Friedrich Polleroß (Hg.):
Reiselust & Kunstgenuß. Barockes Böhmen,
Mähren und Österreich. Petersberg.
Michael Imhof Verlag, 2004, 240 S., ca. 200 Farbabb., ISBN 3-937251-39-1, Euro 24,95
Herbert Karner
Anfang des Sommers 2004 erschien im Michael Imhof Verlag - nicht
zufällig in Zusammenhang mit der Osterweiterung der Europäischen Union -
ein schöner und qualitätvoll bebilderter Band über barocke Lust am
Reisen und eben solchen Genuß an der Kunst. Der dem Kunsthistoriker wie
dem Bildungstouristen unserer Tage in der Regel vertraute lustvolle
Zusammenhang von Kunst und Reisen wird transferiert in eine Epoche, in
welcher er nur äußerst kleinen Eliten bekannt war. Genau von dieser
Gesellschaftsschichten handelt das Buch in insgesamt sechzehn Beiträgen:
Von Künstlern und adeligen wie geistlichen Auftraggebern in Österreich,
Böhmen, Mähren, Schlesien und teilweise auch in Ungarn, einem Teil
Mitteleuropas also, dem die habsburgische Vergangenheit gemeinsames Erbe
ist.
Der Herausgeber Friedrich Polleroß (Wien) vermittelt in seinem Beitrag
eine Vorstellung von den Wegen, die Kunst-Reisen und Kunst-Handel im 17.
und 18. Jahrhundert genommen haben; Zdenek Kazlepka (Brno/Brünn) macht
mit dem 1610 geborenen Stilllebenmaler Gottfried Libalt einen Vorreiter
der barocken Künstlermigranten bekannt; Petr Fidler (Innsbruck)
referiert den für Wien und Mähren so bedeutenden, aus dem Como-Gebiet
stammenden Architekten Giovanni Pietro Tencalla; Hellmut Lorenz (Wien)
konzentriert sich auf die Italienreise des Johann Bernhard Fischer von
Erlach; Huberta Weigl (Wien) versucht der Vita des zeitgleichen
Klosterarchitekten Jakob Prandtauer nennenswerte Reisen zu entlocken;
Ryszard Holownia (Wroclaw/Breslau) führt ein in die geographische wie
künstlerische Umtriebigkeit des Jesuiten und Pozzo-Epigonen Christoph
Tausch; Wolfgang Prohaska (Wien) gibt dem comaskischen Maler Carlo
Innocenzo Carlone Kontur als mitteleuropäischen Wanderkünstler ersten
Ranges; Pavel Preiss (Prag) bringt mit dem kaum bekannten, aus dem
Waldviertel stammenden Maler Jakob Anton Pink einen böhmischen
Kleinmeister ins Bewußtsein; Andreas Gamerith (Wien) ergötzt sich am
Schaffen des berühmten Südtirolers Paul Troger, Ingeborg
Schemper-Sparholz widmet sich dem mitteleuropäischen Aspekt des Tiroler
Bildhauers Jakob Christoph Schletterer; Jiri Kroupa (Brno/Brünn)
diskutiert aufschlußreich den Brünner Plansammler und Architekten Franz
Anton Grimm; Michael Grünwald (Stift Göttweig) erklärt die
Kunsttransporte des in Krems ansässigen Tiroler Malers Martin Johann
Schmidt, Anna Jávor (Budapest) nimmt sich engagiert der Bedeutung des
spätbarocken, aus Wien stammenden Malers Johann Lucas Kracker an; Monika
Dachs (Wien) zeigt die unternehmerisch-logistischen Qualitäten des
großen Franz Anton Maulbertsch auf; Petra Peška (Wien) stellt die für
die barocke Raumwirkung so elementare Tätigkeit der Marmorierer am
Beispiel des Johann Ignaz Hennevogel in den Mittelpunkt; Lubomír
Slavícek (Brno/Brünn) schließt den Reigen mit einer Betrachtung des 1807
verstorbenen mährischen Maulbertsch-Schülers Joseph Winterhalder.
