Christliche Kunst im Umbruch. Hispaniens Norden im 11. Jahrhundert
- El Norte hispánico en el siglo XI. Un cambio radical en el arte
cristiano Georg-August-Universität Göttingen, 27. bis 29. Februar
2004
Claudia Rückert
Die Kunst Spaniens fristet - im Gegensatz zu der Italiens oder Frankreichs
- eher ein Schattendasein an deutschen Universitäten. Seit Jahren
streiten besonders die Mitglieder der Carl-Justi-Vereinigung e.V. (CJV)
für die Aufwertung Spaniens im kunstgeschichtlichen Lehrbetrieb.
Ihr Engagement scheint allmählich Früchte zu tragen. Die Generation
von Forschern, die in den letzten 10-15 Jahren mit spanischen Themen promovierten
oder habilitierten, führen oder übernehmen jetzt Lehrstühle,
so daß zukünftig die spanische Kunst in den Vorlesungsverzeichnissen
mit größerer Selbstverständlichkeit vertreten sein wird.
In diesem Kontext ist auch das Ende Februar abgehaltene Kolloquium zur
Kunst Nordspaniens im 11. Jahrhundert zu sehen, dessen Organisatoren nicht
nur durch die CJV verbunden sind, sondern auch durch ihre Forschungstätigkeit
am Deutschen Archäologischen Institut in Madrid. In Ermangelung eines
in Spanien situierten deutschen Instituts für Kunstgeschichte hat
sich gerade dieses Institut mit seinen auch jenseits der Antike liegenden
Schwerpunkten der frühchristlichen, islamischen und frühmittelalterlichen
Kunst als Anlaufstelle und Forum für deutsche und internationale
Kunsthistoriker etabliert. Daß es den Organisatoren gelungen ist,
eine beachtliche Anzahl von spanischen Forschern nach Göttingen einzuladen,
ist neben der finanziellen Unterstützung der Förderer (Deutsche
Forschungsgemeinschaft, Spanisches Ministerium für Bildung, Kultur
und Sport, Universität und Stadt Göttingen sowie die CJV) nicht
minder dem Deutschen Archäologischen Institut in Madrid zu verdanken,
das für persönliche Kontakte, wissenschaftlichen Austausch und
die Zusammenarbeit mit den spanischen Kollegen steht.
Dreh- und Angelpunkt des Göttinger Kolloquiums waren die künstlerischen
Leistungen Nordspaniens im 11. Jahrhundert, einem Jahrhundert, an dessen
Ende sich in der christlichen Kunst ein sichtbarer Wandel vollzogen hatte.
Die Romanik im Norden der Pyrenäenhalbinsel scheint mit einem „Urknall“
plötzlich zu beginnen, um im selben Moment alle vorhandenen Kunstströmungen
zu verdrängen. Diese bislang wenig beachtete Wende im 11. Jahrhundert
war Ausgangspunkt der Tagung. Welches waren die Auslöser für
diesen radikalen Bruch? Basierte der Umbruch der Kunstformen auf einer
genuinen Entwicklung oder wurde die Erneuerung von außen hereingetragen?
Welchen Anteil hatte die islamische Kultur der Hegemonialmacht im Süden,
in al-Andalus? War die Romanik flächendeckend „ein Phänomen
aus einem Guß“ oder lassen sich verschiedene Zentren ausmachen?
Es sei vorausgeschickt, daß die zu Beginn aufgeworfenen Fragen schwer
zu beantworten waren, während ein Überblick über den Forschungsgegenstand,
Einblicke in neue Forschungen und die daraus resultierenden Anregungen
als primäre Ergebnisse der Tagung anzusehen sind. Daß die Synthese
schwierig war, hängt nicht zuletzt mit dem Umstand zusammen, daß
aufgrund der Zuständigkeiten innerhalb des Faches dieser Umbruch
bislang selten thematisiert worden ist. Haben sich doch hauptsächlich
die Archäologen dem Frühen Mittelalter auf der Iberischen Halbinsel
gewidmet, die Kunsthistoriker dagegen der Romanik verschrieben. Ein Blick
über das jeweilige Forschungsgebiet hinaus wurde kaum gewagt, weshalb
es den Organisatoren um so höher anzurechnen ist, mit dieser Tagung
erstmals eine Plattform für beide Seiten eingerichtet zu haben. Das
Programm setzte sich demzufolge aus Beiträgen zusammen, welche die
Zeit vor der Romanik behandelten, jene, die eng um ein romanisches Thema
kreisten sowie jene, die eine Synthese im Blickfeld hatten.
