REV-CONF 09.03.2011

Interpositions. Bildgrenzen

Paris, Institut National d’Histoire de l’Art (INHA), 01.–03.02.2011

Bericht von Katharina Bahlmann, Johannes-Gutenberg Universität Mainz
Redaktion: Caroline Philipp

Interpositions. Bildgrenzen – Montage des images et production du sens. Montage und visuelle Sinnproduktion

Die künstlerischen Verfahren der Collage und Montage werden gemeinhin mit avantgardistischen Bewegungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wie Kubismus, Dada oder Surrealismus in Zusammenhang gebracht. Ausgehend von der Montage bzw. der Collage, die aus der Verbindung von heterogenen Elementen und der Konfrontation von räumlich und zeitlich Getrenntem bestehen, liegt es nahe, die gesamte Kunst- und Bildwelt hinsichtlich der Montage in den Blick zu nehmen und nach der Bedeutung der Montage für ein Verstehen von Bildern zu fragen.
Viele solcher Blicke wurden im Rahmen der Tagung „Interpositions. Bildgrenzen“ gewagt, die vom 1.–3. Februar 2011 im Institut National d’Histoire de l’Art in Paris stattfand und sich der gemeinsamen Organisation des NFS Bildkritik eikones (Basel) und des Deutschen Forums für Kunstgeschichte (Paris) verdankte. Ausgangspunkt der Konferenz bildete das zu eikones gehörende Modul „Bildgrenzen und Bildfolgen“, das seine Arbeit im Oktober 2009 unter der Leitung von Andreas Beyer aufnahm.
Mögen die Themen der gehaltenen Vorträge beim ersten Blick auf das Programm disparat erscheinen – neben der ästhetischen findet sich die enzyklopädische Montage, neben der Montage als technisches Verfahren im Film ebenso die kuratorische Montage im musealen Kontext –, so kann diese thematische Breite rückblickend als ein Gewinn für das Begreifen der Montage in Bildern und von Bildern gelten.

Bereits der Eröffnungsvortrag von Werner Spies zeigte, dass das Zusammenfügen verschiedener Bildelemente nicht nur die Collagen von Max Ernst bestimmte, sondern auch in den Gemälden des Künstlers seinen Widerhall fand. Damit rückte er Collage und Montage als Grundmomente bildnerischen Verfahrens in den Blick. Im Fokus stand weniger das künstlerische Produkt als vielmehr die gestalterische und kompositorische Praxis: Wie werden mittels der Montage – d.h. über das Aufeinandertreffen verschiedener bildnerischer Elemente, über ihr Zusammenfügen, ihr Neben- oder Gegeneinander, ihre Ähnlichkeit und Unähnlichkeit – Sinn und Bedeutung erzeugt?

Nachdem Andreas Beyer und Werner Spies den Raum für diese Frage geöffnet hatten, wurde in der ersten Sektion zur ‚Genealogie der Montage‘ (Généalogies du montage, montage des connaissances) die Erkenntnis stiftende Funktion der Montage in den Blick genommen. Martin Müller erläuterte, wie im (Nach-)Vollzug der unzähligen Verweise in der Encyclopédie von Diderot und d’Alembert, neue Sinn- und Bedeutungszusammenhänge entstünden und sich das enzyklopädische Wissen, sowohl in den Text- als auch in den Bildbänden, einer Montage durch den jeweiligen Leser verdanke. Antonia von Schöning zeigte an Johann Jakob Scheuchzers Bildatlanten zur Naturgeschichte und besonders am Beispiel seiner ‚Klebebände‘, wie Scheuchzer über die Komposition von Abbildungen von Fossilien mit architektonischen Elementen oder Allegorien einen historischen Raum konstruiere, welcher die Natur mit Hilfe des Artefakts und die Naturgeschichte über die Analogie zur Menschheitsgeschichte fasse. Beide Vorträge verdeutlichten an Beispielen des 18. Jahrhunderts, dass die Inblicknahme der Montage nicht nur zu einem neuen ‚Denken über Bilder’, sondern auch zu einem neuen ‚Bild vom Denken’ führe.

In vielen der gehaltenen Vorträge wurde sichtbar, wie sich über die Montage die ästhetische und die epistemologische Dimension der Bilder miteinander verschränken und die Grenze zwischen Imagination und Wissen brüchig wird. So legten die Untersuchungen zur Montage beispielsweise den fragmentarischen Charakter sowie das Konstruiert-Sein des enzyklopädischen Wissens frei, während selbst die phantastischsten Bildkompositionen von Max Ernst, im Betrachter die Frage nach ihrer Sinnhaftigkeit und tieferen Bedeutung wecken.

