Kontinuität und Neubeginn. Kunstgeschichte
im westlichen Nachkriegsdeutschland Veranstalter: Kunsthistorisches Institut
der Universität Bonn. Organisatoren: Dr. des. Nikola Doll, Ruth Heftrig
M.A., Dr. Olaf Peters, PD Dr. Ulrich Rehm (Finanziert durch die Fritz
Thyssen Stiftung) Ort, Datum: Bonn, 07.-09. Oktober 2004
Julia Krings (Bonn) und Kathleen Schröter (Bonn)
Das Fach Kunstgeschichte hat sich in den letzten Jahren verstärkt
mit der Geschichte der eigenen Fachdisziplin im Nationalsozialismus auseinandergesetzt,
wobei die Frage nach personeller, institutioneller, methodischer und thematischer
Kontinuität und Diskontinuität nach dem immer noch als „Stunde
Null“ bezeichnetem Jahr 1945 bislang weitgehend unbeantwortet blieb.
Die Organisatoren der Tagung wollten diesem Defizit begegnen und die fachspezifischen,
weltanschaulichen und methodischen Grundlagen der westdeutschen Kunstgeschichte
vor und insbesondere nach 1945 im zeitgeschichtlichen Kontext diskutieren.
Die Beiträge der einzelnen Referenten gingen dabei über die
rein universitäre Kunstgeschichte hinaus und beinhalteten auch Themen
des Ausstellungswesens und der Kunstpublizistik, so dass wichtige Aspekte
der Kunstgeschichte von etwa 1920-1960 nachgezeichnet werden konnten.
Eröffnet wurde die Tagung am Donnerstag Abend mit einem Vortrag von
Otto Karl Werckmeister (Berlin), der, insofern er eine kritische Betrachtung
der heutigen Kunstgeschichte vornahm, grundsätzliche Fragestellungen
jenseits des spezifischen Tagungsthemas aufwarf. Werckmeister konstatierte
für die Kunstgeschichte einen Modernisierungsdruck, der mit einer
durch zunehmende Technologisierung vorangetriebene Ästhetisierung
der Lebensverhältnisse einhergehe und zu einer Entgrenzung des Faches
führe. Als ein Beispiel nannte er die von einigen Vertretern des
Faches angestrebte „Bildwissenschaft“. Im Gegensatz dazu plädierte
Werckmeister für eine „radikale Kunstgeschichte“ (so
der Titel seines Vortrags), womit eine unbedingte Hinwendung zu den traditionellen
Gegenständen und Methoden des Faches gemeint sei. Dazu gehöre
auch die Wiedereinführung desästhetischen Urteils, das durch
seine Abdankung die eigentliche Bestimmung der Kunstgeschichte habe verloren
gehen lassen. Anstatt sich einem politischen Leistungsdruck zu beugen,
sollten ältere wissenschaftliche Forschungsmethoden einer „radikalen
Revision“ im Hinblick auf ihre heutige Anwendbarkeit unterzogen
werden. Im Zuge einer „radikalen Historisierung“ müsse
man auch gegenwärtige Kunst nach ihren Entstehungs-, Rezeptions-
und Funktionsbedingungen und den machtpolitischen Hintergründen befragen,
wie es insbesondere von der marxistischen Kunstgeschichte geleistet würde.
Der Freitag morgen wurde mit einem Vortrag von Veronica Davies (London)über
die deutsch-britische Zusammenarbeit im Nachkriegsdeutschland eröffnet.
Der Fokus lag hier auf der Beziehung zwischen den britischen Kunstoffizieren
und den deutschen Verantwortlichen in Kunst und Kultur, wobei letztere
häufig die Initiative ergriffen hätten, um in den diversen Kulturbereichen
weiterarbeiten zu können. Davis stellte dar, wie sich einzelne kulturpolitische
Schwerpunkte innerhalb der Re-education im Zuge des sich abzeichnenden
Kalten Krieges verändert haben.
