polnischen Architektur ausgerufen. Der
später so genannte „Zakopaner Stil“ konnte sich jedoch nicht, so
Omilanowska, als gesamtpolnischer Architekturstil etablieren. Vielmehr habe
sich eine funktionsgebundene Nutzung für Sanatorien und Urlaubseinrichtungen
durchgesetzt, schließlich sei er wieder auf seine Ursprungsregion „zurückgeschrumpft“.
Dass es durchaus konkurrierende Konzepte im Umgang mit den traditionellen
Architekturformen des Zakopaner Umlandes gab, arbeitete Szybisty an den
Beispielen von Stanislaw Witkiewicz (1871-1915) und Edgar Kováts (geb. 1849)
heraus. Während Witkiewicz eine stilreine Übernahme im Sinne einer neuen
Nationalarchitektur forderte, begriff Kováts, aus der Wiener Schule kommend
und mit der internationalen Architekturdiskussion vertraut, die
traditionellen Formen als Anregung, die er in den eigenen Arbeiten kreativ
umsetzte. Letztlich, so das Fazit beider Referenten, führte diese, an die
Region von außen heran gedrängte, Architekturdiskussion bei den Bewohnern
der Region, den Goralen, zu einer Verunsicherung, schließlich zu einer
Zerstörung der eigentlichen, regionalen Traditionen.
Ähnlich wie Kováts verstanden auch Leopold Bauer (1870-1956) und Josef
Hofmann (1872-1938), die gleichfalls in Wien ausgebildet worden waren und in
einem Beitrag von Jindrich Vybíral (Prag) vorgestellt wurden, Regionalismen
als Inspiration und Quelle für ihr schöpferische Arbeit, jedoch tritt bei
ihnen, eine Generation nach Kováts, die Kritik an der streng am Material und
der Konstruktion orientierten Arbeitsweise ihres Lehrers Otto Wagner hinzu.
Zugleich zeige sich ein pragmatischer Umgang mit den regionalen Formen, die
bei Bauer weniger als Identifikationsangebot verarbeitet wurden, sondern
vielmehr die Auftragslage reflektierten.
Eine interessante Blickrichtung eröffnete Christian Welzbacher (Berlin),
indem er mit seiner Analyse des Kriegerehrenmals von Massow / Pommern
(Gregor Rosenbauer, 1926) zeigte, wie das inhaltliche und formale Konzept
des nicht realisierten Reichsehrenmals für die Gefallenen des Ersten
Weltkrieges auf einer Rheininsel im Sinne eines regionalen Ehrenmals für
Pommern u.a. über die Verwendung des typisch regionalen Baumaterials
(Backstein) und der räumlichen Ausrichtung nach Osten modifiziert worden
ist.
Die bis dato in den Beiträgen implizite und zu hinterfragende Annahme (die
mit der Sektionsüberschrift bereits angedeutet bzw. in Frage gestellt
wurde), dass regional zugleich auch traditionell heiße, relativierte Irma
Kozina (Kattowitz) in ihrem Beitrag zur Architektur in Oberschlesien. In
dieser seit Ende des 19. Jahrhunderts sich neu herausbildenden
Industrieregion, griff man, aus Ermangelung einer auf die entstehenden
Industriestädte adäquat anwendbaren regionalen Tradition, die für die
damalige Zeit modernen städtebaulichen und architektonischen Konzepte auf.
Diese formten schließlich einen akzeptierten Identifikationsrahmen für die
neu zugezogenen Arbeiter.
War für Oberschlesien die wirtschaftliche Dynamik der Auslöser für die
Ausbildung einer neuen regionalen Identität, so war es im Falle der Stadt
Rostock, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene geopolitische Lage, die
eine, vom politischen Willen der DDR-Regierung forcierte, lokale Identität
entstehen ließ. Simone Hain (Berlin) zeigte, wie mit architektonischen und
künstlerischen Mitteln, so z.B. über den Bezug zur hanseatischen
Bautradition, einer spezifischen Ostseeikonologie bis hin zu assoziativ
wirkenden Elementen im Plattenbau, die Stadt mit dem einzigen Überseehafen
der DDR zu einem „Tor zur Welt“ stilisiert wurde. Die durchaus
bedenkenswerte Idee, die Ostsee als regionalen Raum zu betrachten, klang
auch im Beitrag von Andreas Fülberth (Kiel): „' Regionalspezifisches' in der
jüngeren Architektur - exemplifiziert an einigen seiner Erscheinungsformen
in Lettland und Estland“ an.
