ANN 25.10.2016

Rundgespräche: Autoritäten der Kunstgeschichte, Teil 1 (Paris, Oct - Dec 16)

Deutsches Forum für Kunstgeschichte, Paris, 04.11.2016–14.12.2017

Lena Bader

ART HISTORY AUTHORITIES
Cycle of symposia organized in Paris in 2016-2017 by the German Center for Art History Paris and the Polish Institute in Paris

[Deutsche Fassung unten]

Contemporary methodological and interpretative approaches to art history have, for the most part, been based on a critique of the discourses inherited from the scientific culture of the 19th century: since the 1960s, they have questioned classifications based on national school and style, challenged the dichotomy between high art and popular expression, identified and analyzed colonialist hegemonies, studied phenomena of métissage brought about by the circulation of artworks. They thus called into question long-entrenched norms, orders and hierarchies that had characterized art history. However, they in turn instituted new hierarchies, new relegations, often based on binary oppositions (such as reactionary/progressive, commitment/autonomy, universal/international, local/global) and on other, largely unquestioned, ideological considerations.
Some decades later, we can now take a critical look at these approaches, contextualizing them in the Cold War in which they arose, and which left a lasting mark on them. The allegiance of artists, critics and historians to the Eastern or Western blocs, to the non-aligned or so-called third-world countries, determined the use and meaning of their concepts. The fall of the Berlin Wall established the authority of certain discourses over others, bringing about a leveling. The rise of global perspectives, implying a commonality of interests and shared references, reinforced this trend toward uniformization, objectively belied, however, by the growth in inequalities and resurgent nationalisms.
We would like to assess these heritages and question the orders they helped to establish, in order to open up new perspectives. A critical examination of the political and historical underpinnings of our current categories requires, however, cooperation between researchers from different academic horizons, and an awareness of the singular trajectory from which each point of view has been formed. Only by sharing the various historiographical approaches can we apprehend the overlapping and divergent use of concepts, the ideological biases, the formation of institutions, the interpretation and presentation of art during the Cold War and after 1989.
In this perspective, we have decided to invite several personalities renowned for their importance in art history and in museums, from different areas and traditions, to contextualize as precisely as possible the significations, formations and institutional categorizations they esteem most characteristic of their field of activity. Following on the "À chacun son réel" research project, which studied the "notion of the real in the visual arts in France, the FRG, the DDR and Poland from 1960 to 1989", the cycle of symposia that we are organizing will focus on the French, German and Polish contexts. The intention is also to enrich the line of research currently developed by the German Center for Art History, to go beyond the framework of national and comparative studies and to tackle methodological problems from the perspective of a critical historiography. Our main intention is to listen to people relate their own itinerary, to elicit unprecedented debates, to create a space for transregional reflection where several art histories may co-exist.

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AUTORITÄTEN DER KUNSGESCHICHTE

