REV 06.03.2009

Christina Strunck: Berninis unbekanntes Meisterwerk

Rezensiert von Arne Karsten, HU Berlin
Redaktion: Philipp Zitzlsperger
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Die in den Jahren zwischen 1661 und 1700 in Rom entstandene Galleria Colonna gehört mit einer Länge von 64 Metern, ihren ausgewogenen Proportionen und der überaus prächtigen Ausstattung zu den weniger bekannten, aber nichtsdestotrotz herausragenden Sehenswürdigkeiten der Ewigen Stadt. Zwar wurden sowohl ihre Architektur wie das Dekorationsprogramm in der einschlägigen Forschungsliteratur durchgängig als qualitätsvoll anerkannt, doch bisher nicht näher untersucht oder gar als komplexes Ensemble gedeutet. Diese erstaunliche Lücke schließt nun Christina Struncks gewichtige Dissertation. Und man wird nicht zu weit gehen, wenn man behauptet, das sie es auf eine nachgerade endgültige Weise tut.

In einem knappen, aber konzisen Überblick über Quellenlage und Forschungsliteratur stellt die Autorin den Ausgangspunkt ihrer Arbeit sowie die erkenntnisleitenden Fragestellungen vor. Das Untersuchungsobjekt wird dabei von Anfang an nicht allein als künstlerisches Artefakt, sondern als das Produkt eines höchst komplexen Wechselspiels von Künstler- und Auftraggeberinteressen vor dem Hintergrund der spezifischen sozialgeschichtlichen Konstellationen im Rom des 17. Jahrhunderts in den Blick genommen. So ist es nur folgerichtig, dass auf die Einleitung ein Abriss der Familiengeschichte folgt, der die Stellung des Hauses Colonna innerhalb der päpstlichen Wahlmonarchie in dieser Zeit verständlich macht: die enge Bindung des Hauses an die Weltmacht Spanien wird ebenso geschildert wie der Kampf um die Durchsetzung quasi-souveräner Statusansprüche. Den Verlauf dieser Auseinandersetzungen, die sich in zahlreichen Zeremoniellstreitigkeiten artikulierten und mit wechselndem, jedoch tendenziell abnehmendem Erfolg geführt wurden, referiert die Autorin in ebenso aufschlussreicher Weise wie die Stellung der Colonna zu den Päpsten des 17. Jahrhunderts und die Prestigekämpfe zwischen den verschiedenen Zweigen des Hauses.

Vor dem so entwickelten soziopolitischen Hintergrund schildert das dritte Kapitel die Baugeschichte der Palastanlage an der Piazza SS. Apostoli und analysiert dabei die einzelnen Bauabschnitte im Kontext ihrer funktionalen und konzeptionellen Entstehungsbedingungen. Die in diesem Zusammenhang geleistete detaillierte Rekonstruktion von Baumaßnahmen über den Zeitraum von mehreren hundert Jahren hinweg verdient um so mehr Anerkennung, als schon die Terminologie der zeitgenössischen Quellen alles andere als eindeutig ist und z. B. nicht weniger als sechs verschiedene Palastbereiche als „Galerie“ bezeichnet werden konnten. Die umfassende Darstellung der Baugeschichte des lange Zeit sehr heterogenen Palastes lässt deutlich werden, dass erst im Laufe des 17. Jahrhunderts ein mehr und mehr vereinheitlichtes Ensemble entstand, wozu vor allem die vielfältigen Bauaktivitäten des Kardinals Girolamo Colonna zwischen 1650 und 1664 beitrugen. Die in diesem Zusammenhang konstatierte Ausdifferenzierung der Raumfunktionen ist, wie die Studien Patricia Waddys gezeigt haben, kennzeichnend für die Epoche, entwickelte aber im Falle des Palazzo Colonna nicht zuletzt durch Verweise auf die „Domus aurea“ Neros ein besonders anspruchsvolles Referenzsystem.