Bettina Marten umriß in ihrer Einführung den topographischen,
kunsthistorischen, geopolitischen und theologischen Rahmen der Tagung
und problematisierte den in der Forschung mißverständlichen
Begriff „vorromanisch“. Für die Kunst Nordspaniens vor
der Romanik sei die neutrale Bezeichnung hispanisch-frühmittelalterlich
geeigneter, die nicht per se den Entwicklungsgedanken suggeriere. Angesprochen
wurde die Sonderstellung Kataloniens, das als fränkische Mark im
Vergleich zu den übrigen hispanischen Machtterritorien bereits seit
karolingischer Zeit enge Kontakte zur ultrapyrenäischen Christenheit
pflegte und somit anderen Bedingungen in der Kunstproduktion unterlag.
Der inhaltliche Einstieg erfolgte mit einem Beitrag von Achim Arbeiter,
der neben Sabine Noack-Haley (Hamilton, Ontario), die den Festvortrag
am Abend mit dem Titel „Der Bezug auf das Römische im Mittelalter“
hielt, zu den besten deutschsprachigen Kennern des frühchristlichen
und frühmittelalterlichen Spanien zählt. Arbeiter präsentierte
einen Abriß der Kunstproduktion vor der Romanik, d.h. einen Überblick
über die frühchristlichen, westgotischen, asturischen, mozarabischen
und katalonischen Hauptwerke, kontrastierte islamisches und christliches
Formengut sowie hispanisch-frühmittelalterliche und romanische Bauskulptur.
Er provozierte mit der These, daß nach Sichtung des Materials unmöglich
von einem graduellen Übergang von der hispanisch-frühmittelalterlichen
zur romanischen Kunst gesprochen werden könne.
Ein Gegenbild bot bereits der nachfolgende Vortrag von Etelvina Fernández
González (León), der deutlich machte, daß zwischen
den Kunstgattungen differenziert werden muß. Weisen die Objekte
aus der Schatzkammer von León, die Fernando I. (Regierungszeit
1035-1064) und seine Gemahlin Sancha gestiftet haben, eindeutig außerspanische
Einflüsse auf - im Falle des Schreins des heiligen Isidor lassen
sich enge Bezüge zu den Bronzetüren in Hildesheim beobachten
-, so läßt sich in der Architektur sehr wohl „einheimisches“
Erbe konstatieren. Grabungen haben gezeigt, daß der sogenannte Fernando-Bau,
der Vorgängerbau der heutigen Kirche San Isidoro in León,
der 1063 geweiht wurde, asturische Königsbauten des 8. Jahrhunderts
zum Vorbild nimmt. Erhalten geblieben ist vom ihm der doppelgeschossige
Narthex im Westen, der heute unter der Bezeichnung Königspantheon
bekannt ist. Das Untergeschoß war die Grablege des kastilisch-leonesischen
Herrscherhauses, das Obergeschoß diente bis zur Erneuerung der Kirche
im 12. Jahrhundert als Königstribüne. Daß dieser Rückbezug
kein Zufall ist, läßt sich durch die Kirche San Pedro de Teverga
in Asturien (1069-1076) belegen, die neben der asturischen Raumstruktur
mit Narthex auch die asturischen Doppelsäulen am Eingang zur Apsis
rezipiert.
Ausführlich mit der Architektur und den Bauphasen der Krönungskirche
San Isidoro in León beschäftigte sich der Beitrag von Franziska
Müller-Reißmann und Frank Seehausen (Berlin). Erfrischend waren
die Ausführungen, weil sie in bezug auf die umstrittene Datierung
der einzelnen Bauphasen und damit der Portalskulptur von San Isidoro erstmals
einen methodischen Weg aufzeigten, diesem Problem vom Objekt her zu begegnen.