Auf jeden der sechzehn Beiträge einzugehen ist aus Platzgründen nicht
möglich. Deren gemeinsame Schnittmenge führt aber recht unmittelbar zur
allgemeinen Charakteristik des Bandes, die es zu erörtern gilt. Befragt
man das Verhältnis zwischen den inhaltlichen Vorgaben, die der Titel
macht, und den Ausführungen der Beitragenden, ergibt sich ein relativ
einheitliches Bild. Dabei ist der Bezug von Titel und Vorgaben a priori
nur schwer erkennbar, zu sehr ist der Titel auf hedonistische
Assoziationen angelegt: „Reiselust und Kunstgenuß“ liegt nahe bei
Gaumenfreuden und Genußmitteln,Rezeptbüchern und Reiseführern.
Ungerechtfertigt gerät da das Buch in Gefahr, in der Abteilung für
leicht Verdaubares zu landen und für eine Klientel gemacht zu sein, der
Kunst vorrangig schön und Lust erregend zu sein hat. Die Entscheidung
für den populistisch geratenen Titel erklärt sich wohl aus dem sonst
nicht weiter relevanten Umstand, daß der Band Begleitbuch einer
Ausstellung gleichnamigen Titels, aufgeteilt auf die Stifte in Geras
(Niederösterreich) und Nová Ríše (Mähren) ist.
Wie Friedrich Polleroß hinweist, ist das Thema des Reisens, des
Austauschs und der Migration im barocken Zeitalter in den vergangenen
Jahren mehrfach Gegenstand von Tagungen in Deutschland, Österreich oder
der Schweiz gewesen. Mobilität, so die Quintessenz der Ergebnisse, haben
nicht nur Künstler und Auftraggeber gezeigt, sondern auch Ideen und
deren Träger. Der Transfer von Entwürfen und Konzepten, der Austausch
von Stil und Programm, aber auch die länder- und sprachübergreifende
Wirksamkeit von Gruppenidentität (etwa jener von Ordensgemeinschaften)
und daraus resultierenden Kunstabsichten zählen zu den wichtigen
Strukturkonstanten der künstlerischen Entwicklung im barocken Zeitraum,
also spätestens ab Mitte des 17. bis gegen das Ende des 18.
Jahrhunderts.
Polleroß greift diesen Ansatz auf und entwickelt mit einer Dichte von
aus der historischen, besonders auch aus der sozialgeschichtlichen
Literatur gezogenen Fakten eine Vorstellung von der Bandbreite des
Themas. In losem Zusammenhang läßt er Beispiele der Grenzüberschreitung
durch Personen und Kunstobjekte paradieren: Prälaten und Diplomaten,
welche sich ihrer internationalen Beziehungen (Familien, Orden)
zugunsten ihrer Auftraggeberschaft und ihrer Sammeltätigkeit bedient
haben, sowie religionspolitische „Asylanten“ und „Wirtschaftsflüchtlinge“ (welch historisch fragwürdige, weil mit unschönen Assoziationen mit
den Problemen unserer Tage belastete Bezeichnung für einen Domenico
Sciassia oder einen Carpoforo Tencalla!) zeichnen verantwortlich für das
Festsetzen barocker Kultur im mitteleuropäischen Raum.
Die anderen AutorInnen folgen dieser Spur unterschiedlich und zuweilen
zögerlich. Das liegt zum Teil daran, daß „ihre“ Künstler ausgesprochene
Reisemuffel waren oder aus deren Biographien wenig Kenntnis über
maßgebliche Reiseunternehmungen zu gewinnen ist, aber auch und vor allem
an einem fast durchgehend gültigen werksmonographischen Erzählansatz.
