Matthias Donath: Architektur in Berlin 1933 - 1945. Ein Stadtführer,
herausgegeben vom Landesdenkmalamt. Berlin: Lukas-Verlag 2004, 255 S.,
ISBN 3-936872-26-0; Euro 29,80
Ulrich Hartung
Zur Architektur im Nationalsozialismus erschienen in den letzten Jahren nur
wenige Publikationen. Es scheint, als ob die wichtigsten Spezialisten das
Gefühl hegten, das Bauen und Planen dieser Jahre sei hinreichend
beschrieben. Mit seiner Einordnung in die Kontinuitäten einer
internationalen Modernisierung und mit dem Nachweis einer Vielfalt vonübernommenen Stilismen sehen sie alles Wesentliche bereits gesagt. Die
Architektur der NS-Zeit gilt weithin als „aufgearbeitet“. Dass dies ein
Irrtum ist, zeigt sich schon jetzt. Überdies sind viele der
Veröffentlichungen aus den siebziger Jahren veraltet und längst vergriffen;
andere sind für Nicht-Fachleute schwer zu lesen und schlicht zu teuer.
Gerade diese werden sich deshalb über Matthias Donaths großzügig
gestalteten Stadtführer zur „Architektur in Berlin, 1933 - 1945“ freuen.
Herausgegeben vom Landesdenkmalamt, ist das Buch im Berliner Lukas-Verlag
erschienen, der sich in wenigen Jahren mit Publikationen zur Kunst- und
Kulturgeschichte einen Namen gemacht hat.
Auch das neueste Produkt des Hauses bildet für Interessierte eine
Fundgrube, denn sie finden Beispiele für alle wichtigen Bauaufgaben, von
den „Reichsministerien“ in Berlin Mitte bis hin zu HJ-Heimen am Stadtrand.
Donath hat eine gute Auswahl von nicht weniger als 86 Bauten und
Baukomplexen getroffen, darunter typische Vertreter ihrer Gattung wie die
Kasernen und das Verwaltungsgebäude der Berliner Wasserwerke (S. 71f),
aber auch gerade noch geduldete Experimente wie Egon Eiermanns Fabrik- und
Verwaltungsbau für die Auergesellschaft (S. 97f).
Selbstverständlich bringt er die bekannten Großbauten, die jeder und jedem
beim Stichwort NS-Architektur in Berlin einfallen, die Reichskanzlei mit
dem Führerbunker, das Olympiastadion im „Reichssportfeld“, den Flughafen
Tempelhof und das Reichsluftfahrtministerium; doch vorgestellt werden
ebenso Fabriken, Schulungsbauten für das Militär, Villen, Wohnanlagen und
Kirchen. Besonders an den „Gotteshäusern“ bewährt sich die klug überlegte
Auswahl, räumt Donath doch hier mit dem älteren Klischee auf, der
Kirchneubau sei im Dritten Reich unterdrückt worden. Überhaupt bieten die
Texte eine Fülle von Informationen, und gut wirkt, dass sie immer
erläutern, was auf den Bildern zu sehen ist.
Nicht nur durch die ausführlichen, verständlichen Beschreibungen, sondern
auch durch Größe und Qualität der Fotos hebt sich das Buch von anderen
Architekturführern ab. Neben den Fachfotografen vom Denkmalamt, Wolfgang
Bittner und Wolfgang Reuss, haben Robert Conrad und der Autor selbst
gekonnte Aufnahmen beigesteuert. Die historischen Fotos, die in vielen
Fällen einen Eindruck vom Ursprungszustand der Bauten vermitteln und meist
aus alten Fachzeitschriften stammen, sind allerdings im Bildnachweis z.T.
unter „Archiv Matthias Donath“ aufgeführt, obwohl Leser das Recht und die
Erwartung haben, die Originalquellen zu erfahren. Eine private
Arbeitssammlung von Reproduktionen wird auch durch noch so großen Ehrgeiz
kein Archiv!
Hierin deutet sich bereits das Grundproblem von „Architektur in Berlin,
1933 - 1945“ an, der Umgang des Autors mit den Baubefunden. Er hat sich
dafür entschieden, im Einklang mit dem Stand der akademischen Forschung die
NS-Architektur als Phänomen zu verleugnen und sie in verschiedene „Stile“
aufzusplittern, die bruchlos aus der Kaiserzeit und der Weimarer Republik übernommen worden seien [1]. Anderen Forschungsergebnissen [2] wird ein
Denkverbot entgegengehalten: Man dürfe nicht von einem einheitlichen
Stilbegriff ausgehen (S. 28). Stattdessen findet er übergreifende Merkmale
damaligen Bauens in einer Versachlichung der Formen, aber auch in einer
gewissen sakralen Überhöhung und in der Unterwerfung unter eine
hierarchische Ordnung, was schon einen Widerspruch in sich darstellt.
