CONF 18.01.2012

Peripatetisches Sehen in den Bildkulturen der Vormoderne (Basel, 23-24 Feb 12)

eikones NFS Bildkritik, Rheinsprung 11, 4051 Basel, 23.–24.02.2012

Heike Freiberger, eikones - NFS Bildkritik

Seit der Renaissance dominiert in der westlichen Kunsttradition eine Auffassung, der zufolge ein Bild als gerahmte, kontextunabhängige und kompositionell geordnete Ganzheit aufzufassen ist. Die zentralperspektivische Konstruktion, die das theoretische Fundament dieses Bildverständnisses bildet, weist dem Betrachter einen fixierten Standpunkt zu und ermöglicht ihm, in dem Masse in eine Illusionserfahrung einzutauchen, wie er sich einer passiven und rein visuellen Rezeptionsweise überlässt. Die Konstitution einer virtuellen Räumlichkeit basiert auf der Abgrenzung des Bildes vom realen Erfahrungsraum und einer Unterdrückung der körperlichen und kinästhetischen Dimension der Wahrnehmung. Die Kunstproduktion des Westens ist indessen mit diesem Bildbegriff keineswegs umstandslos identifizierbar. Vor dem «Zeitalter der Kunst», in der Moderne und Gegenwart, aber ebensosehr in der frühen Neuzeit stossen wir auf Bildformen, die wesentlich auf das bezogen sind, was man die man die peripatetische Dimension des Sehens nennen könnte. Das – wenn auch im normästhetischen Sinne massgebliche – transportable Staffeleibild bildet im Spektrum westlicher Bildproduktion im Grunde genommen eine Ausnahme. In der Regel sind Bilder für spezifische räumliche Kontexte geschaffen, auf die sie nicht nur ikonographisch, sondern auch rezeptionsästhetisch reagieren.

Bilder beziehen sich an ihren Aufstellungsorten auf Bewegungen im Raum. An Schwellenorten (wie Portalen, Lettnern, Ikonostasen oder Triumphbögen) angebracht, laden sie die Bewegung zwischen zwei Raumzonen mit semantischen Differenzen auf und koppeln die kinetische Erfahrung des Gehens an eine visuelle Markierung. Auch Orte des Übergangs oder Umherwandelns (wie Treppenanlagen, Gänge, Hallen und Galerien) waren von je her bevorzugte Formgelegenheiten für Bilderschmuck. Nicht selten besitzt dieser eine mehrteilige Struktur, welche die Bewegung des Betrachters zusätzlich motiviert als Entdeckungsreise von Bild zu Bild. Das Hin- und Herwandern im Raum wird dann beispielsweise zum Nachvollzug einer in den Bildern erzählten Geschichte. Zum anderen können die Veränderungen ihrer Sichtbarkeit für einen Beschauer, der sich zu ihnen hin- oder von ihnen wegbewegt – sei es ihr plötzliches Auftauchen, sei es, dass sie sich erst nach und nach, Stück für Stück oder von verschiedenen Seiten her sukzessive oder auf andere Weise zu sehen geben –, ins ästhetische Kalkül gezogen oder mit liturgischen oder rituellen Handlungsabläufen korreliert sein.

Ziel der Veranstaltung ist es, theoretische Zugänge zum Phänomen des peripatetischen Sehens zu erkunden und Perspektiven für seine weitere Erforschung zu entwickeln. Die Auswahl der behandelten Fallbeispiele soll eine Konfrontation zwischen verschiedenen Gattungen und Epochen ermöglichen. Speziell für die Kunst der Renaissance und des Barocks wird es darum gehen, die Normativität des perspektivischen Einzelbildes einer kritischen Revision zu unterziehen. In der Zusammenschau frühneuzeitlicher mit mittelalterlichen Konfigurationen östlicher wie westlicher Provenienz soll die transhistorische ebenso wie die transkulturelle Universalität des peripatetischen Sehens deutlich werden. Auf diese Weise sollen sich Ansatzpunkte ergeben, um nach epochen-, kultur- oder gattungsspezifischen Ausformungen «wandernder Augen» in den Bildkulturen der Vormoderne zu fragen.

Programm

Donnerstag 23. Februar 2012

Moderation: David Ganz (Heidelberg)
14.00 Begrüssung/Einleitung
14.30 Wolf-Dietrich Löhr (Berlin): «Orgia». Gefesselte, gerahmte und bewegliche Bilder bei Filipino Lippi
15.30 Stefan Neuner (Basel): Malerei und Navigation. Vittore Carpaccio in der Scuola Sant'Orsola
16.30 Pause
17.00 Jörg Dünne (Erfurt): Luís de Cámões und der «globale Blick». Die bewegte Welt der Lusiaden
18.00 Jasmin Mersmann (Berlin): Blicklinienförmig: Juan Caramuel y Lobkowitz' Architectura obliqua

Freitag 24. Februar 2012

Moderation: Stefan Neuner (Basel)

09.00 Steffen Bogen (Konstanz): Imaginäres Eindringen. Praxis und Reflexion sakraler Schwellen in
Bildern (ca. 1100 – 1400)
10.00 David Ganz (Heidelberg): Seitenwechsel. Buchhüllen, Bilderräume und die Kardinalität des Betrachters
11.00 Pause
11.30 Roland Krischel (Köln): Handelnde Bilder – Zur Kinetik
des Klappbildes in Spätmittelalter und früher Neuzeit
12.30 Pause

Moderation: Barbara Schellewald (Basel) und David Ganz (Heidelberg)

14.00 Michele Bacci (Fribourg): Remarks on the Visual Experience
of the Holy Sites in the Middle Ages
15.00 Sophie Schweinfurth (Basel): Creating sacred space as cosmic liturgy in Byzantium
16.00 Pause
16.30 Jacqueline Jung (Yale): the Kinetics of Gothic Sculpture (or: What Photography Has Taught Us Not to See)
17.30 Iris Laner (Basel): Embodied Vision: On the Phenomenological
Intertwining of Movement and Seeing
18.30 Pause

Moderation: Matteo Nanni (Basel)

19.30 Iain Fenlon (Cambridge): Space, Motion, Music, and Image: Ritual Acts in Early Modern Venice

Quellennachweis:
CONF: Peripatetisches Sehen in den Bildkulturen der Vormoderne (Basel, 23-24 Feb 12). In: ArtHist.net, 18.01.2012. Letzter Zugriff 25.04.2024. <https://arthist.net/archive/2571>.

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