Nahezu jede/r der AutorInnen kennt „ihren/seinen“ Künstler schon sehr
lange und hat sich viel mit ihm beschäftigt. Aus dem daraus
resultierenden umfangreichen Wissen haben sie wohl temperierte
Kurzmonographien hergestellt, mit Präsentation der wichtigsten
Lebensstationen und Werke, unter besonderer Berücksichtigung von
etwaigen Reisen und angereichert mit mehr oder wenig treffenden Zitaten.
Zwischen dem so lebensverändernden Abgang des jungen Fischer von Erlachs
von Graz nach Rom, wo er etwa sechzehn Jahre seines Lebens verbracht und
seine künstlerische Formatierung erhalten hat, und einem
Baustellenbesuch im Weinviertel, den der reisefaule Jakob Prandtauer von
St. Pölten aus widerwillig unternommen hat, wird da nicht unterschieden.
Auch ein Ortswechsel, wie er z.B. für die zahllosen comaskischen
Künstler oft lebensnotwendig war und über Generationen hinweg
vorgenommen werden mußte, wird dem Anlaßwort „Reisen“ subsumiert. Die
Skizze etwa einer Typologie des Reisens im Dienst der Kunst - um nur
eine mögliche und methodisch wahrscheinlich fruchtbare Annäherung ans
Thema zu nennen - wäre ein vielleicht lohnendes und alle beteiligten
Kräfte zu einer vermehrt kollektiven Anstrengung motivierendes Ziel
gewesen.
Trotz dieser methodischen Schwäche ist der Band lehrreich, wichtig und
unentbehrlich für jede private wie öffentliche Bibliothek, die sich mit
dem Phänomenen der barocken Kunst im allgemeinen und der
mitteleuropäischen im besonderen auseinandersetzt. Er besticht durch die
Breite der Informationen, durch den mikroskopischen Blick auf eine
ehemals sehr international strukturierte Kunstlandschaft. Das
unverbundene und wenig konzertierte Nebeneinander von in sich
geschlossenen Beiträgen über Maler, Architekten, Bildhauer und Marmorierer verblüfft in Summe durch eine ungeheuer detailreiche
Zusammenschau des mitteleuropäischen Barock, seiner Bedingungen und
Mechanismen in den Bereichen der Künstlerschaft, der Auftraggeber, der
Sammler und des Marktes. Mitverantwortlich dafür ist eine ausgewogene
Auswahl der behandelten Künstler, beginnend vor Mitte des 17.
Jahrhunderts und endend mit dem Ausklang des 18. Jahrhunderts. Neben
Heroen wie Fischer von Erlach, Paul Troger und Franz Anton Maulbertsch
und anderen etablierten Größen wie Jakob Prandtauer und Carlo Innocenzo
Carlone wird etwa ein Giovanni Pietro Tencalla ins rechte Licht gerückt,
der zwar in der österreichischen und mährischen Architekturgeschichte
des 17. Jahrhunderts seit langem verankert ist, dessen tatsächliche
Bedeutung sich aber erst allmählich konturieren läßt. Ausreichend Platz
wird auch den weniger bekannten Künstlern wie Jakob Anton Pink oder
Johann Ignaz Hennevogel eingeräumt, deren Kenntnis und Wertschätzung
erst die Feinstruktur des barocken Kunstgeschehens wirklich verstehen
läßt.
Es ist die Stärke des Buches, den Mikrokosmos einer im europäischen
Vergleich kleinen, aber höchst vitalen Kunstlandschaft auf
unkomplizierte und gut portionierte Weise sichtbar zu machen. Weil viele
der Beiträge aus der unmittelbaren wissenschaftlichen Beschäftigung der
AutorInnen kommen, sind sie auf dem neuesten Wissenstand und geben (mit
den enthaltenen Literaturhinweisen) Basis für weitere Beschäftigung.
Dass das Buch zusätzlich auch bibliophilen Erwartungen entspricht, ist
dem Verleger Dr. Imhof zu verdanken. Die Attraktivität der Publikation
verdankt sich nicht unwesentlich seiner Bereitschaft zur äußerst reichen
und qualitätvollen Bebilderung.
Redaktion: Claudia Sedlarz
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