Entsprechend werden fast überall Tendenzen der Sachlichkeit und Prägungen
durch die Moderne entdeckt, auch an Steinfassaden, Turmkuben und
Ziegeldächern. Ist aber eine Form, nur weil sie einfach und schlicht ist,
schon sachlich? Offenbar verwechselt der Autor die Stilisierung ins „Strenge“ und „Geschlossene“, die die NS-Architektur kennzeichnet, mit
einer Rationalisierung. So würdigt er den Getreidesilo des Bonatz-Schülers
Ernst-Erik Pfannschmidt am Westhafen (S. 95f) als „funktionalistisch“
gestaltet, trotz des überhöhten Satteldachs mit Reichsadler und Ährenbündel
in den Giebeln. Ignoriert wird dabei, dass der Funktionalismus „übergreifende“, bekrönende Formmotive ablehnte und eine „künstlerisch“
überhöhte Darstellung der Baufunktion auf der Fassade verwarf - ebensogut
könnte eine Vase mit Blumenornamenten als typisches Bauhaus-Produkt
betrachtet werden.
An der SS-Kameradschaftssiedlung in Zehlendorf (S. 154ff) vermag Donath
keine „axialsymmetrische Ausprägung“ zu erkennen, als ob eine gebogene
Achse keine Achse mehr wäre! Schon der Lageplan lässt deutlich erkennen,
wie der Teschener Weg durch beiderseits angeordnete Reihenhäuser gefasst
und durch Paare von Führerhäusern gegliedert ist, um als „landschaftsgebundene“ Aufmarsch-Straße von der Argentinischen Allee zu
dem im Mittelpunkt der Siedlung geplanten „Gemeinschaftsbau“ hinzuleiten.
Geradezu grotesk wirkt die Behauptung, das Verwaltungs- und
Produktionsgebäude der C. Lorenz AG in Tempelhof (S. 185f) knüpfe an die „sachliche und funktionale Architektur der 1920er Jahre“ an; „der
repräsentative Anspruch und die übersteigerte Monumentalität“ ließen aber
die Entstehung „unter nationalsozialistischer Herrschaft“ erkennen. Ja,
was denn nun - waren hier der profane Zweck oder der Zeitgeist bestimmend?
In Wirklichkeit hat der unbekannte Architekt, wenn überhaupt, an den
hohen, symmetrischen Hauptbau der Firma „angeknüpft“, fertiggestellt 1918
auf der Nordseite des Teltowkanals am Lorenzweg. Schlüssiger ist die
Feststellung, dass die Backsteinfassade der Werksanlage, die es in Größe
und Monumentalität mit der der Reichskanzlei aufnehmen kann, auf markante
Weise den untersten, für Bauten der Technik bestimmten Modus der
NS-Architektur verkörpert.
Die Stilbewertungen des Autors führen also mehr als einmal in die Irre,
und die Leser des Buchs tun gut daran, sich an die Abbildungen zu halten.
Sie kommen so zu aufschlussreichen Entdeckungen, etwa wenn die „Ehrenhalle“ des Ausstellungsgeländes am Funkturm (S. 122ff) mit dem
Eingangsbau des Rasierklingenwerks Roth-Büchner in Tempelhof (S. 183f)
verglichen wird. Überall finden sich Pfeiler- und Fensterreihen in
militärischem Takt, kantige Konsolen und Rahmungen; auch die „Führerbalkons“ fallen an verschiedenen Bauten auf, und ein
charakteristisches Spannungsverhältnis zwischen der geschlossenen
Einzelform und ihrer Einbeziehung in einen hierarchischen Zusammenhang
bestimmt fast überall die Bauästhetik. Überraschende Ähnlichkeiten lassen
sich z.B. zwischen dem Atelier für Arno Breker am Grunewald (1939-42, S.
146f) und der Flugzeughalle für den Höhenflugbetrieb der Deutschen
Versuchsanstalt für Luftfahrt in Adlershof (1941, S. 200) erkennen - beide
Bauten, entstanden in der Euphorie der frühen Kriegsjahre, weisen eine
typische Ausformung repräsentativer Bauten auf: An eine höhere Front sind
kleinere Kuben mit gleicher Grundgestaltung gesetzt. Hier wie dort dienen
die unvermittelten Größenkontraste dazu, die monumentale Wirkung zu
steigern.
An der Versuchsanstalt für Luftfahrt ließe sich exemplarisch untersuchen,
wie der Übergang von der Architektur der Weimarer Republik zu der der
Nazizeit vonstatten ging, ob als „Kontinuität“ oder als „Bruch“. Doch
leider wurde der ganze Komplex im Buch pauschal auf „1935/36“ datiert (S.