Denn die Kapitellskulptur im Kircheninnern, die einzelne Kapitelle aus
dem Königspantheon adaptiert und variiert, läßt sich aufgrund
der Unterteilung in verschiedene Motivgruppen einzelnen Bauabschnitten
zuweisen. Mit ihrer Analyse vermochten die Referenten aber auch die kontrovers
diskutierte These zu untermauern, daß der sogenannte Fernando-Bau
vom Südwesten aus nach und nach umbaut worden sein muß. Die
Untersuchung der Bauskulptur und von architektonischen Strukturen im ausladenden
Querhaus wiederum hat deutlich gemacht, daß das Querhaus einem Planwechsel
geschuldet ist und hier die Kathedrale von Santiago de Compostela Einfluß
genommen zu haben scheint. Ob die im Vortrag vorgestellte Bauabfolge des
Neubaus von San Isidoro auch Aufschluß über die Chronologie
der Portalskulptur geben könne, d.h., eine Datierung der Puerta del
Cordero um 1090 vor den Skulpturen der Puerta de las Platerías
in Santiago rechtfertige, hat Peter K. Klein (Tübingen) anschließend
in Zweifel gezogen. Sein Einwand, die Skulptur hätte sich vom Komplizierten
zum Einfachen entwickelt, das Portal in León müßte demnach
jünger sein als das in Santiago, offenbart zugleich das Dilemma,
dem die Forschung in bezug auf die Skulptur des 11. Jahrhunderts gegenübersteht.
Zum einen gibt es so gut wie keine sicheren Baudaten, zum anderen fehlen
grundlegende bauarchäologische Studien. Die Puerta de las Platerías
als chronologisches Meßinstrument heranzuziehen, ist insofern problematisch,
da ihr jetziges, verwirrendes Erscheinungsbild auf mehrfache Umgestaltungen
zurückzuführen ist, die nur bedingt Auskunft über die ursprüngliche
Gestaltung geben.
Mit aus kunsthistorischer Sicht selten beachteten Aspekten der Bauarchäologie
- Mauertechnik und Steinbearbeitung im 11. Jahrhundert - beschäftigte
sich der Vortrag von Éliane Vergnolle (Besançon/Paris).
Sie zeigte auf, in welcher Abhängigkeit die Bearbeitung zu dem in
der Region vorhandenen Steinmaterial steht und machte anhand von Beispielen
diesseits und jenseits der Pyrenäen die langsame Perfektionierung
der Steinbearbeitung anschaulich. So scheint sich etwa der Spitzmeißel,
der zwar in der Antike jedoch nicht im Frühen Mittelalter Verwendung
fand und schließlich wieder seit Beginn des 11. Jahrhunderts vor
allem in Gebieten mit weichem, gut zu bearbeitendem Kalkstein anzutreffen
ist, im Laufe des 11. Jahrhunderts vor allem beim Kleinquadermauerwerk
mit regelmäßigen Steinlagen durchzusetzen. Als Beispiel für
diese Technik führte sie die Kirche Saint-Sernin in Toulouse an,
deren Baubeginn inzwischen durch die Neuinterpretation von Quellen bereits
in die Jahre 1050/60 zu datieren sei. Damit würde Saint-Sernin nicht
nur im Hinblick auf die Bauskulptur, sondern auch auf die Steinbearbeitung
eine besondere Rolle gewinnen. Ihrer Meinung zufolge scheint gerade Saint-Sernin
für die schnelle Verbreitung dieser Steinmetztechnik in der Pyrenäenregion
verantwortlich zu sein, die sich bereits Ende des 11. und zu Beginn des
12. Jahrhunderts in manchen Bauhütten Aragóns, z.B. der Kathedrale
von Jaca, der Burgkirche von Loarre oder Santa Cruz de la Seros beobachten
läßt.
Der Kathedrale von Santiago de Compostela waren die Beiträge von
Jochen Staebel (Trier) und Judit Vega Avelaira (Fribourg) gewidmet. Bezüglich
der Architektur werden in der Forschung vor allem die engen Bezüge
zur französischen Baukunst und damit die internationale Rolle der
Kathedrale betont. Daß aber auch Formengut von Bauwerken der westgotischen
und asturischen Zeit in ihr Erscheinungsbild eingeflossen sind, haben
beide Vorträge deutlich gemacht. Jochen Staebel beeindruckte durch
den Vergleich zwischen der Chorscheitelkapelle von Santiago mit geradem
Abschluß (Baubeginn 1074/75) und der kleinen westgotischen Kirche
São Frutuoso Montélios bei Braga (Portugal) aus dem 7. Jahrhundert.
