REV 15.01.2013

Antonia Surmann: Gute Küchen - wenig Arbeit

Rezensiert von Andreas Braun, BMW-Museum München
Redaktion: Philipp Zitzlsperger

Aufgrund ihrer primären Bestimmung neigen Dissertationen dazu, wissenschaftlichen Maximen zu folgen und dabei eine Komplexität und akademische Unverständlichkeit zu entwickeln, die es dem Leser erleichtert, das Werk als tiefbohrende Fachliteratur schnell wieder aus der Hand zu legen. Erfrischend verständlich geschrieben kommen dagegen Antonia Surmanns Reflektionen zum heimischen Herd daher. Mit beachtenswertem Fleiß, der gebotenen Bewältigung der verfügbaren Literatur und der Entschiedenheit, im chronologischen Rückblick Schwerpunkte zu setzen, wurde hier umfangreiches Material und Detailwissen zusammengetragen. Surmann verleiht dem komplexen, an Moden wie auch technischen Innovationen und soziologischen Bildern reichen Phänomen „Küche“ eine längst überfällige, kritische Bestandsaufnahme. Die Komplexität des Themas wird da besonders greifbar, wo vermeintliche Randbereiche wie Wohnungsbau, Eigenheimförderung, Milieubetrachtung, Materialentwicklung und Rationalisierung sinnvoll einbezogen werden. Rational wie die zeitsparenden Wege der Frankfurter Küche sind die Ausblicke und Exkurse. Immer wieder findet Surmann zum chronologischen Entwicklungsfaden zurück. In das mehr als 500 Seiten starke Kompendium sind verhältnismäßig lange Bildstrecken verwoben, die auflockern und den zehn Kapiteln eine visuelle Klammer bieten.

Die Darstellung findet ihre Mängel im hochgegriffenen Anspruch, vieles sein zu wollen. Lässt der Titel „Gute Küchen - wenig Arbeit“ eine vor allem an ergonomisch- wirtschaftlichen Maximen ausgerichtete Übersicht vermuten, weist der Untertitel den Weg eher verunklärend in Richtung „Deutsches Küchendesign“. Damit nicht genug: die Früchte dieser nationalen Betrachtung sollen im Lichte westeuropäischer Vergleichbarkeit bewertet werden. Der notwendigerweise gebotene zeitliche Rahmen wird auf die Jahre 1909 bis1989 beschränkt. Doch gibt das Buch keinen klaren Hinweis darauf, was die Begrenzung auf diese Ära rechtfertigt. Intendiert das Jahr 1989 den politischen Wandel auf deutschem Boden, so bleibt die Autorin die Schlussfolgerung schuldig, dass sich bis zur Jahrtausendwende wohl Einschneidendes getan hat, was zur Zäsur von 1989 führte. Unverständlich bleibt der Beginn von 1909, der nicht zu den Schicksalsjahren deutscher Geschichte zählt. Auch das hochgesteckte Ziel einer Verortung im westeuropäischen Kontext bleibt die Dissertation schuldig. Zwar finden sich zarte Hinweise auf Russland und die ausländische Küchenforschung, doch konzentriert sich die Darlegung primär auf innerdeutsche Verhältnisse. Ein Diskurs zwischen Ost- und Westküche unterbleibt ebenso. Im Vorspann bemängelt Surmann die teilweise mangelhafte Quellenlage. Doch hätte eine Analyse der firmeneigenen Informationsbroschüren sowie eine bildwissenschaftliche Analyse der vielfältigen Werbung als Spiegelbild ihrer Zeit eine weiterreichende Erkenntnis im Sinne der Aufgabenstellung sehr wahrscheinlich herbeigeführt.

Schmerzlich vermisst der Leser vor allem den Diskurs des eigentlichen Themas: des Küchendesigns. Die Komplexität des Themas, die vielen Aspekte, die Designprodukten wesensimmanent sind, vernebeln den Blick auf das Produkt selbst. Surmann negiert alles Deskriptive. Da, wo ästhetische Qualitäten anhand des vorliegenden Bildmaterials aussagekräftige Belege des Wandels liefern könnten, beschränkt sich die Autorin auf die akribische Aufzählung von Grifftypen. Die Untersuchung von Oberflächen, Materialien, von Gesamtanmutungen und Detaillösungen, von architektonischem Denken und szenografisch-atmosphärischer Raumschöpfung hätte sich angeboten, wollte man Küchendesign im Bedeutungswandel begreifen. Zu bizarr sind die Wege, die mal der architektonischen, mal der soziologischen Perspektive folgen. Als Küche visionär wurde und ein hybrides Dasein zwischen funktionaler Schaltzentrale und moderner Gemütlichkeit zu führen begann, wurde eine Optik geschaffen, die den zarten Pastellguss der Fünfziger Jahre abstreifte und sich dem repräsentativen Chic der Siebziger Jahre annäherte, die einen multifunktionalen Treffpunkt mit Bar-Anschluss kreierte und Ernährung in den eigenen vier Wände auf neue Weise zu interpretieren begann. Der ästhetische Aspekt des Design als Ausdruck des zeitgenössischen Gesellschaftsbildes ist in „Gute Küchen –wenig Arbeit“ kaum eingelöst worden.

Ein sehr anschauliches Bild von den unterschiedlichen Küchenmodellen vermittelt in der Tat der ansprechende, weil umsichtig zusammengetragene Bildteil. Doch eine darauf basierende bildkritische Auseinandersetzung hätte den Einblick erweitert und auf spannende Weise mit soziologischen Zeitbezügen verbinden können. Im wieweit Küchendesign individuelle Visionen von archetypischer Gemütlichkeit und Geborgenheit befriedigen, welche Projektionen und Wertedimensionen ein Ensemble aus Herd und Kühlschrank auf subtile Weise auslösen kann, hätte diese Betrachtung auf den Tisch bringen können. Es bleibt der Eindruck, dass einer solide erarbeiteten, chronologischen Übersicht der Küchenentwicklung im 20. Jahrhundert in Deutschland am Ende ein verwirrend komplex klingender Titel verliehen wurde, der vieles verspricht, doch den Leser mit unerfüllter Neugier zurücklässt.

Surmann, Antonia: Gute Küchen - wenig Arbeit. Deutsches Küchendesign im westeuropäischen Kontext 1909 - 1989, Berlin: Wissenschaftlicher Verlag Berlin 2010
ISBN-13: 978-3-86573-501-0, 557 S., EUR 80.00

Empfohlene Zitation:
Andreas Braun: [Rezension zu:] Surmann, Antonia: Gute Küchen - wenig Arbeit. Deutsches Küchendesign im westeuropäischen Kontext 1909 - 1989, Berlin 2010. In: ArtHist.net, 15.01.2013. Letzter Zugriff 19.04.2024. <https://arthist.net/reviews/4521>.

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