Eine vertiefende Untersuchung der Sinnproduktion über die Montage von Bildern wurde vor allem in den Vorträgen zur filmischen Montage geleistet (Sektion 3: Cinema et au-delà: montage et intermédialité), welche sich mit dem Film als einem ‚Denken in Bildern‘ befassten. Während Ute Holl am Beispiel von Friedrich Wilhelm Murnaus „Faust – eine deutsche Volkssage“ (1926) zeigte, welche Bedeutung dem reinen Licht in der Montage der filmischen Bilder zukomme und wie der Film davon ausgehend zu neuen Formen der Evidenz finde, setzte sich Luc Vancheri mit der Rhetorik des filmischen Bildes auseinander und erläuterte am Beispiel von Pier Paolo Pasolinis „Il Vangelo secondo Matteo“ (1964), wie die Montage und die Wahl des Bildausschnittes die Interpretation des Filmes lenkten.

Geradezu als künstlerisches Experiment zum Zusammenhang von Montage und Sinnproduktion mutete der von Christa Blümlinger vorgestellte Film „Coming Attractions“ (2010) von Peter Tscherkassky an. Darin hat Tscherkassky die Abfälle von Werbefilmen der 60er und 70er Jahre zu elf Kapiteln zusammengefügt, welche die Nähe zwischen Reklame und den Anfängen des Kinos, dem „Kino der Attraktionen“, herausstellen. Ausgehend von „Coming Attractions“ rückte Blümlinger zwei zentrale Aspekte der Montage in den Vordergrund, welche auch in den übrigen Tagungsbeiträgen eine Rolle spielten: die wirkungsästhetische Dimension der Montage auf der einen sowie der Zusammenhang von Montage und Historie auf der anderen Seite.

Die Wirkungsfrage kann als Ergänzung zur epistemologischen Dimension der Montage verstanden werden. So wird mit Hilfe der Montage nicht nur Wissen vermittelt und Erkenntnis gestiftet. Wie Antonio Somaini am Beispiel von Sergej M. Eisenstein ausführte, ziele die Montage ebenso auf die intellektuelle sowie körperliche Dynamisierung des Betrachters. Mit der Wirkung der Montage im Sinne von „monter le spectateur même“ habe sich Eisenstein nicht nur in seinen Filmen, sondern auch in seinen theoretischen Schriften und schließlich in seinen Zeichnungen wiederholt auseinandergesetzt.
Eine Vorform der ‚Mobilisierung der Massen‘ stellte zudem Godehard Janzing mit den „Quarante Tableaux“ (1569/70) von Jacques Tortorel und Jean Perrissin vor. So hätten Tortorel und Perrisin die Zeugenbekundungen zu Massakern und weiteren Ereignissen der französischen Glaubenskriege in Druckgrafiken übersetzt und mit ihrem ‚Bilderbuch‘ eine „Internationalisierung des Konfliktes“ angestoßen.

Auch die Montage der historischen Zeit läßt sich mit Eisenstein diskutieren. In seinem unvollendeten Filmprojekt „Que viva México!“ (1930/31) habe sich Eisenstein, so Somaini, mit verschiedenen Stationen der Geschichte Mexikos beschäftigt, sie de- und remontiert, um schließlich zu einer Komposition verschiedener Zeiten zu gelangen. Laut Christa Blümlinger richte sich das ‚Spiel mit der Geschichte‘ bei Tscherkassky hingegen auf die Historie des filmischen Mediums selbst. „Coming Attractions“ suche die Anbindung an die Anfänge des Kinos ebenso wie an den Avantgardefilm. Auf diese Weise stelle Tscherkassky einem teleologischen Verständnis der Filmgeschichte eine anachronistische Perspektive entgegen. Unter dem Blickwinkel der Montage, welche Ordnungen gleichermaßen aufstellt wie verwirft, wird auch die historische Ordnung somit zu einer Ordnung unter vielen. Weitere Denkanstöße hierzu gab Angela Mengoni mit ihrem Vortrag zu Gerhard Richters Bilderatlas, der Zeitungs-, Familien- und Werbebilder nebeneinander versammelt. Richters Bilderatlas frage damit nach dem Zusammenhang von Fotografie und historischer Erinnerung und zeige zugleich die Unmöglichkeit auf, die Bilder zu einem historischen Ganzen zusammenzufügen.

Über die intermediale Ebene hinaus geriet auch der Umgang mit den Bildern in den Blick. Einen äußerst anschaulichen Übergang leistete diesbezüglich Philippe-Alain Michaud, welcher in seinem Vortrag zu El Lissitzky, Friedrich Kiesler und Edward Steichen die ‚Logik der Ausstellung‘ auf die ‚Logik des Kinos‘ bezog. Beispielsweise habe Edward Steichen in der 1942 im MoMA stattgefundenen Ausstellung „Road to victory“ die Bewegung des Films externalisiert und sich in der Anordnung der Fotografien an der filmischen Montage orientiert.