Anschließend stellte Christian Fuhrmeister (München) mit einem
biographischen Ansatz die Personal- und Wissenschaftspolitik der Nachkriegszeit
für das Kunsthistorische Institut in München vor. So konnte
der Kunsthistoriker Hugo Kehrer, der ohne große wissenschaftliche
Profilierung 1935 auf Fürsprache des Reichserziehungsministeriums
eine außerordentliche Professur erhalten hatte, nach 1945 behaupten,
er habe sich unter Hitler nie politisch verhalten, sondern lediglich der
Wissenschaft gedient, die per se unpolitisch sei. Die Spruchkammerverfahren
folgten seiner Argumentationsfigur der „reinen Wissenschaft“
und stuften Kehrer als Mitläufer (Klasse 4) ein. Auch wenn er nicht
mehr lehren durfte, verlor er seine Pensionsansprüche nicht und erhielt
alle Würdigungen eines emeritierten akademischen Professors. Dem
Privatdozent Ernst Strauß hingegen, der 1933 als „Nicht-Arier“
beurlaubt worden war und emigrierte, blieb nach 1945 eine Rückkehr
an die Universität untersagt. Mit der Begründung, er habe nach
1933 nicht mehr viel publiziert, wurde ihm die wissenschaftliche Qualifikation
abgesprochen und zudem bis 1957 Pensionsansprüche vorenthalten. Inwieweit
diese Biographien exemplarisch für die Kontinuität des Lehrpersonals
auf der einen Seite und für die Schwierigkeiten der Remigranten und
dem ihnen entgegengeschlagenen Misstrauen seien, war Bestandteil der anschließenden
Diskussion. Weiterhin wurde die Frage nach den Ursachen der nicht erfolgten
Rehabilitation von Strauß gestellt, und ob diese eher bei den Behörden
oder tatsächlich bei der Wissenschaft selbst zu finden seien.
Weniger auf biographische Daten als auf inhaltliche Kontinuitäten
und Diskontinuitäten in Publikationen einzelner Kunsthistoriker zielte
der darauffolgende Beitrag von Ruth Heftrig (Bonn) ab. Am Beispiel von
Texten des Kunsthistorikers Heinrich Lützeler, der vor seiner Entlassung
1933 Privatdozent am Bonner Institut war und dort nach 1945 Ordinarius
wurde, verdeutlichte Heftrig die unterschiedliche Beurteilung der Moderne
und hier insbesondere des Impressionismus vor und nach 1945. So bezeichnete
Lützeler in früheren Publikationen Eduard Munch und Otto Dix
in christlicher Erlösungs-Metaphorik als Retter der Kunst, die aufgrund
eines neuen Realismus die Krise der Moderne überwunden hätten.
Nach 1945 stand Lützeler der abstrakten Kunst jedoch aufgeschlossen
gegenüber, sie wurde von ihm nun als folgerichtige Entwicklung des
Impressionismus bezeichnet. Dennoch erfolgte seinerseits keine unbedingte
Bejahung abstrakter und gegenstandsloser Kunst wie etwa bei Baumeister
in dem 1. Darmstädter Gespräch von 1950, aber eben auch keine
religiös und weltanschaulich begründete Ablehnung wie etwa bei
Sedlmayr. Ob die deutlich gemachte Verschiebung der Positionierung Lützelers
vor und nach 1945 zeitgeschichtlich oder aus persönlichen Umständen
zu begründen sei, muss, so Heftrig, letztlich offen bleiben. Jedoch
lässt sich nach 1945 insgesamt eine größere Offenheit
und eine abnehmende Skepsis gegenüber dem Feld der Moderne feststellen,
deren Rolle in der universitären Forschung vor 1933 eher unbedeutend
und nach 1933 weiter marginalisiert worden war.
