Manuela Beer: Triumphkreuze des Mittelalters. Ein Beitrag zu Typus und
Genese im 12. und 13. Jahrhundert. Mit einem Katalog der erhaltenen
Denkmäler, Regensburg: Schnell & Steiner 2005 (= Diss. Phil. Bonn 2003); 846
Seiten, ISBN 3-7954-1755-4, 118,-
Jens Reiche
Mit 846 Seiten gehört die Dissertation von Manuela Beer zu den Werken, die
den Leser schlicht erschlagen. Immerhin hat sich Beer nichts Geringeres als
eine „systematische Erfassung“ des Bestandes von Triumphkreuzen und
Triumphkreuzgruppen vorgenommen (11) - man beginnt zu ahnen, dass der Umfang
dem Untersuchungsgegenstand angemessen ist. Fast die Hälfte nimmt ein
Katalog von 121 Objekten ein. Dabei handelt es sich in der Mehrzahl um
nahezu unbekannte Stücke. Beer liegt viel daran, die Untersuchung auf eine
breite Materialgrundlage zu stellen. Auch wenn keine eigenen
restauratorischen Untersuchungen angestellt werden konnten, ist das Material
gründlich aufgearbeitet und durch viele eigene Beobachtungen ergänzt. Schon
hierin liegt ein großes Verdienst der Arbeit.
Beer beginnt mit einer Darstellung der Forschungsgeschichte zu
mittelalterlichen Kruzifixen (12-23) und nimmt dabei vielfach kritisch
Stellung. Die Literatur ab 2004 wird verständlicherweise nur noch am Rande
wahrgenommen (zu nennen sind hier vor allem die Arbeiten von Gerhard Lutz
und Katharina Christa Schüppel [1]).
Es folgt eine Definition des Begriffs „Triumphkreuz“ (24-32), für das Beer
drei konstituierende Elemente ausmacht: die Anbringung zwischen Chor und
Laienraum, meist auf einem Querbalken und in Verbindung mit dem Kreuzaltar;
die Größe, welche jedoch kein absolutes Kriterium darstellt (so scheint im
Bamberger Dom ein nur 83 cm hohes Elfenbeinkruzifix als Triumphkreuz gedient
zu haben, 304-306); und schließlich die Ikonographie des sieghaften
Christus. Damit bleibt die Definition Reiner Haussherrs von 1972 weiter
gültig [2]. Wegen seiner abweichenden Ikonographie muss z.B. das Kruzifix über dem Naumburger Westlettner ausgeschieden werden (302). Zu Recht weist
Beer darauf hin, dass der mittelalterliche Terminus „Crux triumphalis“
unscharf ist und auch ein Altarkreuz meinen kann (28).
Die Autorin wendet sich nun der systematischen Auswertung des Bestandes zu
und beginnt mit Deutschland (33-45). Etwa drei Viertel der Objekte stammen
aus den Jahrzehnten zwischen 1200 und 1260, und regional liegt das
Schwergewicht auf Norddeutschland, vor allem Schleswig-Holstein. Leider
lässt Beer nicht überall klar erkennen, ob die heutige Verteilung der
ursprünglichen entspricht oder den Erhaltungsumständen zuzuschreiben ist.
Der Leser wundert sich, dass alle übrigen Länder erst im Schlusskapitel
folgen (337-407) und begreift nun, dass es doch nur um einen„repräsentativen Ausschnitt“ (11) geht; auch im Katalog wird nur der
deutsche Denkmalbestand berücksichtigt, abgesehen von einigen Ausnahmen inÖsterreich und Südtirol. Die geographische Einschränkung hat keine
ersichtlichen inhaltlichen Gründe und ist letztlich wohl als Kapitulation
vor der Materialfülle zu verstehen, was durchaus entschuldbar ist, aber von
Anfang an (auch im Titel) hätte deutlich gemacht werden müssen.
Nichtsdestotrotz erbringt auch die Kurzuntersuchung der europäischen Länder
wertvolle Erkenntnisse, gerade zu dem umfangreichen Bestand in Skandinavien
(362-381).
Manuela Beer setzt sich in einem eigenen Kapitel mit dem technischen Befund
auseinander (46-73), vor allem mit dem Material und den Fassungen. Letztere
können zur Präzisierung der Ikonographie beitragen: Viele Kreuze werden erst
durch die Fassung als Lebensbaum oder Gemmenkreuz charakterisiert (64).
Ein zentrales Kapitel der Arbeit ist der Ikonographie gewidmet (74-166). Das
Kreuz erhält fast überall durch Evangelistensymbole an den Kreuzenden,
manchmal auch durch herbeifliegende Engel, einen eschatologischen Sinn. Im
Christusbild ist ein Wandel zu verzeichnen: Herrschte um 1200 der
triumphierende Christus vor (nur vereinzelt, so in Osnabrück, Cappenberg
oder Bockhorst, finden sich auch Züge der Passion), wurde er seit der 2.