198 ff). Die Versuchsanlagen auf dem Gelände nördlich der Rudower Chaussee
entstanden aber z.T. noch in der Zeit der Republik, auf Grundlage eines
Bebauungsplans von 1931. Der Große und der Kleine Windkanal sowie eine
Luftschrauben-Prüfanlage wurden 1932 begonnen und 1933 bzw. 1934 (Großer
Windkanal) fertiggestellt. Diese Anlagen können also kaum von der
Technikbegeisterung der Nazis zeugen.
Von ihnen heben sich die Forschungsinstitute mit dem Hauptgebäude ab,
1934-1935 südlich der Chaussee um einen offenen Platzraum gruppiert. Schon
die Putzfassaden mit den Kalkstein-Details lassen ihre „höhere Bedeutung“
erkennen. Der massive Turmbau am Pförtnerhaus, die Blickachse auf das
Werkstoff-Institut, die symmetrische Betonung des Eingangs zu den beiden
Sälen mit einer Wandplastik von Arno Breker - was soll daran „streng
zweckorientiert“ (S. 198) sein? Überdies entspricht die Ordnung der
Baukörper um den Platz dem städtebaulichen Typ eines Gauforums -
Zusammenhänge, die in Donaths Texten fast durchgängig ignoriert werden.
Dieses Buch „dämonisiert“ die Architektur des Dritten Reichs nicht; es
verharmlost sie, weil es sie unreflektiert nach persönlichen
Geschmacksurteilen bewertet. Damit leistet es dem Missverständnis
Vorschub, Zeugnisse der NS-Zeit würden allein nach „historisch wertfreien“
Maßstäben des handwerklich Gelungenen und stilistisch Zeitgemäßen bewahrt.
Zudem fehlen Hinweise darauf, welche Bauten überhaupt unter Denkmalschutz
stehen und was an Konservierungsarbeiten ausgeführt wurde oder geplant
ist.
In der Auswahl der Objekte, in den markanten Abbildungen und in der leicht
verständlichen Schreibweise des Autors hat das Buch seine Qualitäten.
Wünschenswert ist aber eine gründliche Überarbeitung, um das Versprechen
auf dem Rücktitel, eine Analyse der gestalterischen Merkmale und
Strukturen, auch wirklich einzulösen. Dann - und nur dann - wird es zur
Aufarbeitung der gebauten Hinterlassenschaften des NS-Regimes in der
Hauptstadt beitragen können.
Anmerkungen:
[1] Lars Olof Larsson: Klassizismus in der Architektur des 20.
Jahrhunderts; in: Albert Speer - Architektur, Frankfurt/Main, Berlin, Wien
1978, S. 151-175; Hartmut Frank: Welche Sprache sprechen Steine?,
Einführung in: Ders.(Hg.): Faschistische Architekturen. Planen und Bauen
in Europa 1930-1945, Hamburg 1985, S. 7-21; s. a. den Beitrag von Gerhard
Fehl: Die Moderne unterm Hakenkreuz, im selben Band S. 88-122; Bazon
Brock: Kunst auf Befehl?; in: Ders., Achim Preiß (Hg.): Kunst auf Befehl?
Dreiunddreißig bis Fünfundvierzig, München 1990, S. 9-20; Wolfgang
Schäche: Architektur und Städtebau in Berlin zwischen 1933 und 1945.
Planen und Bauen unter der Ägide der Stadtverwaltung (Senatsverwaltung für
Stadtentwicklung und Umweltschutz, Landeskonservator (Hg.): Die Bauwerke
und Kunstdenkmäler von Berlin, Beiheft 17), Berlin 1991
[2] Hans-Ernst Mittig: NS-Stil als Machtmittel; in: Romana Schneider,
Wilfried Wang (Hg.): Moderne Architektur in Deutschland, 1900 bis 2000.
Macht und Monument, Ostfildern-Ruit 1998, S. 101-115; Ulrich Hartung:
Modernisierte Monumentalität. Beobachtungen an Berliner Industriebauten
aus der Zeit des Nationalsozialismus; in: Sabine Blum-Geenen, Ute Ehrich,
Frank Markowski, Gabriele Moser (Hg.): „Bruch und Kontinuität“. Beiträge
zur Modernisierungsdebatte in der NS-Forschung, Essen 1995, S. 85-100;
Ders.: Funktion und Formprinzip in nationalsozialistischer Architektur;
in: Bernfried Lichtnau (Hg.): Architektur und Städtebau im südlichen
Ostseeraum zwischen 1936 und 1980, Publikation der Beiträge zur
kunsthistorischen Tagung in Greifswald, 2001, Berlin 2002, S. 70-85
Redaktion: Claudia Sedlarz

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