Im Anschluss an diesen Vortrag thematisierte Susanne Leeb (Berlin) die
Auffassung von Kunst als etwas „universal Menschlichem“, die
der„Unmenschlichkeit“ der NS-Zeit entgegengesetzt wurde. Leeb
konkretisierte dies am Beispiel von Willi Baumeister, der 1947 seine Kunsttheorie
„Das Unbekannte in der Kunst“ veröffentlicht hatte. Baumeister
reihte sich damit dahingehend in die Beobachtungen über die Nachkriegszeit
ein, als dass zu diesem Zeitpunkt der Fokus von Exotismen als Referenz
auf Urgeschichte und außereuropäische Kunst auf Archaismen
wechselte. Baumeister verband unter anderem im Rückgriff auf die
Höhlenmalereien aus Altamira die Moderne mit dem Urhistorischen unter
dem Aspekt der Menschlichkeit. Seiner These zufolge existiere ein ureigener
menschlicher Schöpfungstrieb, demnach die Kunst als urmenschlich
gelte und somit aus jeglichem zeithistorischen Kontext herausgenommen
werden könne. Es wurde die Frage aufgegriffen, ob in dem anthropologisch-paläontologischen
Ansatz Baumeisters nicht nur eine Abwandlung zu Ansätzen aus den
20er Jahren, sondern auch eine Kontinuität zu dem im NS metaphysisch
aufgeladenen Kunstbegriff zu erkennen sei. Zwar wäre Baumeisters
Kunstverständnis keineswegs national oder völkisch aufgeladen
gewesen, jedoch habe er sich in seinen Schriften immer wieder auf im NS
gelittene Kunsthistoriker bezogen.
Weitere Beispiele zu universalistischen Begründungsversuchen von
Gegenwartskunst wurden im Folgendem von Gregor Wedekind (Paris) genannt.
Er konzentrierte sich in seinem Vortrag auf den Begriff des Abendlandes
u.a. im Zusammenhang der beiden documenta-Ausstellungen 1955 und 1959.
Der für die Organisation der ersten Ausstellung gegründete Verein
trug zunächst den Namen „Abendländische Kunst des 20.
Jahrhunderts“, der aber nicht nur den Vorwurf einer taktischen Raffinesse
einbrachte (da sich damit auch amerikanische Leihgeber angesprochen fühlen
sollten), sondern auch als zu pathosgeladen und konservativ betrachtet
wurde. Letztendlich setzte sich der Titel documenta durch. Gleichwohl
basierte die Ausstellung auf der Grundidee von abstrakter Kunst als einer
universalen Sprache, die das Ergebnis europäischer Entwicklungen
gewesen sei. Um eine Art Rehabilitierung der während der NS-Zeit
verunglimpften Kunst sei es den Ausstellungsmachern nicht gegangen, vielmehr
hätten sie die Internationalität von Kunst jenseits von nationalen
Motiven betonen wollen. Der modernen abstrakten Kunst als „erstem
Modellfall von Menschheitskultur“ (Werner Haftmann zur documenta
1959) wurde hier„universale Wahrheit“ bescheinigt und als
internationales Verständigungsmedium präsentiert, in dem jenseits
von politischen Streitigkeiten kommuniziert werden könne.
Die nach der Mittagspause gehaltenen Vorträge beschäftigten
sich mit den verschiedenen in- und ausländischen Versuchen, abstrakte
und gegenstandslose Kunst in der Nachkriegszeit in Westdeutschland zu
etablieren und mit ihrer Hilfe den Anschluss an die westliche Kunstentwicklung
zu finden. Dorothee Wimmer (Bremen) begann mit einem Vortrag über
die 1946 in der französischen Besatzungszone gegründete Zeitschrift
„Das Kunstwerk“, die zu einem der wichtigsten Publikationsorgane
für die Kunst der Moderne und Gegenwart in Westdeutschland werden
sollte. Als Förderer abstrakter und gegenstandsloser Kunst rezipierte
sie nicht nur die Diskurse über dieselbige, sondern prägte sie
auch entscheidend mit. In der Zeitschrift wurde abstrakte Kunst in bewusster
Abgrenzung zu der von den Nationalsozialisten propagierten Kunstauffassung
als unabhängig von Zeit und Form und als frei von gesellschaftspolitischen
Bedingungen betrachtet. Die wissenschaftliche Deutung von Kunst, die hier
als reines Seherlebnis begriffen und in die Nähe physikalischer Erscheinungsformen
gerückt wurde, wurde somit erschwert und die „Freiheit“
zum höchsten Wert von Kunst emporgehoben. Als eine durch die französische
Besatzungsmacht lizenzierte Zeitschrift nahm die französische Gegenwartskunst
einen großen Teil ein; insgesamt fällt eine stark westeuropäische
Ausrichtung auf, innerhalb derer die deutsche Kunst ihren Platz findet.
