REV 30.03.2012

Rolf H. Johannsen (Hrsg.): »Mit vieler Kunst und Anmuth«

Rezensiert von Johannes Rößler, Klassik Stiftung Weimar
Redaktion: Rainer Donandt
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Goethes Bedeutung für die künstlerische und intellektuelle Prägung von Christian Daniel Rauch ist oft hervorgehoben worden und gehört von jeher zu den Interessensgebieten der Rauch-Forschung. Bereits 1798/99 setzte sich Rauch mit dem kunsttheoretischen Anweisungen in den „Propyläen“ auseinander, die Verfertigung der Goethe-Büste um 1820, die mit dem gemeinsamen Besuch von Staatsrat Schultz, Schinkel und Christian Friedrich Tieck in Weimar und Jena verbunden war, verfestigte die Beziehungen zwischen dem Dichter und dem Künstler. Die klassisch-realistische Ausrichtung der Berliner Bildhauerschule wäre ohne den Fixstern Goethe kaum denkbar, der wiederum, wie er 1827 gegenüber Rauch bekennt, der Plastik den uneingeschränkten Vorzug gibt: „der einzige wahre Genuß der mir noch übrig blieb, [ist] mich an plastischer Kunst zu erquicken.“ (S. 79) Goethe mag somit in Rauch einen Korrespondenzpartner gefunden zu haben, dessen künstlerische Kompetenz der eigenen kunsttheoretischen Vorstellung entgegenkam und der gegenüber dem „sternbaldisierenden Unwesen“ der Nazarener schon aus gattungsimmanenten Gründen weitgehend immun war. Doch wird, wie so oft in Goethes Briefen jener Jahre, der Grundton und Inhalt zunächst durch ein fast amtliches und nüchternes Verhältnis bestimmt. Abgesehen von einigen wenigen, fast schon von Rauch provozierten tröstlichen Worten im Jahr 1827, wird man eher von einem dienstlichen und sporadischen Briefverkehr sprechen müssen, der sich auf eine objektbezogene Diskussion und auf die wechselseitige Empfehlung von Künstlern konzentriert.

Ein Großteil der hier abgedruckten Quellen ist bereits seit der Rauch-Biographie von Friedrich Eggers und der darauf aufbauenden Edition von dessen Bruder Karl Eggers aus dem Jahr 1889 bekannt, welche allerdings auf die Sachkommentierung verzichtet und etliche Herausgeberkonjekturen enthält.[1] Eine den modernen Editionsstandards folgende Neuherausgabe des Briefwechsels bedarf daher keiner Rechtfertigung und legitimiert sich aus der Prominenz der Briefpartner selbst. Von 60 aufgenommenen Briefen werden in dem von Rolf H. Johannsen umsichtig besorgten Band zehn Briefe erstmals dem Leser zugänglich gemacht, darunter befinden sich zwei Briefe Rauchs an Goethe, vier an Kanzler von Müller, einer an Johann Heinrich Meyer und drei an nicht identifizierte Empfänger. Einige weitere Briefe fanden sich bislang nur an abgelegenen Publikationsorten und sind somit erstmals auf nutzerfreundliche Weise einsehbar. Der Kern besteht aus 18 Briefen Goethes und 16 Briefen Rauchs, wobei sich die Korrespondenz nach 1828 verdichtet. Überhaupt ist die verhältnismäßig große Zahl von 26 Briefen anderer Absender oder Adressaten auffallend: Die unterschiedlichen Vorgänge, wie etwa die Diskussion von Jubiläumsmedaillen für den Weimarer Hof, erhalten erst in der Vielstimmigkeit der künstlerischen und kulturpolitischen Akteure inhaltliche Konsistenz und machen bildkonzeptionelle Entscheidungsprozesse transparent (über die Auswahlkriterien der Drittbriefe hätte man gerne mehr erfahren). Mit der Aufnahme von brieflichen Parallelvorgängen in den editorischen Teil und der damit einhergehenden Entlastung des Kommentars hat der Herausgeber eine überzeugende Entscheidung getroffen: Die Korrespondenz erhält so ein höheres Maß an Geschlossenheit und inhaltlicher Linienführung. Ein Desiderat bleibt allenfalls die satztechnische Integration von Skizzen (so die nicht abgebildete Entwurfszeichnung zu einer Medaille, S. 44); editionsphilologisch problematisch erscheinen des Weiteren die in einfachen Klammern gesetzten Abbildungsverweise in den Briefen. Der gut informierende Kommentar, der in wenigen Fällen noch leserfreundlicher hätte ausfallen können, leistet zuverlässig Hilfestellungen.[2]

Man darf keine leichte Lektüre erwarten. Der etwas spröde und inhaltlich dichtgedrängte Stil Rauchs kontrastiert mit dem des erst in den späteren Jahren gelöster wirkenden Goethe, ebenso erschweren die gleich am Anfang stehenden Briefe Johann Heinrich Meyers den Einstieg durch dessen typische umständliche Syntax und unregelmäßige Interpunktion. Lässt man sich jedoch auf die inhaltliche Dimension der Briefe und der damit verknüpften Parallelkorrespondenzen ein, so wird man darin eine veritable Dokumentation zur Geschichte spätklassizistischer Theoriebildung und Praxis erkennen dürfen. Thematisch bestimmend sind hier vor allem Aspekte einer engen Verknüpfung von Bild- und Gedächtniskultur, die sich über die Umsetzung des seit 1823 geplanten Frankfurter Goethe-Denkmals bis hin zu Jubiläums- und Ehrenmedaillen erstreckt. Einen weiteren Schwerpunkt bildet Goethes aktiver Beitrag zur Förderung junger Künstler, die sich exemplarisch an den Empfehlungen für Angelica Facius und Carl Viktor Meyer, Sohn des Mindener Arztes und Goethe-Freundes Nikolaus Meyer, aufzeigen lässt. Rauch gibt in diesem Zusammenhang aufschlussreiche Einblicke in die Bildhauerausbildung und Werkstattpraxis um 1820 (S. 72 f; 108 f), während Goethe im Rauch-Atelier den idealen Ort des „gründliche[n] plastische[n] Unterricht[s]“ erkennt (S. 87) und die Maxime stiftet, „daß Technik und Handwerk dem höchsten Gedanken des Künstlers zuletzt erst die Wirklichkeit verleihen kann“ (S. 86).