Hälfte des 13. Jahrhunderts immer mehr vom leidenden Christus abgelöst. Seit
dem späten 12. Jahrhundert wurden in der Mehrzahl der Fälle Maria und
Johannes als Assistenzfiguren hinzugefügt. Das Programm konnte auf
verschiedene Weise erweitert und um zusätzliche Sinnschichten bereichert
werden, z. B. durch Kirchenpatrone oder Cherubime. Letztere interpretiert
Beer überzeugend als „Zeugen der unmittelbaren Gottesgegenwart“ (121); sie
sind nur bei besonders anspruchsvollen Triumphkreuzen in einzelnen
Kathedralen und hochrangigen Stiftskirchen zu finden (409). Unverkennbar
ist, wie die Triumphkreuzgruppe des Halberstädter Doms aus allen erhaltenen
durch ihren künstlerischen Anspruch und ihre ikonographische Komplexität
hervorsticht - nicht ohne Grund hatte Manuela Beer zunächst 1996 in einer Magisterarbeit diese Gruppe behandelt. In Halberstadt steht das Suppedaneumüber einem Drachen, und darunter ist ein Dreipass mit Adam angebracht. Maria
wird durch eine beigefügte Schlange als neue Eva gekennzeichnet, und
Johannes bezwingt einen wohl das Böse personifizierenden König. Dass die„Durchdringung mehrerer Sinnschichten ein typisches Charakteristikum der
Triumphkreuze“ sei (104), gilt insbesondere für die Halberstädter Gruppe,
der in vielem auch Wechselburg folgt. Zum Abschluss des Kapitels untersucht
Beer auch die Triumphbalken (133-142), die Tafelkreuze in den
Zisterzienserkirchen Schulpforta und Loccum (143-145) und das singuläre
Scheibenkreuz der Soester Hohnekirche, für das sie eine Funktion als festes
Triumphkreuz ausschließt und stattdessen eine temporäre Aufstellung für
Osterspiele vorschlägt (154-163).
Die wichtigsten Erkenntnisse hat Beer jedoch über die „Genese und
Entwicklung“ (167-248) gewonnen. Sie beginnt mit einer leider stark
verkürzten Diskussion der karolingischen Großskulptur (167) und verweist
kurz auf das im Sankt Gallener Klosterplan eingezeichnete Triumphkreuz
(171), um dann schnell auf die ältesten erhaltenen, ottonischen
Triumphkreuze einzugehen: das Kölner Gerokreuz (um 970), das Aschaffenburger
Kreuz (um 980/1000) und die etwas jüngeren Kreuze in Gerresheim und
Ringelheim (177-186). Diese frühen Beispiele bezeichnet Beer vorsichtig als„Großkreuze“ (32) oder „Monumentalkreuze“ (177), doch genügen sie allen
Kriterien eines Triumphkreuzes, abgesehen davon, dass die genauen
Modalitäten ihrer ursprünglichen Aufstellung nicht bekannt sind. Mit diesen
frühen Vertretern kann Beer auch die häufig geäußerte Annahme widerlegen,
das Triumphkreuz sei in England entstanden (408), wie die vielen für das 11.
Jahrhundert schriftlich überlieferten Beispiele vermuten lassen könnten.
Wegen der bis in ottonische Zeit zurückgehenden Frühgeschichte ist zu
bedauern, dass Beers Katalog erst um 1150 einsetzt. Hingegen erscheint die
untere Zeitgrenze um 1300 (495) gerechtfertigt, da Beer nachweisen kann,
dass sich die Ikonographie bereits in der zweiten Hälfte des 13.
Jahrhunderts verfestigt hatte (218). Bald darauf entstanden andere,
andachtsbetonte Typen wie das Gabelkruzifix (223f.). Die eindrucksvollen
späteren Beispiele in Bad Doberan (um 1368/1370) und im Lübecker Dom (1477
vollendet) unterscheiden sich ikonographisch wie funktional von den
eigentlichen Triumphkreuzen vor 1300 (235-242).
Schließlich versucht sich Beer an der schwierigen Aufgabe, die Aufstellung
und die liturgische Nutzung von Triumphkreuzen zu erschließen (249-336).
Besonders aufschlussreich sind die frühen nachweisbaren Aufstellungen: als
Altarkreuze seit dem 7. Jahrhundert (Saint-Denis), auf Säulen seit um 1000
(dargestellt auf der Metzer Adalbero-Tafel, z.T. erhalten in Hildesheim und
Essen) und schließlich auf Triumphbalken seit dem Ende des 10. Jahrhunderts
temporär (Mainzer Bennakreuz, 275) und seit spätestens um 1070 fest montiert
(bezeugt für Winchester und Canterbury, 277, 341). Vom Bildprogramm der
Bernwardssäule scheint jedoch kein direkter Weg zu den
Triumphkreuzikonographien zu führen. Wie zu erwarten, ist die Verbindung des
Triumphkreuzes mit dem Kreuzaltar (der natürlich fast nie genau in der„baulichen Kreuzmitte“ der Kirche steht, 265), später auch mit dem Lettner,
bedeutungskonstituierend. Für die räumliche Organisation der Liturgie hätte
die Untersuchung der romanischen Kirchen Kölns durch Clemens Kosch 2000 [3]
weitere Perspektiven eröffnen können. Zu verschmerzen ist dagegen, dass die
formal orientierte Untersuchung des Lettners durch Monika Schmelzer 2004 [4]
nicht mehr eingearbeitet werden konnte. Jenseits der Interpretation der„Triumphkreuzgruppe als End- bzw. Höhepunkt eines heilsgeschichtlichen Weges
im Kirchenraum“ (316) stellt Beer wichtige Überlegungen an. So scheint eine
Einbeziehung der Triumphkreuze in liturgische Spiele plausibel, auch wenn
vor dem 15. Jahrhundert jeder direkte Nachweis fehlt (327-329). Die Annahme
einer in St. Michael in Hildesheim seit dem späten 12. Jahrhundert
vorhandenen Verbindung von Triumphkreuz und Ostergrab wird von Beer
angezweifelt (295-308).