Ab etwa 1950 lässt sich jedoch eine stärkere Konzentration auf
föderal-regionale Zuschreibungen feststellen, innerhalb derer der
Versuch unternommen wurde, zeitgenössische Kunst in regionale Schulen
(wie z.B. „Rheinlandpfälzische Kunst“) zu fassen.
Der Vortrag von Christoph Zuschlag (Berlin/Heidelberg) thematisierte ebenfalls
das Bemühen, der ungegenständlichen Kunst in Westdeutschland
ein„gutes Zeugnis“ von „ausländischen Experten
und deutschen Kunstkritikern“ ausstellen zu lassen, wie es in dem
bisher von der Forschung noch nicht wahrgenommenen, damals aber stark
rezipierten „Leverkusener Gespräch“ von 1957 anlässlich
einer Ausstellung „Malerei und Plastik in Westdeutschland“
im Museum Morsbroich der Stadt Leverkusen geschah. Anders als in dem heute
vielbeachteten „1. Darmstädter Gespräch“ von 1950
ging es in Leverkusen weniger kontrovers zu, die renommierten Teilnehmer
(Künstler, Kunsthistoriker und Galeristen aus dem In- und Ausland)
waren größtenteils Befürworter einer ungegenständlichen
Kunst. Die Ausstellung und das im Rundfunk gesendete Gespräch waren
mit der Absicht verbunden, die deutsche Kunst nach ersten Erfolgen im
Ausland nach 1945 international aufzuwerten und sich insbesondere von
ausländischen Fachleuten ihre Qualität bescheinigen zu lassen
Das Ergebnis fiel positiv für die deutsche Gegenwartskunst aus: Sie
habe die durch die NS-Zeit bedingte Phase der Isolierung überwunden
und Anschluß gefunden an eine internationale Entwicklung einer ungegenständlichen
Kunst als Ausdruck einer „freien“ Gesellschaftsordnung, so
der Tenor des Gespräches. Obwohl jedoch der Versuch einer Rehabilitation
der deutschen Kunst auf internationaler Ebene durch Angleichung an eine
westliche Entwicklung unternommen wurde, stand in Leverkusen ebenfalls
schon wieder die Frage nach nationalen Charakteristika von Kunst zur Diskussion.
Der anschließende Vortrag von Martin Schieder (Berlin/Paris) hatte
nicht„ausländische Gutachter“ in Deutschland zum Thema,
sondern umgekehrt das Wirken deutscher Kunsthistoriker im Ausland. Besonders
groß sei das Interesse in der Nachkriegszeit an einem regen Austausch
mit dem ehemaligen Antipoden Frankreich gewesen. Schieder verdeutlichte
an Beiträgen von namhaften deutschen Kunsthistorikern wie Will Grohmann,
Werner Haftmann und Franz Roh in den drei Zeitschriften „Cahiers
d’Art“, „Art d’aujourd’hui“ und „Documents“
die von ihnen unternommenen Versuche, den Vorbehalten der französischen
konservativen Bildungselite in Bezug auf die gegenwärtige Kunst in
Deutschland zu begegnen und das Bild von einer gleichgeschalteten und
nationalistischen Wissenschaft und Kunst in Deutschland zu korrigieren.
Mit dem Verweis auf einzelne herausgehobene Werke der deutschen Gegenwartskunst
wurde die Weiterentwicklung der modernen Kunst in Deutschland von vor
1933 auch unter den erschwerten Bedingungen des Nationalsozialismus behauptet
und die Bedeutung Paul Klees und Wassily Kandinskys als Väter der
Abstraktion hervorgehoben. Der von deutscher Seite initiierte Austausch
mit Frankreich, der eine Wiedereingliederung Deutschlands in das internationale
Kunstgeschehen intendierte und ein modernes, international ausgerichtetes
und intellektuell geprägtes Bild von Deutschland vermitteln wollte,
wurde auch von Frankreich gesucht: es gab nur wenig französische
Kenner der deutschen Gegenwartskunst und zugleich ein starkes Interesse
an den nach Frankreich emigrierten Künstlern Klee und Kandinsky.
