REV-EX 22.04.2013

Schönheit und Revolution. Klassizismus 1770-1820 (Frankfurt/Main)

Städel Museum Frankfurt am Main, 20.02.–26.05.2013

Rezensiert von Ellen Spickernagel, Frankfurt a.M.
Redaktion: Livia Cárdenas
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Die Schau gehört zu der wachsenden Zahl derer, die viel versprechen. In diesem Fall eine ganze Epoche der Kunst mit den einschlägigen großen Namen - Antonio Canova, Bertel Thorvaldsen, Jacques- Louis David, John Flaxman – und dem zugehörigen Medienspektrum Skulpturen, Gemälden, Zeichnungen, Stichen. Doch der Werbung und dem Wirbel um diese „hinreißend schöne Auswahl von Bildern aus der Epoche des Klassizismus“ (FAZ, 20.02.2013) muss man angesichts zweitrangiger Schaustücke, Kopien, Studien statt der Hauptwerke, beträchtlicher Lücken widersprechen. Es fehlt eine an aktuellen Forschungsfragen orientierte Konzeption und wissenschaftliche Aufbereitung und folglich die Basis für eine das Publikum animierende Inszenierung. Lohnt es sich also nicht, die Ausstellung zu besuchen? Doch es lohnt, denn sie bietet reiches Anschauungsmaterial und somit eine einmalige, befristete Gelegenheit, dieses erneut zu befragen und andere Perspektiven zu entwickeln. Eine solche Ausstellung zu übergehen und allein den Ergebenheitsartikeln der lokalen oder überregionalen Feuilletons zu überlassen, wäre Verschwendung einer Ressource.

Die Ausstellung gibt uns eine linear verlaufende Entwicklungsgeschichte klassizistischer Kunst gemäß der Leitlinie größerer Nähe und zunehmender Distanz zur Antike vor. Ausgangspunkt sind berühmte Antikenkopien und etliche ihrer Nachahmungen und Verarbeitungen, etwa der „Apoll vom Belvedere“ (Gipsabguß, um 1800-1815, Kat. 9) und Anton Raphael Mengs „Parnass“ sowie die „Schlafende Ariadne“ (Gipsabguß, 1770er Jahre, Kat. 10) und eine ihrer Wiedergängerinnen, hier Angelika Kauffmanns Gemälde „Penelope wird von Eurykleia geweckt“, 1772 (Kat. 4). Skandalös, dass kein weiteres Werk der zahlreichen berühmten Künstlerinnen dieser Epoche zu sehen ist.

Jedoch wird das bekannte, auch im Katalog und in Wandtexten oft beschworene Auseinanderdriften von idealer Schönheit gemäß der Lehre Winkelmanns und expressiver Abweichung bei der Anti-Fraktion Sergel, Füssli, Banks breit dargelegt. Die subtile erotische Anmutung, z.B. der „Amor und Psyche-Gruppe“ Canovas (Kat. 30), kontrastiert mit Zeichnungen Füsslis, die seine große Freiheit gegenüber literarischen Quellen belegen, wobei allerdings übersteigerte Muskelstärke und extreme Bewegungen Helden wie Herakles oder Achill zu recht schrillen Ausdrucksträgern machen (Kat. 24, 25). Leider können die dem Rebellen Johan Tobias Sergel zugeordneten Zeichnungen die Vielschichtigkeit und Zerrissenheit seines künstlerischen Potentials kaum veranschaulichen.

Davids „Tod des Marat“, 1793 – Kopie der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts (Kat. 42) – markiert das Thema „Politische Gegenwart“. Nach dem Muster des Fortschritts in der Kunst folgt seinem explizit politischen Anspruch im nächsten Raum die innovative, „reine“ Linienkunst Flaxmans in seinen Illustrationen zu Homer und Aischylos (Kat. 50), daneben eine der Vasen, 1785, nach seinem Entwurf für den Keramikunternehmer Joshua Wedgwood (Kat. 48). Dieser machte sich die leichte Übertragbarkeit des Linienstils auf beliebige Medien und Objekte zunutze und begann mit durchschlagendem Erfolg, alle Prozesse der individuellen Keramikproduktion zu rationalisieren (Ausst.-Kat., S. 193). Statt die rasante Entwicklung der Reproduktionstechniken an der Schwelle zur industriellen Revolution des späten 18. Jahrhunderts anhand vielfältiger kunsthandwerklicher Beispiele aufzuzeigen, möblieren einige exzentrische Vitrinen mit wenigen Luxusobjekten den Raum. Unbegründet fehlen Beispiele der klassizistischen Landschaftsmalerei - J.A. Kochs späte „Landschaft mit dem Raub des Hylas“, 1832 (Kat. 73) steht für die „Wege aus dem Klassizismus“ (Wandtext).