Mit der dritten Sektion wurde ein räumlicher Fokus gesetzt. Zugleich aber
auch mit der Überschrift „'Habsburg' als Faktor regionaler Integration und
Desintegration“ eine für die Auseinandersetzung mit „Region“ fruchtbringende
Fragestellung angeregt. Diese wurde von Werner Telesko (Wien) aufgenommen.
Er stellte in seinem Beitrag der zentral von Wien ausgehenden, im Sinne von
Vereinheitlichung auf Integration abzielenden Visualisierung von Dynastie-
und Staatsgeschichte im 19. Jahrhundert die Bemühungen dreier österreichischer Regionen - Salzburg, Steiermark und Tirol - um die
Ausbildung einer eigenen, spezifisch regionalen Identität gegenüber. Diese
sich dabei in Form von Erinnerungskultur manifestierenden „identifikatorischen Bezugspunkte“ verstand Telesko dabei als „flexibel
einsetzbare Faktoren der ,Abgrenzung' zum habsburgischen Gesamtstaat.“ Das
hier erneut aufgegriffene Problem von Zentrum und Peripherie setzte sich,
nunmehr auf der Ebene künstlerisch-intellektueller Wahrnehmung, im
nachfolgenden Beitrag über „Die Entdeckung der Puszta“ von Elfriede
Wiltschnigg (Graz) fort. Während die ungarische Tiefebene in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts für die aus Wien anreisenden Maler als
Projektionsfläche für einen „romantischen Exotismus“ und als Peripherie
zugleich als Zufluchtsort vor dem Modernisierungsdruck der Großstadt diente,
etablierte sich die Puszta in der Wahrnehmung der ungarischen Künstler,
sowohl in der Malerei als auch in der Literatur, zu einem zentralen Ort
nationaler Identifikation.
Roland Prügel (Freiburg) und Robert Born (Berlin) stellten mit ihren
Beiträgen über das Konzept des „Transsilvanismus“ im Rahmen der Konferenz
das wohl nachdrücklichste Beispiel eines expliziten Regionalismuskonzeptes
vor. Ausgelöst durch die staatsräumliche Situation nach dem Ersten Weltkrieg
und getragen von Intellektuellen und Künstlern hatte der „Transsilvanismus“
das Ziel, eine sich über die ethnischen Unterschiede und nationalen
Zugehörigkeiten der Bewohner Siebenbürgens hinwegsetzende regionale,
transsilvanische Identität zu etablieren und den Status einer autonomen
multiethnischen Provinz innerhalb Rumäniens zu erlangen. Schließlich, so das
Ergebnis Roland Prügels, unterlag das Projekt der Konkurrenz
nationalpolitischer Integrationskraft und staatlicher Intervention. Die Idee
eines siebenbürgischen Kunstsalons scheiterte, nach einem ersten
erfolgreichen Versuch 1920/21, an der Gründung nationaler
Künstlerdachverbände und der siebenbürgischen Kunstschule wurde der Status
einer akademischen Ausbildungsstätte und schließlich die finanzielle
Unterstützung verweigert. Den Ansätzen einer integrativen, transsilvanischen
Kunstgeschichtsschreibung, so Born, standen jedoch nationalpolitische
Interpretationsansätze mit einem starken propagandistischen Anspruch
entgegen.
Das Wiederaufrufen galizischer Identität und des Erinnern an die
habsburgischen Abschnitte der eigenen Geschichte in der zeitgenössischen
ukrainischen Literatur, u.a. bei Jurji Andruchowitsch, war der Gegenstand
des letzten Beitrages der Konferenz. Diese Form des Erinnerns, so Stefan
Simonek (Wien), diene als Antipode zur einer „'gedächtnislosen'
postsowjetischen ukrainischen Identität“ zugleich habe sie jedoch auch eine
integrative, auf Europa gelenkte Zielrichtung. Aufschlussreich war die
Beobachtung Simoneks am Beispiel von Andrzej Stasiuk, dass in Polen das
Erinnern an die galizische Geschichte der stärker bindenden nationalen
polnischen Identität unterliegt.