Nach dem etwas unglücklich eingeschobenen, sehr umfangreichen
Literaturverzeichnis (411-493) bildet der Katalog den zweiten
konstituierenden Teil des Buchs (495-840). Die Einträge sind einheitlich und
systematisch aufgebaut und so erschöpfend wie möglich, lesen sich aber
trotzdem flüssig.
Die Feinchronologie der Halberstädter Gruppe (605-621) kann auch Beer nicht
abschließend klären. Sie lehnt zu Recht sowohl die byzantinische als auch
die nordfranzösische Ableitung ab, muss jedoch einräumen, dass die am
engsten verwandten Werke, eine Gruppe von Figuren in Halberstadt, ebenfalls
nicht fest datiert sind. Als Terminus ante quem dient ihr die Naumburger
Triumphkreuzgruppe, die um 1220/1225 entstanden sein soll, doch auch hier
handelt es sich nur um eine stilistische Einordnung (715-717) [5]. Zur 1996
vorgenommenen dendrochronologischen Untersuchung, die für das Halberstädter
Kreuz als frühestes Datum 1211 (eher aber ab 1221) und für den südlichen
Cherub 1184 ergeben hat (606), vermisst man jede Stellungnahme. Es leuchtet
aus diesen Gründen nicht zwingend ein, die Gruppe bereits 1210/1215
anzusetzen. Über ihre „überzeugende Frühdatierung“ (716) scheint noch nicht
das letzte Wort gesprochen zu sein.
Generell liegen für Triumphkreuze nur wenige feste Daten vor. Durch Quellen
können die Kreuze der Landshuter Trausnitz (nach 1204, 674), von Schulpforta
(wahrscheinlich vor 1268, 777) und von Havelberg (nach 1279, 632) wenigstens
ungefähr eingeordnet werden. Naturwissenschaftliche Untersuchungen hat es
bei erschreckend wenigen Stücken gegeben: Außer dem Kölner Gerokreuz (178)
und dem Aschaffenburger Kruzifix (181f.), deren dendrochronologische
Zeitansätze etwas ausführlicher hätten referiert werden können, sind nur das
Borghorster Kreuz (ergebnislos, 516), Halberstadt und Osnabrück (frühestens
1169, wahrscheinlich nach 1179, 733; laut Beer stilistisch aber 1200/1210,
735f.) dendrochonologisch analysiert worden. Hinzu kommen die umstrittenen
C14-Untersuchungen zum Udenheimer Kruzifix im Mainzer Dom (806-808) und die
noch nicht abgeschlossene des Schaftlacher Kreuzes (764-769), die auf die„Ottonenzeit“ deute. (Beer zieht trotzdem aus stilistischen Gründen die
Mitte oder die 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts vor.)
Die Benutzbarkeit des Werks wird durch das Ortsregister (843-846)
erleichtert, doch hätte man unbedingt auch eine Übersichtskarte erwartet.
Ganz ohne Zweifel ist das Buch trotz der erwähnten Lücken so anspruchsvoll
und materialreich, dass es wohl für Jahrzehnte das Standardwerk zum Thema
werden wird.
Anmerkungen:
[1] Gerhard Lutz: Das Bild des Gekreuzigten im Wandel. Die sächsischen und
westfälischen Kruzifixe der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, Petersberg
2004. - Katharina Christa Schüppel: Silberne und Goldene
Monumentalkruzifixe. Ein Beitrag zur mittelalterlichen Liturgie- und
Kunstgeschichte, Weimar 2005.
[2] Reiner Haussherr: Triumphkreuz, in: Lexikon der Christlichen
Ikonographie, hrsg. von Engelbert Kirschbaum, Bd. 4, Freiburg / Br. 1972,
Sp. 356-359.
[3] Clemens Kosch: Kölns Romanische Kirchen. Architektur und Liturgie im
Hochmittelalter, Regensburg 2000.
[4] Monika Schmelzer: Der mittelalterliche Lettner im deutschsprachigen Raum. Typologie und Funktion, Petersberg 2004.
[5] Beers stilistische Einordnung überzeugt mehr als die von Lutz 2004 (wie Anm. 2), S. 92-106 gesehenen anglonormannischen Bezüge.
Redaktion: Rainer Donandt
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