Die meisten Methoden und Interpretationen, die heute in der Kunstgeschichte Anwendung finden, wurden im Zuge einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Erbe der Wissenschaftskultur des 19. Jahrhunderts begründet. Verschiedene Aspekte wurden infolgedessen seit den 1960er Jahren befragt, namentlich die Einordnung nach nationalen Schulen und Stilen sowie die Unterscheidung in High und Low. Auch die Feststellung kolonialistischer Hegemonien gehört in diesen Zusammenhang. Des Weiteren wurden Phänomene der Hybridisierung, die sich aus der Zirkulation der Werke ergeben, in den Fokus gerückt. Auf diesem Wege konnten bis dato geltende Normen, Ordnungen und Wertungen der Kunstgeschichte in Frage gestellt werden. Doch wurden infolgedessen wiederum neue Hierarchien und Abstufungen geschaffen, sei es auf Grundlage binärer Kategorien (wie reaktionär und progressiv, Engagement und Autonomie, universell und international, lokal und global) oder anderen nicht mitbedachten ideologischen Bestimmungen.
Der Abstand erlaubt, diese Methoden ihrerseits einer kritischen Betrachtung zu unterziehen und sie mit Blick auf ihren Entstehungskontext zu befragen: der Zeit des Kalten Krieges, aus der sie hervorgegangen sind und die sie nachhaltig geprägt hat. Die Zugehörigkeit der KünstlerInnen, KritikerInnen und KunsthistorikerInnen zum Ost- oder Westblock, zu bündnisfreien Ländern oder den sogenannten Drittweltländern bestimmte die Verwendung und Bedeutung ihrer Konzepte. Mit dem Fall der Berliner Mauer erlangten einige der geltenden Ansätze den Vorrang über andere, was eine Vereinheitlichung mit sich brachte. Vor dem Hintergrund einer vermeintlichen Interessens- und Bezugsgemeinschaft konnte das Aufkommen globaler Perspektiven die Tendenz zur Angleichung verstärken, obwohl wachsende Ungleichheiten und das Wiedererstarken nationalistischer Tendenzen ihr de facto widersprechen.
Wir möchten das Ausmaß dieser Überlieferungen in den Blick nehmen und die Ordnungen, die sie mitbegründet haben, befragen, um neue Perspektiven aufzuzeigen. Es gilt, die politischen und historischen Aspekte, die unseren Denkbildern zugrunde liegen, kritisch zu prüfen. Dazu bedarf es allerdings des Austauschs von ForscherInnen aus unterschiedlichen akademischen Kontexten und einer Bewusstwerdung über die jeweils spezifische Laufbahn, aus denen die einzelnen Positionen hervorgehen. Erst in der Zusammenführung historiografischer Fragestellungen werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit Blick auf die Verwendung der Konzepte, die ideologischen Implikationen, die Begründung der Institutionen sowie die Interpretation und Präsentation von Kunst während des Kalten Krieges und nach 1989 begreifbar.
Vor diesem Hintergrund möchten wir renommierte Persönlichkeiten, die für ihren Beitrag innerhalb der Kunstgeschichte und im musealen Kontext anerkannt sind, zusammenbringen und sie einladen, die Bedeutungen, Verankerungen und Institutionalisierungsformen, die ihren Tätigkeitsbereich am entschiedensten geprägt haben, aus ihrem jeweiligen Kontext heraus zu erörtern. Die Veranstaltungsreihe geht zurück auf das Forschungsprojekt „OwnReality. Jedem seine Wirklichkeit. Der Begriff der Wirklichkeit in der bildenden Kunst in Frankreich, BRD, DDR und Polen der 1960er bis Ende der 1980er Jahre“ und legt ihren Fokus auf den deutsch-französisch-polnischen Kontext. Sie schreibt sich zugleich in einen aktuellen Forschungsschwerpunkt des Deutschen Forums für Kunstgeschichte ein, der – in kritischer Abgrenzung zu streng komparatistischen, nationalstaatlich orientierten Studien – grundlegende methodologische Probleme im Rahmen einer kritischen Historiografie zu verhandeln sucht. Unser zentrales Anliegen ist es, die verschiedenen Akteure dazu einzuladen, ihren jeweiligen Werdegang nachzuzeichnen, in dieser Form bislang nicht geführte Diskussionen anzustoßen und ein Forum transregionaler Reflexion zu schaffen, in dem verschiedene Kunstgeschichten nebeneinander bestehen können.

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PROGRAMM
(Part I: October – December 2016)

Introduction
21.10.2016 | 16h-18h

I. REPRESENTATIONS (Nov – Dec)

1. Formation of the Categories East/West
4.11.2016 | 15h45-19h45

Participants:
- Jérôme Bazin (Paris Est Créteil University)
- Pascal Dubourg-Glatigny (CNRS, Paris)
- Agata Jakubowska (University Adam Mickiewicz of Pozna?)
- Cécile Pichon-Bonin (CNRS, Paris)
- Gregor Wedekind (Johannes Gutenberg University of Mainz)

2. Repositioning the Categories
18.11.2016 | 14h-18h

Participants:
- Maria Hlavajova (Bridging Art and Knowledge, Utrecht)
- Monica Juneja (Ruprecht-Karl‘s University of Heidelberg)

3. From 1968 to 1989
14.12.2016 | 14h-18h

Participants:
- Jean-Louis Cohen (New York University)
- Gabi Dolff-Bonekämper (Technical University of Berlin)
- Jacques Leenhardt (EHESS, Paris)
- Maria Poprzcka (University of Warsaw)

All sessions will take place at the German Center for Art History Paris, 45 rue des Petits-Champs, 75001 Paris.

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Konzeption und Organisation: Mathilde Arnoux, Lena Bader, Clément Layet und Matylda Taszycka, in Kooperation mit dem Seminar von Frau Prof. Ségolène Le Men (Institut für Kunstgeschichte der Université Nanterre).

Auf Anfrage geben wir Ihnen gerne Zugang zum Reader: marnouxdfk-paris.org; lbaderdfk-paris.org; clayetdfk-paris.org

Für weitere Informationen, Lektürematerial und Angaben zu den kommenden Veranstaltungen: https://dfk-paris.org/

Quellennachweis:
ANN: Rundgespräche: Autoritäten der Kunstgeschichte, Teil 1 (Paris, Oct - Dec 16). In: ArtHist.net, 25.10.2016. Letzter Zugriff 26.04.2024. <https://arthist.net/archive/14043>.

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