Die zwei verbleibenden Beiträge am Donnerstag Abend setzten sich
explizit mit zwei nach 1945 erschienenen Aufsätzen auseinander, wobei
Andreas Zeising (Wuppertal) das Beharrungsvermögen kulturpessimistischer
Deutungsmuster nach 1945 an einem Text von Karl Scheffler, Olaf Peters
(Bonn) eine Fort- und Umschreibung konservativer Kunstgeschichtsschreibung
an einem theoretischen Beitrag des Künstlers Rudolf Schlichter verdeutlichte.
Zeising veranschaulichte, wie der in den 1910er und 1920er Jahren vielgelesene
Kunstschriftsteller Karl Scheffler in dem programmatischen Aufsatz „Das
Phantom Großstadt“ von 1947 in der Architekturzeitschrift
„Baumeister“ an seine frühere Großstadtkritik anknüpfte,
deren Aktualität er trotz der gesellschaftspolitischen Entwicklungen
und Systemwechsel weiterhin behaupten konnte. Die Großstadt wurde
darin von Scheffler als Verfallserscheinung und die beiden Weltkriege
als zwangsläufige Konsequenzen eines uferlosen kapitalistischen Expansionstriebes
und als„Selbstzerstörung“ der Großstädte gedeutet.
Damit bot er nach 1945 eine begierig aufgenommene Deutung von der Katastrophe
des Nationalsozialismus an, die sie als den Endpunkt einer langfristigen
gesamteuropäischen Dekadenz erschienen ließ und jede tiefergehende
Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus oder die Frage nach der
eigenen Verantwortung ausblendete. Auch Peters zeigte am Beispiel Rudolf
Schlichters Kontinuitäten auf, wobei sich bei Schlichter ein bis
1945 aufrechterhaltener antidemokratischer Nationalismus nach Beendigung
des Krieges aufgrund der zu integrierenden Erfahrung des „Dritten
Reiches“ in einen gemäßigten Konservatismus transformierte.
Der Maler, der seine eigene künstlerische Position der 1920er Jahre
zwischen Dada, Surrealismus und Neuer Sachlichkeit schon ab den 1930er
Jahren scharf zu hinterfragen begann und eine zunehmende Gegnerschaft
zur ungegenständlichen Kunst aufbaute, lieferte mit seinem 1949 veröffentlichten
Essay „Das Abenteuer der Kunst“ einen theoretischen Beitrag
zu der Debatten um moderne Kunst in der Nachkriegszeit. Peters zeigte
am Beispiel Schlichters eine mögliche und bislang wenig beachtete
Position innerhalb konservativer Kunstbetrachtungen der Nachtkriegszeit
auf, die sich, zudem vom eigenen Künstlertum geprägt, von radikaleren
Positionen wie der Sedlmayrs in mehreren Punkten unterscheidet.
Carsten Fleischhauer (Schleswig) begann den Samstag Vormittag mit einem
Vortrag über das in der Nachkriegszeit regelrecht zu einem Modethema
avancierenden Forschungsgebiet der „Zisterzienserarchitektur“.
Die dezidiert übernationale Organisation der mittelalterlichen Zisterzienserorden
diente der Kunstgeschichtsschreibung der Nachkriegszeit als geradezu ideales
Beispiel für eine europäische Kulturtradition. Indem Gemeinsamkeiten
betont und nationale Abgrenzungen bewusst vermieden wurden, erhofften
sich insbesondere deutsche Kunsthistoriker, die politische Annäherung
zwischen Frankreich und Deutschland auch auf dem Gebiet der Wissenschaften
durch deutsch-französische Tagungen und Publikationen erproben und
nachvollziehen zu können. Als eine der bezeichnendsten und folgenreichsten
Neuschöpfungen dieser Zeit war die Aufstellung des „Bernhardinischen
Plans“, wonach der heilige Bernhard persönlich einen idealen
Kirchengrundriss bestimmt habe, der für viele hundert Klostergründungen
in ganz Europa verbindlich gewesen sei. Das Konstrukt eines „Masterplans“,
der in dieser Form nie existierte, hielt sich hingegen hartnäckig
in der deutschen Kunstgeschichtsforschung und spiegelt die von der Nachkriegskonstellation
geprägte Wunschvorstellung westdeutscher Wissenschaftler von einer
mittelalterlichen Präfiguration der europäischen Einigungsidee
wieder.