Gerade dies, das von Goethe angesprochene Verhältnis von intellektuell-reflektierender und praktischer Realisierung, zeichnet den Briefwechsel besonders aus: Zu nennen ist Rauchs Bericht über die Herstellung von verkleinerten Repliken der Reliefs für das Blücher-Denkmal (S. 73), ihre inhaltliche Kommentierung durch den Künstler (S. 81) und schließlich Goethes Reaktion auf das übersandte „lebensvolle Basrelief“, das er im Gartenzimmer im Haus am Frauenplan aufstellen lässt (S. 88) – künstlerischer Selbstkommentar, Reproduktion und Umwidmung in einem neuen Interieur- und Wohnzusammenhang interagieren hier auf das engste, eindrucksvoll untermauert durch die kluge Abbildungsregie des Herausgebers. Die Diskussionen zu den Medaillen anlässlich des 50-jährigen Regierungsjubiläums von Karl August (S. 42-50) oder Alexander von Humboldts Kosmos-Vorlesungen (S. 83) bilden weitere Höhepunkte der Korrespondenz: Die teilweise mit Goethe und Meyer diskutierte Ikonographie und die gemeinschaftliche Ausführung durch Rauch, Tieck und dem Medailleur Henri François Brandt verweisen auf vielschichtige wie komplexe Entstehungsprozesse, die ganz nach den von Goethe in der „Einleitung zu den Propyläen“ festgelegten Prämissen arbeitsteilig und intersubjektiv vollzogen werden.[3]

Die kommentierte Neuherausgabe des Briefwechsels ist ein verdienstvoller Beitrag zu den kulturellen und kunstpolitischen Wechselbeziehungen zwischen den klassizistischen Zentren Berlin und Weimar in Goethes letztem Lebensjahrzehnt. Mit ihr rücken vor allem materialästhetische und technikgeschichtliche Aspekte in den Vordergrund, die (nicht nur) in der Goethe-Forschung lange ein Schattendasein führten und überdies zur Klärung der spezifischen Konstitution des realistischen Klassizismus in der Berliner Bildhauerschule beitragen können. Die Beziehungen zwischen Rauch und Goethe sind dabei vielfältig wie disparat, so dass sich die Bündelung des brieflichen Materials auf neunzig abbildungsreichen Seiten allemal gelohnt hat. Zutreffend charakterisiert Goethe im März 1829 Rauchs Wirken als eine Erfüllung des Ideals von „lebendiger Thätigkeit“ und „mannigfaltiger Reflexion“ und gibt in Verbindung mit dem Wunsch nach einem baldigen Besuch in Berlin zugleich eine schöne Beschreibung jener Korrespondenz: „Wenn der plastische Künstler sich zu jedem Werk auf alle Weise vorbereitet, und durch die mannigfaltigen Modelle sich erst sicher zu stellen sucht, so hat dieß meinen vollkommensten Beifall, und es würde mir höchst angenehm seyn, auch das Technische davon kennen zu lernen.“ (S. 97)

Anmerkungen:
[1] Friedrich Eggers / Karl Eggers: Christian Daniel Rauch. Leben und Werke, 5 Bde., Berlin 1873-1891; Karl Eggers: „Briefe von Goethe an Rauch“, in: Zeitschrift für bildende Kunst 15 (1880), S. 360-364, 392-400; Karl Eggers: Rauch und Goethe. Urkundliche Mitteilungen, Berlin 1889.
[2] Zu vermerken wäre noch das etwas übervorsichtige und vorschlagslose Vorgehen mit als „ungenannt“ bezeichneten Briefempfängern: Der Adressat von Brief 25 ist zweifelsfrei Johann Heinrich Meyer; der von Rauch mit Kurierdiensten beauftragte Adressat der Briefe 20 und 21 („ungenannt in Berlin“) ist vermutlich der damals in Berlin weilende Weimarer Regierungsrat Christian Friedrich Schmidt. Hinweise dazu geben die Anredungsformen und Meyers Briefe an Goethe vom 15. und 30. August 1825, die offenbar nicht in die editorischen Überlegungen einbezogen wurden. Siehe: Goethes Briefwechsel mit Heinrich Meyer, hg. v. Max Hecker, Bd. 3, Weimar 1922 (= Schriften der Goethe-Gesellschaft 35/1), S. 90f.
[3] Vgl. Goethe: „Einleitung in die Propyläen“, in: Münchner Ausgabe, Bd. 6,2, S. 9-26, ibs. S. 10f.

Johannsen, Rolf H. (Hrsg.): »Mit vieler Kunst und Anmuth«. Goethes Briefwechsel mit Christian Daniel Rauch, Wallstein Verlag 2011
ISBN-13: 978-3-8353-0849-7, 208 p., EUR 24,90

Empfohlene Zitation:
Johannes Rößler: [Rezension zu:] Johannsen, Rolf H. (Hrsg.): »Mit vieler Kunst und Anmuth«. Goethes Briefwechsel mit Christian Daniel Rauch, 2011. In: ArtHist.net, 30.03.2012. Letzter Zugriff 14.12.2024. <https://arthist.net/reviews/2982>.

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