Die Montage als kuratorisches Unterfangen war auch Thema der Vorträge von David Ganz und Luis Pérez-Oramas. Ganz widmete sich der 1778 von Nicolas de Pigage veröffentlichten „Galerie Électorale de Dusseldorff“, deren Kupferstiche die Bildanordnung der Düsseldorfer Gemäldegalerie zeigen. Im Mittelpunkt seines Vortrags stand die Frage, inwiefern dieses ‚Papiermuseum‘ eine neue Reflexionsebene eröffne und sich mit den Grundprinzipien der Hängung auseinandersetze.
Pérez-Oramas überführte diese Frage in die zeitgenössische Ausstellungspraxis. Bereits in der von ihm Anfang 2006 organisierten Ausstellung „Transforming Chronologies – an Atlas of Drawings“ im MoMA hat sich Pérez-Oramas mit den Möglichkeiten der Montage auseinandergesetzt. Und wie diese Ausstellung stellte auch sein Vortrag das Montage-Prinzip über das ‚Diktat historischer Korrektheit‘, Fotografien der parangolés des brasilianischen Künstlers Hélio Oiticica neben Gemälde Botticellis, um den Fokus von der Chronologie auf das bildnerische Motiv zu lenken. Pérez-Oramas sprach damit die Montage als „praktische Vernunft der Kunstgeschichte“ an. In allen Vorträgen der zweiten Sektion (Faire voir: Montage et Display) wurde deutlich, wie die Montage von Bildern die Frage der Sinnproduktion vom einzelnen Werk hin zu einem Verstehen von bildnerischem Sinn führt, der sich erst dem Zusammenspiel der Bilder verdankt und von Grund auf ephemeren Charakter besitzt.

Diese Überlegungen boten einen direkten Anknüpfungspunkt für Georges Didi-Hubermans Abschlussvortrag zum Musée imaginaire von André Malraux. Mit Bezug auf Malraux stellte Didi-Huberman die Arbeit des Kunsthistorikers als Montage vor: Jeder Kunsthistoriker montiere und remontiere die Kunstgeschichte, wähle aus und entdecke Ordnungen, auf deren Grundlage er eine Geschichte der Kunst erzähle oder zu einer Interpretation gelange. Mit seinem „Musée imaginaire de la sculpture mondiale“ habe Malraux neue Räume für die Kunstwissenschaft erschlossen und den Blick geöffnet für das, was in einer kanonischen Kunstgeschichte übersehen oder vergessen werde. Mit diesen Äußerungen nahm Didi-Huberman nicht nur zahlreiche Aspekte der Tagung wieder auf; sein Vortrag gab auch Anstoß zu der Frage, inwiefern die gehörten Überlegungen zur Montage das kunsthistorische Arbeiten im Grundsatz betreffen und eine Reflexion über die Grenzen unseres Verstehens von Kunstgeschichte, im Besonderen von kunsthistorischen Zusammenhängen, erforderlich machen. Schließlich lasse sich, so Didi-Huberman, über die Kunst nicht ohne eine getroffene Auswahl von Bildern schreiben. Dabei nähere sich nicht nur das Wort dem Objekt, auch das Objekt nähere sich stets dem Wort.

Rückblickend lässt sich festhalten, dass die Tagung vor allem die Aufmerksamkeit auf die mittels der Montage evozierten Ähnlichkeiten lenkte: Ebenso wie die verschiedenen bildnerischen Medien offenbarten auch die künstlerische und kunsthistorische Praxis ihre Nähe zueinander, insofern sie sich als ‚Umgang mit und Montage von Bildern‘ begreifen lassen. Somit rüttelte die Untersuchung der Montage nicht nur an den Bildgrenzen; sie ließ auch die Grenzen zwischen den einzelnen Medien, zwischen künstlerischer, kuratorischer und kunsthistorischer Praxis, zwischen Imagination und Wissen fraglich werden und legte insofern nahe, die von diesen Grenzen abhängigen Zwischenräume neu zu vermessen und zu überdenken.

Empfohlene Zitation:
Katharina Bahlmann: [Tagungsbericht zu:] Interpositions. Bildgrenzen (Paris, Institut National d’Histoire de l’Art (INHA), 01.–03.02.2011). In: ArtHist.net, 09.03.2011. Letzter Zugriff 18.04.2024. <https://arthist.net/reviews/1039>.

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