Non Standard Cities: Städte ohne Plan und Planer aus künstlerischer Sicht 19.09. bis 17.10.2004
Ehemalige Rinderauktionshalle, Alter Schlachthof, direkt am S-Bahn Storkower Straße, August-Lindemann-Straße, Berlin-Friedrichshain.
Öffnungszeiten: Do-Fr 14-18 Uhr, Sa-So 12-18 Uhr.

Date: 29 Sept 2004


Tina Zürn


Die Stadt hat Konjunktur. Während in der Berliner Debatte allerdings der Glaube an deren Planbarkeit vorherrscht, treten nun verstärkt Projekte in den Vordergrund, die von einem sich selbst generierenden Urbanismus ausgehen. Josef Paul Kleihues' Paradigma von der steinernen europäischen Stadt, das jahrzehntelang seinen Einfluß in der Berliner Baupolitik geltend machte, wird nun konfrontiert mit einer anderen Generation, die ganz ohne Reißbrett auszukommen scheint.

Gleich mehrere Ausstellungen in Berlin widmen sich städtebaulichen Prozessen jenseits von Masterplan und Baupolitik. Nach den Anfang September eröffneten "Schrumpfenden Städten" von Philipp Oswalt in den Berliner Kunst Werken leistet nun eine vergleichsweise kleine, aber nicht weniger ambitionierte Ausstellung einen Beitrag zum Verständnis von Stadt als einem schwer kalkulierbaren Wandlungsprozeß, der seinen eigenen Gesetzen gehorcht. In "Non Standard Cities", initiiert vom Stadtkunstprojekt urban dialogues, bündelt der dänische Kurator Johan Holten dreizehn künstlerische Sichtweisen auf die Stadt.

Auf dem alten Berliner Schlachthofgelände an der Eldenaer Straße bespielt Holten für vier Wochen die ehemalige Rinderauktionshalle. Der Ort erhält dabei eine programmatische Funktion. Anfang der 1990er Jahre noch optimistisch zum Entwicklungsgebiet erklärt, sollten städtische Infrastrukturmaßnahmen der Industriebrache neues Leben einhauchen. Statt dessen stehen die Parkplätze leer, die neu angelegten Wege führen ins Nirgendwo und auch die jungen Bäume müssen noch wachsen. Die ersehnten Investitionen beschränken sich auf einen Baumarkt, einen Discounter und ein Möbelhaus. Statt die historischen Gebäude vor dem Verfall zu retten, errichten sich die großen Ketten ihre standardisierten Hallen selbst. Die Billigcontainerbauweise verleiht dem Ort jene Eigenschaftslosigkeit, die für Peripherien typisch ist. Nur wenige der Backsteingebäude sind von ihren neuen Betreibern restauriert worden, ein Großteil der Anlage ist weiterhin verlassen und vergessen. Für Johan Holten ist die Umgebung seiner Ausstellung nur ein Beispiel dafür, warum Stadtentwicklung nicht durch planerische Implantate begünstigt werden kann, sondern sich aus den spezifischen Besonderheiten des Ortes heraus entwickelt.

Das Scheitern von stadtplanerischen Großprojekten, die ,natürliche' Wachstumsprozesse überlagern, ist auch Thema der Ausstellung. Den Auftakt der Stadtschau bildet die dänische Künstlerin Pia Roenicke, die in ihrer Videoarbeit "A place like any other" die Verheißung des Neuen Bauens auf ein besseres Leben mit der sozialen Realität einer modernen Wohnsiedlungüberblendet. Die Kamera fährt an schier endlosen monotonen Wohnblocks des Stockholmer Vororts Bredäng vorbei, die Bewohner wirken wie gelangweilte Staffagefiguren in ihrer eigenen Welt. Aus dem Off kommen sie zu Wort und klagen über die sozialen Verhältnisse des einst so viel versprechenden Stadtteils, in dem heute niemand mehr leben möchte.