Dieser letzte Konferenzbeitrag war einer der beiden zeitlichen „Ausreißer “,
die sich einem Thema der Zeit nach 1945 widmeten. Ansonsten waren die
Ergebnisse der Marburger Konferenz von einem auffallenden zeitlichen
Schwergewicht auf die Zeit um 1900 und die erste Hälfe des 20. Jahrhunderts
geprägt. Diese Gewichtung ist sicher eine Spieglung des gegenwärtigen
Forschungsinteresses, zugleich wird aber hiermit die Frage nach „Regionen“
mit der Dominanz nationaler Selbstfindungsprozesse konfrontiert. Deutlich
wurde dies in mehreren vorgestellten Beispielen, bei denen regionale
Traditionen, insbesondere Architekturtraditionen, weniger mit dem Ziel der
Ausbildung einer regionalen Identität aufgegriffen wurden, sondern vielmehr
diese aus ihrem eigentlichen Kontext herausgefiltert und einem intellektuell
gesteuerten Transformationsprozess unterzogen wurde, der auf die Schaffung
eines nationalen Architekturstils abzielte. Insofern zeigte sich hier das
Konferenzthema eher in seiner Umkehrung - der Auflösung von regionaler
Identität. Ein ähnlicher Transformations- und Auflösungsprozess vollzog sich
auch mit der Instrumentalisierung von regionalen Traditionen innerhalb der
Suche nach neuen architektonischen Ausdrucksmitteln. Wichtig wäre es, in
diesem Zusammenhang genauer zu untersuchen, inwiefern der Begriff „regional“
die zeitgenössische Wahrnehmung tatsächlich treffend umschreiben kann, oder
ob hier nicht vielmehr Begriffe wie „traditionell“, „volkstümlich“,
„ursprünglich“ oder auch „ländlich“ prägend waren. Daran schließt sich
zugleich eine Kritik an der vielen Beiträgen impliziten Annahme an, dass „regional“ zugleich „traditionell“ und „peripher“ sei, wofür es während der
Konferenz auch Gegenbeispiele gab. Diese Sichtweise würde sich eventuell
jedoch bei der Betrachtung von anderen Zeiträumen von selbst auflösen.
Besonders hervorzuheben ist, dass mit mehreren Beiträgen der Blick über die
Fachgrenzen der Kunstgeschichte hinweg gerichtet wurde. Denn gerade die
wissenschaftliche Beschäftigung mit „Region“ und „Regionalismen“ fordert zu
einer interdisziplinären Arbeitsweise heraus, die u.a. zu einer genaueren
Bestimmung der Begrifflichkeit und des methodischen Umgang mit „Region“
beitragen kann. Die in den Vorträgen und der regen Diskussion
herausgearbeiteten vielschichtigen Verflechtungen von „Region“ und „Regionalismen“ mit dem Prozess der Nationsbildung, dem Spannungsverhältnis
von Zentrum und Peripherie bzw. Desintegration und Integration sowie mit
allgemeinen Modernisierungsprozessen und architekturreformatorischen
Bewegungen zeigen gewinnbringende Forschungsansätze auf, die eine kritische
Revision von „Region“ und „regionaler Kunst“ in der Kunstgeschichte und der
Kunstgeschichtsschreibung ermöglichen. Darüber hinaus kann die Kategorie „Region“, so zu sagen als Operator, im Rahmen anderer Forschungsmodelle zu
einer aufschlussreichen Erweiterung oder aber zu einer sinnvollen
Differenzierung, möglicherweise gar zu einer Neubewertung, bisheriger
Forschungsergebnisse beitragen.
Im Ergebnis muss die Marburger Konferenz als eine ausgesprochen interessante
Veranstaltung gewertet werden, die zahlreiche Anregungen für eine
thematische Vertiefung und methodische Schärfung im Umgang mit der Kategorie „Region“, die sich nach wie vor als ein für die kunstgeschichtliche
Forschung schwer zu fassendes Modell erwies, aufzeigte.
Anmerkungen
[1] Siehe u.a.: Regionale Bewegungen und Regionalismen in europäischen
Zwischenräumen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts im Vergleich [=Tagungen
zur Ostmitteleuropa-Forschung, Bd. 18], hrsg. v. Philipp Ther und Holm
Sundhausen, Marburg, 2003; Identitätswandel und nationale Mobilisierung in
Regionen ethnischer Diversität. Ein Vergleich zwischen Westpreußen und
Galizien am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts [Tagungen zur
Ostmitteleuropa-Forschung, Bd. 20], hrsg. v. Ralph Schattkowsky und Michael
G. Müller, Marburg, 2004
Redaktion: Livia Cárdenas

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