Kennzeichnend für die Ausstellungsgestaltung sind starke Wandfarben, die nur sparsame Belegung des freien Raums und großzügige Hängung und Platzierung weniger Exponate. Die Isolierung der Schaustücke suggeriert Rang und Wert jedes einzelnen Objekts und gebietet geradezu eine eingängige Betrachtung. Die an Symmetrie, Balance, klassischer Harmonie orientierte Ausstellungsgestaltung will Bedeutung herstellen, statt umgekehrt aus einer stringenten Konzeption die Inszenierung abzuleiten. Jedoch weicht die geforderte Andachtshaltung oft der Befremdung - vor allem in dem eigens für Canovas „Amor und Psyche“ errichteten kleinen Tempel und dem zeremoniell aufgeblasenen Entree der Schau, ein großer leerer Saal, in dem allein Canovas (1800 – 1805) und Thorvaldsens marmorweiße „Heben“ (um 1815) aufgestellt sind (Kat. 59, 60). Zwischen ihnen schreiten die Besucher auf den monumentalen „Torso vom Belvedere“ zu (Gipsabguss, um 1800-1815, Kat. 9) in der Mitte des ersten Raumes. An den Wänden ringsum sehen wir weitere Kopien nach kanonischen Skulpturen der Antike, Venus, Laokoon, die Schlafende Ariadne und einige Gemälde. Mit dem in die Raummitte gewuchteten weißen Torso und seiner farbigen Entourage an den Wänden ist ein Präsentationsmodul vorgegeben, das sodann in Serie geht. So steht zunächst Thomas Banks „Fallender Titan“, (Marmor, 1786, Kat. 28), dann Canovas „Theseus und Minotaurus“, 1783, im Mittelpunkt (Kat. 29). Unter den Gemälden ist neben Davids „Belisar“, 1784, und dem rätselhaften sog. „Patroklus“ (Kat. 35, 36) Gavin Hamiltons „Andromache beweint den Tod Hektors“, 1760/63, aus dem Ilias-Zyklus hervorzuheben (Kat. 5). Im Seitenkabinett, in dem der Apoll vom Belvedere (Kat. 8) übermächtig wirkt, hängt neben den zugehörigen Grafiken des Zyklus Davids kleinformatiger Entwurf zum „Schwur der Horatier“, 1784/85 ( Kat. 37). So wird die oft beglaubigte epochale Bedeutung eines seiner Hauptwerke klein geredet.

Der Katalog enthält eine Reihe von Aufsätzen, die sich überwiegend auf einzelne Künstler und ihre Kreise beziehen, Sergel, Canova, Flaxman, Carstens. Die Autoren kommentieren - was leider zu selten der Fall ist - auch die jeweils zugehörigen Exponate, so dass sich die Texte wechselseitig erhellen. Zu begrüßen ist auch, dass die Geschichte und Funktion von Abgüssen und Kopien antiker Skulpturen, sachgerecht aufbereitet, zu lesen ist.

Nach Werner Hofmanns legendärem Ausstellungszyklus zur Kunst um 1800 und den zahlreichen grundlegenden Publikationen zum Bicentenaire der Französischen Revolution 1989 war eine erneute Auseinandersetzung und Revision der historischen Sichtweisen gemäß neuerer kunstgeschichtlicher Diskurse zu erwarten. Der Rückfall in die längst ad acta gelegte Kunstgeschichte der Stilkritik und linearen Entwicklung ist umso ärgerlicher, als die Vielzahl anderer Erkenntnisse, Ansätze, Deutungen, z.B. Genderforschung, postkoloniale Studien, ausgeschlossen wurde. Daher sollten wir die Exponate etwas anders gruppieren und thematisch akzentuieren, um offenen Fragen nachzugehen. Zwei Aspekte seien herausgegriffen.

„Es mag Zufall sein“, schrieb die FAZ im o.g. Artikel, „dass Tod und Trauer in dieser Ausstellung eine große Rolle spielen“. Nein, keineswegs ist es ein Zufall, dass sich etwa ein Viertel der rund achtzig Schaustücke dieser zentralen Thematik der Kunst der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts widmen. Fragen wir also nach einigen wiederkehrenden Bewältigungsstrategien der Künstler.

Thomas Banks „Marmorrelief Thetis und ihre Nymphen erheben sich aus dem Meer, um Achill zu trösten“, 1777-78, zeigt die geläufige Durchdringung antiker Quellen und christlicher Ikonografie, hier die Pieta (Kat. 27). Die exaltierten Gesten des Akteurs und der weiblichen Klagenden in Canovas großformatigem Relief „Tod des Priamos“, 1790-92, zielen auf starke Affekte (Kat. 32). Durch strenge Linienführung und feierliche Aufreihung von säulengleichen Gestalten und leeren Zwischenräumen bringt dagegen Flaxmans „Prozession trojanischer Frauen“, 1793, Tod und Gedenken nahe (Kat. 51).