Vor allem das rund- und spitzbogige Blendwerk am Außenbau demonstriert
verblüffende Parallelen, die über das reine Architekturzitat
hinauszugehen scheinen. Im Jahre 883 wurde der westgotische Zentralbau,
der ursprünglich Salvator geweiht war, der Kirche in Santiago de
Compostela geschenkt, die Chorscheitelkapelle der Kathedrale ist ebenfalls
San Salvador geweiht und den Leichnam des heiligen Fructuosus ließ
Bischof Gelmírez 1102 für den Reliquienschatz der Kathedrale
rauben. Auch bautechnische Merkmale der Kathedrale lassen sich, so Judit
Vega Avelaira, in der hispanischen Architektur vor der Jahrtausendwende
beobachten. San Salvador de Valdediós (9. Jh.) weist bereits Pfeiler
mit Säulenvorlagen auf und der Belvedere am Monte Naranco (9. Jh.)
kennt die mit Gurtbögen unterstützte Tonnenwölbung. Die
damit implizierte bautechnologische Kontinuität vom 9. bis zum 11.
Jahrhundert läßt sich allerdings durch keinerlei architektonische
Zwischenglieder belegen.
Den Einfluß der islamischen Kunst und Kultur auf die christliche
Kunstproduktion des 11. Jahrhunderts behandelten die Vorträge von
James Miller (Tunis), Christiane Kothe (Köln) und Cynthia Robinson
(Ithaca). James Miller hob auf das 775 gegründete marokkanische Karavanenzentrum
Sigilmasa ab, das in der Folgezeit durch den dort organisierten Goldhandel
mit Europa eine immense Bedeutung gewann. Mit der Eroberung Marokkos Mitte
des 11. Jahrhunderts durch die Almoraviden verlor Sigilmasa seine Unabhängigkeit.
Zwar lief der Goldhandel zunächst weiter, doch spätestens Ende
des 11. Jahrhunderts versiegten die Geldströme aus machtpolitischen
Gründen. Christiane Kothe merkte die bisher vernachlässigte
Rolle der islamischen Kultur an, die durch Kriege, Handel, Razzien und
Tributzahlungen im christlichen Hispanien aber allgegenwärtig gewesen
sei. Vor allem die höfische Kultur al-Andalus' habe den Kulturtransfer
beflügelt, so etwa der Hof von Zaragoza, der für die Kontakte
jenseits der Pyrenäen maßgeblich war. Ihr Beitrag und die anschließende
Diskussion machten deutlich, welch entscheidenden Faktor das Gold aus
Sigilmasa bei der Finanzierung der Großbauten des 11. Jahrhunderts
gespielt haben muß, von dem beispielsweise auch Cluny durch die
Zuwendungen der spanischen Könige erheblich profitierte. Daß
ein direkter Zusammenhang besteht zwischen dem Aufruf zum 1. Kreuzzug
durch Papst Urban II. 1095 und dem Sieg der Almoraviden 1094 über
den Schwiegersohn von Alfonso VI., der ein Versiegen der Geldquellen befürchten
ließ, scheint mehr als plausibel zu sein. Auch Cynthia Robinson
unterstrich die Bedeutung der islamischen Hofkultur. Der Einfluß
lasse sich beispielsweise an Luxusgegenständen demonstrieren, die
als Geschenke an christliche Herrscher gelangten, etwa die fatimidische
Bergkristallvase, die Wilhelm von Aquitanien erhielt und die später
ihren Niederschlag in der Vasenform der 24 Ältesten am Westportal
von St.-Denis findet. Auch die „höfische Liebe“ der Troubadourzeit
gehe auf die Berührung mit Literatur und Gesang islamischer Hofkultur
zurück.