Die entscheidende Auftraggeberfigur für die Galleria Colonna war jedoch ein Neffe des Kardinals Girolamo, Principe Lorenzo Onfrio Colonna (1637-1689). Dieser heiratete 1661 mit Maria Mancini eine Nichte des Kardinals Jules Mazarin (geboren in Rom als Giulio Mazzarino), und damit die Enkelin eines ehemaligen Domestiken des Hauses Colonna. Die Ehe trug ihm dadurch den Spott seiner Standesgenossen, freilich auch eine gewaltige Mitgift in Höhe von 200.000 scudi ein, die zu guten Teilen in signifikanter Weise investiert wurde, nämlich in den Bau und die Ausstattung der gewaltigen Galerie. Der thematische Gegenstand der Deckenfresken, die Rolle von Lorenzo Onofrios Vorfahr Marcantonio Colonna beim Sieg der christlichen Flotte über die Türken in der Seeschlacht bei Lepanto am 7. Oktober 1571 weicht in der Darstellung vieler Details höchst aufschlussreich von den historischen Ereignissen ab, wie die Autorin akribisch nachweist. Dadurch zeigt sie einmal mehr, dass die Kunstpatronage im Rom des 17. Jahrhunderts nicht zum wenigsten dem Kampf zwischen den alten Baronal- und den neureichen Papstfamilien um kulturelles Prestige und damit soziopolitische Handlungschancen diente.

Das Herzstück der Arbeit, die Planungs-, Bau- und Ausstattungsgeschichte der Galleria Colonna wird auf der Basis wahrer Massen von bisher unbekanntem Archivmaterial entwickelt, das die Autorin im erst seit 1996 einer breiteren Öffentlichkeit zugänglichen Familienarchiv der Colonna gefunden und zu guten Teilen im Anhang des Bandes erstmals publiziert hat. Dank dieser überreichen Quellenfunde gelingt ihr nicht nur die Nachzeichnung einer in vielen Punkten neuen, präzisen Chronologie des Bauverlaufs, sondern die erstmalige Identifikation daran beteiligter Künstler bis hin zum Nachweis, dass das Konzept der Galerie in wesentlichen Punkten auf Gianlorenzo Bernini zurückgeht (S. 185-191). Die Deutung der Galerie als „Gesamtkunstwerk“ profitiert von einigen Exkursen, etwa zur Sonnensymbolik (S. 177-183), zur „Säulen-Exegese“ im Hause Colonna (S. 207-218), zur „Epischen“ Malerei im 17. Jahrhundert (S. 261-277) oder zu Lorenzo Onofrio Colonnas kulturellem Umfeld (S. 278-291). Auch bautechnische Fragen werden, wo nötig, ausführlich behandelt. Schließlich sagt es einiges über die Begeisterung der Autorin für ihr Thema aus, dass die Arbeit zeitlich weit über die Entstehungsgeschichte der Galerie hinausgreift und die weitere Geschichte des Palazzo Colonna bis ins 20. Jahrhundert behandelt; so verweist Strunck unter anderem darauf, dass die Galerie „ihren hollywoodreifen Glanz (...) 1953 in William Wylers Film 'Roman Holiday' unter Beweis gestellt (hat), als Audrey Hepburn, die von Gregory Peck verzauberte Prinzessin auf Romurlaub, auf dem ehemaligen Thronpodium eine Pressekonferenz gab“ (S. 137). Betrachtungen über die Rezeption, die Berninis meisterliches Konzept in späterer Zeit erfuhr, etwa im Spiegelsaal von Versailles, aber auch im Berliner Stadtschloss, dessen Bildergalerie Formmotive des römischen Vorbilds zitiert, bis hin zum Ballsaal des Luxuskreuzfahrtschiffs „Conte di Savoia“ in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts, schließen die mit einem glänzenden Abbildungsteil, Stammbaum, Chronologie, Glossar, Bibliographie und Personen- sowie Sachregister opulent ausgestattete Untersuchung ab.