Die letzten drei Beiträge widmeten sich der Frage nach der Kontinuität
von kunsthistorischen Methoden bzw. nach methodologischen Neuaufbrüchen
nach 1945. Karin Hellwig (München) begann mit einem Vortrag über
die Künstlerbiographie als wissenschaftliche Darstellungsform, die
im NS eine Konjunktur erlebt hatte und sich auch nach 1945 behaupten konnte.
Die zumeist populärwissenschaftlich gehaltenen Biographien der Nachkriegszeit
erfuhren von namhaften Kunsthistorikern in Rezensionen eine affirmative
Zustimmung, bis Herbert von Einem 1959 die zunehmende Menge von„Scheinbiographien“
kritisierte. Ein Misstrauen an dem biographischen Forschungsansatz aufgrund
ihrer Beliebtheit im NS hat es nach 1945 demnach nicht gegeben. Im „Dritten
Reich“ waren mit Hilfe von Biographien deutsche Künstleridentitäten
konstruiert worden, die das deutsche Kunstwollen repräsentieren sollten.
Die völkische Interpretation ihrer „großen Taten“
sollte sie zu vorbildhaften Helden und Erzieher des Volkes machen.
Ulrich Rehm (Bonn) stellte in seinem Vortrag „Vom Sehen zum Lesen.
Eine Fallstudie zur Rezeption der Ikonologie in der Nachkriegszeit“
eine punktuelle Betrachtung in den Vordergrund. Ausgehend von zwei 1956
erschienen Aufsätzen Willibald Sauerländers (einer über
frühgotische Skulptur in Frankreich und ein anderer zu den ‚Vier
Jahreszeiten’ Nicolas Poussins) wies Rehm auf eine methodische Neuorientierung
des Autors hin, die sich – so seine These – auch für
die gesamte deutsche Kunstgeschichtsschreibung der 1950er Jahre beobachten
lasse. Im Gegenzug zu Sauerländers erstem Aufsatz über die frühgotischen
Skulpturen, in dem er im einfühlenden „Sehen“ den adäquaten
Weg zu ihrem Verständnis sah, hob er in seinem zweiten Aufsatz das
rationale „Lesen“ zur Symbolentschlüsselung von Gemälden
hervor. Letzterer lehnte sich damit an die bis dahin wenig rezipierte
Ikonologie Panofskys an. Das Jahr 1956 ist alleine schon dahingehend ein
signifikanter Punkt, als dass Sauerländer sich in zwei unterschiedlichen
Rollen probierte, und das in extremer Art und Weise. Seine Methodenfindung
versucht zweierlei Bedürfnissen zu genügen, zum einem nach der
Rückorientierung auf die abendländische„Wiege“ des
christlichen Mittelalters und zum anderen nach einem methodischen Neubeginn.
Ein Wiederaufgreifen des im NS verhinderten Forschungsansatzes der Ikonologie
ist damit nicht 1945, sondern erst in den späten 50ern erfolgt.
Claus Volkenandt (Basel) beendete die Vortragsreihe der Tagung am frühen
Samstag Nachmittag. Er stellte anhand den Schriften des Kunsthistorikers
Günther Fiensch einen „dritten Weg“ der Bildbetrachtung
vor, der laut Volkenandt zwischen neukantianischen Ansätzen und einer
metaphysisch aufgeladenen Stilgeschichte zu verorten sei. Fiensch, der
bei Wackernagel in Münster 1937 promoviert hatte, dort Mentor Max
Imdahls war und anschließend in Gießen lehrte, hat lediglich
ein geringes kunsthistorisches Oeuvre geschaffen und ist heute fast vergessen.
In seinem 1961 erschienenen Hauptwerk über die niederländischen
Malerei des 15. Jahrhunderts thematisierte Fiensch das Verhältnis
von Form und Gegenstand und entwickelte eine Betrachtungsweise, die in
strenger Opposition zu der zuvor angesprochenen Ikonologie Panofskys stand.
Fiensch begriff darin ein einzelnes Werk schon sehr früh als autonomes,
in sich schlüssiges Formgebilde: Der Sinninhalt eines Bildes sei
allein durch Form und Fläche gebildet, wobei die reine Form etwas
a priori akausales sei, also keinen außerbildlichen Gesetzen gehorche.