In den Referaten von Bernabé Cabañero Subiza (Zaragoza)
und Minerva Saénz Rodríguez (Logroño) ging es um
die Ursprünge romanischer Kunst in Aragón und der Rioja. Neue
Forschungsergebnisse zu den bisher kaum wahrgenommenen Westwerken katalanischer
Kirchen des 11. Jahrhunderts präsentierte Francesca Español
Bertran (Barcelona). Durch Grabungen und Quellen lassen sich Form und
Funktion der oft im Mittelalter bereits aufgegebenen doppelgeschossigen
Westwerke gut erschließen. Meist diente dabei das Untergeschoß
als Grablege, Altäre mit wichtigen, meist Christusreliquien befanden
sich im Obergeschoß.
Ikonographischen Problemen der skulpturalen Ausstattung waren die Vorträge
von Stefan Trinks (Berlin), Horst Bredekamp (Berlin), Nicole Hegener (Berlin)
und Peter K. Klein (Tübingen ) gewidmet. Mit dem Schlangenmotiv zwischen
León und Jaca beschäftigte sich Stefan Trinks. Sehr überzeugend
zog er die Verbindung zu Isidor von Sevilla, Vermittler antiken Wissens,
Namenspatron der Leoneser Krönungskirche wie auch Augustinus' bedeutendster
Exeget für das Augustinerchorherrenstift in Jaca. So spiegelt sich
Isidors Hauptwerk, die Etymologiae, etwa in der komplexen Sündenfall-Ikonographie
auf dem von Fernando I. und Sancha gestifteten Reliquienschrein in León.
Die Ambivalenz der Schlange als Symbol des Bösen, das wiederum nach
Augustinus Bedingung für das Gute ist, läßt sich auch
auf Kapitellen aller Bauphasen sowie auf den Zodiacus-Reliefs in León
beobachten. Gleichrangig der Rezeption des antiken Husillos-Sarkophages
demonstriere die bildliche Umsetzung der Werke Isidors wie auch die teils
wörtlichen Zitate auf dem überreich mit Schrift versehenen Tympanon
in Jaca, so Trinks, einen bewußten Rückbezug auf antike Traditionen
vor der arabischen Eroberung, um damit die bruchlose Kontinuität
und Legitimität der christlichen Königreiche seit der Spätantike
zu manifestieren. Horst Bredekamp stellte die Semantik von Tüchern
in den Mittelpunkt seines Vortrages, die er als „Treibsegel der
Formfindung“ beschrieb. Die dämonische Kraft von Stoff zeige
sich nicht nur in der negativ konnotierten Bekleidungsszene von Adam und
Eva auf dem Isidor-Schrein, sondern auch bei Kapitellen in Frómista
oder Jaca, etwa dem Schleiertanzkapitell, den Turban tragenden Konsolfiguren
in Frómista oder bei Hagar im Tympanon der Puerta del Cordero in
León, die ihr Knie entblöße. Cynthia Robinson unterstrich
in diesem Zusammenhang die Rolle von Stoffen in der islamischen Welt,
ihre Wertschätzung und die Bedeutung gerade des Turbans zur Abgrenzung
zwischen Muslimen und Christen. Die mehr als 300 Konsolfiguren der Kirche
San Martín de Frómista waren Ausgangspunkt für die
Überlegungen von Peter K. Klein. Anders als die bisherige Forschung,
deren eindimensionaler Blick auf die sexuellen Motive zu kritisieren sei,
eröffnete er für die Konsolsteine zunächst einen neuen
Bezugsrahmen. So parallelisierte er sie mit den Randfiguren und -szenen,
wie sie in der Buchmalerei oder beispielsweise in den Randstreifen des
Teppichs von Bayeux anzutreffen sind. Im Vergleich damit seien die Darstellungen
aber weder moralisierend noch apotropäisch gemeint, sondern die „unscharfe
und diffuse Randzone“ diene zur Abgrenzung vom Fremden und zur Findung
der eigenen Identität. Richtig ist zwar, daß das schon im lateinischen
Wortsinn definierte „Marginale“ in der Buchmalerei existiert.
Fraglich ist allerdings, ob dies auch für die Architektur gilt, wo
es keine „nachrangigen“ Bauteile gibt und selbst an höchster
Stelle Skulpturen noch vollständig ausgearbeitet sind.