Es fällt auf, dass in vielen Historienbildern die Allegorie der „Weiblichen Lebensalter“ den Trauerpart übernimmt. Wie sie sich in Hamiltons „Andromache“ in der jungen Helena, der Witwe im mittleren Lebensalter und der greisen Mutter verkörpern, so sind sie auch noch in dem späten, allegorisch überladenen Epitaph Thorvaldsens für Johann Philipp Bethmann-Hollweg, 1813-1830/32, in der klagenden Mutter und der zwei Schwestern zu erkennen (Kat. 62).

Zwischen diesen Eckpunkten stehen Davids „Schwur der Horatier“ und „Tod des Marat“. Die Ikone der Französischen Revolution war für den Sitzungssaal des Nationalkonvents bestimmt. Mit der rigorosen Trennung der militärisch agierenden Männer und den drei trauernden Frauen schrieb der Maler bekanntlich die Naturalisierung der binären Geschlechterrollen fest. Indem er das genuin trauernde Geschlecht – was bisher übersehen wurde - auch dem „Märtyrer der Freiheit“ zuordnete, entstand ein differenzierteres Männerbild. Da Marat dem toten Christus der Pieta gleicht, spielt in seine Wahrnehmung unweigerlich die Gestalt der Mutter Jesu hinein. Das tiefe, raumlose Dunkel, das fast die Hälfte der Komposition einnimmt, evoziert ihr Leiden, das sie mit der durch Schriftstücke vergegenwärtigten Kriegerwitwe mit fünf Kindern sowie der Mörderin Charlotte Corday teilt, die sich selbst als „unglücklich“ bezeichnet. David würdigte das politische, affektive und ästhetische Potential der Volksvertreter, das sie befähigte, den Tod des Helden in eine Beweinungsszene zu transformieren und den durch Weiblichkeit repräsentierten Schmerz mit zu vollziehen. Zur gleichen Zeit schlossen sie die Bürgerin als politisches Subjekt aus.

Die in der Ausstellung gegebene Dominanz der marmor- und gipsweißen Skulpturen und Reliefs überhöht ihre Bedeutung im Sinn der Propagandisten Mengs und Thorvaldsen (S. 70), die einen wahren Feldzug zur Verbreitung von Kopien und Abgüssen in den Akademien führten mit dem Effekt, dass die Künstlerausbildung bis weit ins 19. Jahrhundert an der normativen Ästhetik der Antike ausgerichtet blieb. Die Frankfurter Ausstellung trägt nichts zur Erhellung der politischen Funktionen der klassischen Formen bei. Dabei drängt sich der Zusammenhang zwischen der Konjunktur der angeblich weißen Antike und der sich konstituierenden bürgerlichen Gesellschaft geradezu auf. [1] Da das im Zeitalter der Aufklärung und Revolution geschaffene idealschöne Körpermodell die Hautfarbe der Europäer zum machtvollen Zeichen der Überlegenheit über farbige Gesellschaften erhob, diente die Ästhetik des Weiß der Legitimation kolonialer Expansion und Ausgrenzung fremder Kulturen. Höchste Zeit, diese Geschichte und Aufklärung nicht länger allein den Weltkulturenmuseen zu überlassen.


[1] Vgl. Viktoria Schmidt-Linsenhoff, Karl Hölz, Herbert Uerlings (Hg.), Weiße Blicke. Geschlechtermythen des Kolonialismus, Marburg 2004 sowie Viktoria Schmidt-Linsenhoff, Ästhetik der Differenz. Postkoloniale Perspektiven vom 16. bis 21. Jahrhundert, 15 Fallstudien, Marburg 2010.

Bückling, Maraike; Mongi-Vollmer, Eva (Hrsg.): Schönheit und Revolution. Klassizismus 1770 - 1820 ; [... anläßlich der Ausstellung "Schönheit und Revolution. Klassizismus 1770 - 1820", Städel-Museum, Liebieghaus Skulpturensammlung, Frankfurt am Main, 20. Februar bis 26. Mai 2013], München: Abegg-Stiftung 2013
ISBN-13: 978-3-941399-27-3, 360 S., EUR 45.00

Empfohlene Zitation:
Ellen Spickernagel: [Rezension zu:] Schönheit und Revolution. Klassizismus 1770-1820 (Frankfurt/Main) (Städel Museum Frankfurt am Main, 20.02.–26.05.2013). In: ArtHist.net, 22.04.2013. Letzter Zugriff 13.12.2024. <https://arthist.net/reviews/5137>.

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