Durch die von Fiensch betonte Selbstbegründungsleistung sei die Situierung
eines Kunstwerks in seinem historischen Kontext jedoch ignoriert, um nicht
zu sagen ausgeschlossen worden. Anschließend an den Vortrag wurde
diskutiert, ob die Beschäftigung mit einer bildimmanenten Betrachtungsweise
in den 1950er Jahren zeithistorisch zu erklären sei. Es wurde zudem
die Frage aufgeworfen, warum der Ansatz Fienschs so wenig beachtet wurde,
aber gerade dort Wirkung entfalten konnte, wo die Grenze seiner kunsthistorischen
Arbeit lag: in der Diskussion um die moderne und zeitgenössische
Kunst.
In der die Tagung abschließenden Diskussion wurde festgestellt,
dass sich in den meisten Vorträgen eher eine Kontinuität als
ein Bruch in der Kunstgeschichte nach 1945 abgezeichnet habe. Größere
Änderungen seien anscheinend auch nicht unmittelbar nach 1945 erfolgt
– hier hätten ältere Vertreter der Kunstgeschichte das
Ruder übernommen und mit einer sprachlichen, methodischen und inhaltlichen
Gemengelage aus den 1920er und 1930er Jahren die Kunstgeschichte fortgeschrieben.
Erst ab etwa 1950 scheint eine Ablösung dieser Generation und damit
eine Neuorientierung stattgefunden zu haben. Es wurde angemerkt, dass
es noch einer umfassenden Untersuchung bedürfe, wie und wo sich Kontinuität
genau fortschreibt und an welcher Stelle sich tatsächlich Neuerungen
finden lassen, wofür auch eine genaue Sprachanalyse stattfinden müsse.
Zudem sollte künftig auch Ostdeutschland in die Untersuchungen miteinbezogen
werden. Die Anregung, den Zeitraum auf die 1960er bis 1980er Jahre auszuweiten,
wurde mit der Kritik bedacht, dass aufgrund der zeitlichen Nähe eine
historische Betrachtung erschwert werden würde. An dieser Stelle
wurde kurz auf einzelne Projekte anderer Geisteswissenschaften verwiesen,
in denen es bereits eine stärkere Auseinandersetzung mit der eigenen
Geschichte gegeben hätte (z.B. „Semantische Umbauten“
der Germanistik in Siegen). Darüber hinaus wurde von einzelnen Teilnehmern
ein „gewisses Unbehagen“ an der Beschäftigung mit der
eigenen Fachgeschichte formuliert und die Frage gestellt, ob dies eine
Aufgabe der Kunstgeschichte 2004 sein sollte. Es wurde in diesem Zusammenhang
auf die von Werckmeister zu Beginn der Tagung aufgestellten Forderung
verwiesen, nicht in einer reinen Historiographie stecken zu bleiben, sondern
immer auch einen Bezug für das eigene heutige kunsthistorische Tun
herzustellen und/oder die Kunst der Nachkriegszeit stärker mit einzubeziehen
. Dem wurde entgegnet, dass eine Diskussion über die „richtige
Methode“ (mit Rückgriff auf ältere Ansätze) zu trennen
sei von der historischen Aufarbeitung der eigenen Fachgeschichte. Letztere
könne aber Aufschluss über versteckte und heute noch prägende
Kontinuitäten geben und ein besseres Verständnis über die
Mechanismen und das Funktionieren von Wissenschaft herstellen, also eine
höhere Reflektionsebene des eigenen wissenschaftlichen Tuns liefern.
Jedoch müsse hierfür noch viel Grundlagenforschung betrieben
werden; einige Bereiche, wie z.B. die Verbandsebene sowohl in der NS-Zeit
als auch in der Nachkriegszeit seien noch gar nicht untersucht worden.
Die Notwendigkeit einer weiteren, intensiven Aufarbeitung der eigenen
Fachdisziplin ist damit auch nach dieser Tagung weiterhin gegeben. Insgesamt
wurde die Tagung als sehr gelungen, kenntnisreich und anregend bewertet.
Ein Tagungsband wird im nächsten Jahr erscheinen.
Redaktion: Godehard Janzing

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03.01.2005
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