Mit der Buchmalerei beschäftigten sich die Abschlußreferate
von Soledad de Silva y Verástegui (Vitoria) und Fernando Galván
Freile (León). Während in den Skriptorien der Klöster,
z.B. San Millán de la Cogolla und Silos, im 11. Jahrhundert weiterhin
die sogenannte mozarabische Tradition des vorangegangenen Jahrhunderts
gepflegt wurde, so Soledad de Silva y Verástegui, lassen sich dagegen
in denen der Höfe, d.h. Nájera und León, bereits Mitte
des 11. Jahrhundert und damit erheblich früher als in der Skulptur
oder Wandmalerei romanische Formen beobachten. Erst Ende des 11. Jahrhunderts
hätten schließlich auch die klösterlichen Schreibstuben
im Zusammenhang mit der gregorianischen Liturgiereform die neue Formensprache
übernommen, wobei im Kloster von Silos das Nebeneinander von mozarabischer
und romanischer Bildsprache noch zu Beginn des 12. Jahrhundert zu konstatieren
sei. Im Zentrum des Vortrages von Fernando Galván Freile stand
der in der Forschung selten berücksichtigte „Liber canticorum
et orarum de Sancha“ aus dem Jahre 1059 (Salamanca, B.G.U.S., Ms.
2668). Im Vergleich mit dem „Beatus-Codex des Facundus“ von
1047 (Madrid, Biblioteca Nacional, Ms. Vitr. 14-2) und des sogenannten
„Libro de Horas“ von 1055 (Santiago de Compostela, Biblioteca
Universitaria, Rs. 1), beide im Auftrag von Fernando I. und Sancha gefertigt,
wies er zunächst auf das Paradoxon hin, daß die beiden älteren
Handschriften im Gegensatz zum Liber canticorum bereits eindeutig romanische
Formen beinhalteten. Die Altertümlichkeit der jüngeren Handschrift
machte sich Galván Freile zu nutze und markierte anhand einer genauen
Detailanalyse den Umschwung von der mozarabischen zur romanischen Form.
Es war ein Charakteristikum der Tagung, daß die teils disparaten
Vorträge nur selten einen roten Faden im Gesamtkontext erkennen ließen
und man sich eher bruchstückhaft dem eigentlichen Anliegen der Tagung
näherte. Als wären die Bedingungen des Phänomens der Romanik
im 11. Jahrhundert geklärt, wurde von einem allgemeinen Konsens ausgegangen.
Daß hier durchaus Diskussionsbedarf bestanden hätte, zeigten
verschiedene Beiträge und Wortmeldungen. Die Tagung machte dennoch
deutlich, daß vor allem die Rolle der christlichen Hofkultur Nordspaniens
bisher unterschätzt geblieben zu sein scheint. Die These von Horst
Bredekamp, der bereits früher die neuen Bilder in der Skulptur und
ihre Plastizität in Verbindung mit den Höfen gesehen hat, wurde
nicht nur durch die Forschungen von Soledad de Silva y Verástegui
in bezug auf die neuen Formen in der Buchmalerei gestützt, sondern
auch durch die islamischen Höfe, die weitaus wichtiger als die Pilgerwege
für den Kulturaustausch gewesen zu sein scheinen. Zwar fehlte ein
Beitrag, der sich ausschließlich mit der Rolle des Klosters Sahagún,
dem sogenannten Cluny Spaniens, befaßte und hier vielleicht ein
Gegengewicht hätte aufbauen können. Daß die Beziehungen
der Königsfamilien untereinander jedoch entscheidend für den
Kulturaustausch gewesen sind, bestätigen auch die Forschungen zum
12. Jahrhundert in Nordspanien. Fast scheint es, daß all die mobilisierten
Kräfte, die im 11. Jahrhundert zum Umbruch in der Kunst geführt
haben, vor allem auf den Antrieb der neuen christlichen Herrscher und
ihrer dynastischen Geflechte zurückzuführen sind, die sich teils
zwar in vorhandene, vor allem aber in von ihnen selbst begründete
Traditionen stellen wollten.
Redaktion: Livia Cárdenas

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30.07.2004
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