Es sind lediglich Kleinigkeiten, die gelegentlich kritisch zu vermerken bleiben, etwa im Abschnitt über die Verbindungen zwischen den Colonna und der Papstfamilie Barberini. Hier konstatiert die Autorin: „Anfang der dreißiger Jahre des 17. Jahrhunderts wurde auf einmal wieder massiv an die nun sechzig Jahre zurückliegende Seeschlacht von Lepanto erinnert“ (S. 35). Zwar erwähnt sie auch die in diesem Zusammenhang ergriffenen militärischen Maßnahmen, enthält dem Leser jedoch die politischen Hintergründe dieser Ereignisse vor, indem sie in einer kryptisch wirkenden Fußnote lediglich einen nicht näher erläuterten Hinweis auf die „Borgia-Affäre“ gibt. Dass Urban VIII. aufgrund seiner frankophilen politischen Haltung seit dem Frühjahr 1632 von habsburgischer Seite der indirekten Unterstützung der Protestanten im Reich geziehen wurde und damit unter schwerem Druck stand, durch den er sich mit Hilfe einer Reihe von demonstrativen Aktivitäten im Dienste des Kampfes gegen Glaubensfeinde zu befreien suchte: diese Information wäre für das Verständnis der Instrumentalisierung der Seeschlacht von Lepanto und die Rolle der Colonna essentiell. Gelegentlich kommen kleinere Ungenauigkeiten und Fehler vor, wie sie bei einem Werk dieses Umfangs kaum vermeidbar sind: so konnte das Haus Barberini zwar während der langen Herrschaft Urbans VIII. eine Vielzahl von Würden und Titeln anhäufen, doch das spanische Grandat gehörte für die frankophile Familie gerade nicht dazu (S. 28). Die Türken beanspruchten 1570 die zu Venedig gehörende Insel Zypern keineswegs lediglich (S. 242), sondern standen im Begriffe, sie mit beträchtlichem militärischem Aufwand zu erobern. Und Hinweise auf die „siegbringende Treue Venedigs in der Liga (von 1571)“ (S. 244) erscheinen einigermaßen unwahrscheinlich, wenn man bedenkt, dass die Venezianer schon bald nach Lepanto einen Separatfrieden mit der Hohen Pforte schlossen, der den militärischen Triumph zu einer politisch folgenlosen Episode werden ließ und der gerade im päpstlichen Rom als schlicht skandalös empfunden wurde.

Doch sollen derlei marginalen Einwände nicht darüber hinwegtäuschen, dass in dieser magistralen Arbeit profunde Kenntnisse nicht nur im Bereich der römischen Kunstgeschichte, sondern ebenso in der Sozial-, Kultur-, Mentalitätsgeschichte sowie der Familiengeschichte des Hauses Colonna zu einer im besten Sinne interdisziplinären Darstellung und Deutung verknüpft werden. Die sichere Beherrschung und Disposition des Materials gestatten es der Autorin zudem, auf sprachliche Drohgebärden und selbstverliebte Theoriediskurse um ihrer selbst Willen zu verzichten. Stattdessen soll die höchst einfach klingende, aber komplexe Frage beantwortet werden, „(...) die all meine Forschungen zu Bau- und Typengeschichte, Freskenprogramm, Familien- und Sozialgeschichte geleitet hat: 'Warum sieht die Galleria Colonna so aus, wie sie aussieht'“ (S. 376). Die Antwort auf diese Frage fällt ebenso gründlich wie überzeugend aus; und sie veranschaulicht nicht zuletzt anhand der Beschäftigung mit einem konkreten Untersuchungsobjekt, warum das Forschungsparadigma der „Neuen Kulturgeschichte“ in den vergangenen Jahren im päpstlich-römischen Ambiente eindrucksvolle Ergebnisse hervorgebracht hat.

Strunck, Christina: Berninis unbekanntes Meisterwerk. die Galleria Colonna in Rom und die Kunstpatronage des römischen Uradels (= Römische Studien der Bibliotheca Hertziana,Veröffentlichungen der Bibliotheca Hertziana, Max-Planck-Institut für Kunstgeschicht), München: Hirmer Verlag 2007
ISBN-13: 978-3-7774-3305-9, 622 S.

Empfohlene Zitation:
Arne Karsten: [Rezension zu:] Strunck, Christina: Berninis unbekanntes Meisterwerk. die Galleria Colonna in Rom und die Kunstpatronage des römischen Uradels (= Römische Studien der Bibliotheca Hertziana,Veröffentlichungen der Bibliotheca Hertziana, Max-Planck-Institut für Kunstgeschicht), München 2007. In: ArtHist.net, 06.03.2009. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/reviews/250>.

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