Auch Brasilia scheint in erster Linie das Scheitern einer sozialen Utopie zu verkünden, doch der Videokünstler Matthias Müller nähert sich der brasilianischen Hauptstadt nicht mit einem sozialkritischen Blick, sondern spürt in seinem Film "Vacancy" die spezifische Ästhetik der Leere in der artifiziellen baulichen Utopie aus den 1950er Jahren auf. Der Film zeigt historisches Archivmaterial aus der Bauphase, Werbefilme aus der Zeit der Fertigstellung und zeitgenössische Aufnahmen des Künstlers von den Randbereichen der Stadt. Eingesprochene Texte von Italo Calvino, Samuel Beckett und David Wojnarowicz unterstreichen die Verlassenheit des Ortes und die skulpturale Schönheit der futuristischen Bauten von Oskar Niemeyers künstlicher Stadt. Wort und Bild verdichten sich zu einer poetischen Hommage an die Leere, Einsamkeit und Anonymität des Ortes.

Ziemlich verlassen wirken auch die großformatigen Fotografien von Hans-Christian Schink, der mit Aufnahmen von verwaisten Landschaften bekannt geworden ist. In seiner Fotoreihe Verkehrsprojekt Deutsche Einheit dokumentiert er verschiedene Infrastrukturanstrengungen in Ostdeutschland, die anfangs noch euphorisch Aufschwung Ost betitelt, bald aber bescheidener in Aufbau Ost umbenannt wurden, bevor sie zu Relikten eines gescheiterten Wunschdenkens wurden.

Erfrischend heiter wirkt hingegen das bunte Häuschen im Zuckerbäckerstil, das die slowenische Künstlerin Marjetica Potrc in einen der Ausstellungsräume transferiert hat. Was aussieht wie die Villa Kunterbunt, ist die Nachbildung eines Wohnhauses in Puerto Rico, das völlig ohne Plan und ohne Planer entstanden ist. Ganz selbstverständlich umschließt es eine Straßenlaterne, um das Innere mit elektrischem Licht zu versorgen. Sein Plastik-Vordach wird getragen von Säulen aus zweckentfremdeten Fallrohren, sein Balustradenschmuck blinzelt ironisch nach Griechenland.

Wer sich hiervon räumlich und kulturell distanzieren möchte, wird in der Arbeit von Sofie Thorsen in die Realität europäischer Vororte zurückgeholt. Die dänische Künstlerin projiziert in ihrer Arbeit "Villages fig. 8" Aufnahmen von Fertighäusern und Musterhäusern an die Wand, die vermeintlich individuelle Wohnträume in hoher Auflage schlüsselfertig reproduzieren.

Alle vorgestellten Projekte verbindet ein unbestechlicher Blick auf die bauliche Wirklichkeit unserer Städte und Vororte. Die Künstler nutzen die produktive Kraft des Unvorhergesehenen, Ungeplanten und jenseits eines administrativen Ordnungswillens Entstandenen und vertrauen auf Spontaneität, Improvisation und Subjektivität. Sie alle illustrieren auf ihre Weise jene "Stadt ohne Eigenschaften", deren Schilderung Rem Koolhaas in den 1990er Jahren den Ruf eines Zynikers eingebracht hat.

Schon die ehemalige Rinderauktionshalle lohnt einen Besuch. Vielleicht vermag es die Ausstellung, dem alten Schlachthofgelände für vier Wochen etwas von jener schauderlich-schönen Anziehungskraft wieder zu geben, von der sich Alfred Döblins Romanfigur Franz Biberkopf im "Berlin Alexanderplatz" der 1920er Jahre so angezogen fühlte.


Anmerkungen/Links:

- Mit künstlerischen Beiträgen von: Stine Berger, Graf & Biscioni, Jakob Kolding, Pauline Kraneis, Kreissl & Kerber, Pia Lanzinger, Matthias Müller, Marjetica Potrc, Pia Roenicke, Hans-Christian Schink, Barbara Steppe, Sofie Thorsen und M?ns Wrange - Kontakt: urban dialogues, Email: langerjammer@urbandialogues.de, Telefon +49 (0)30 61629273 - Gefördert durch den Hauptstadtkulturfonds im Rahmen des Gesamtprojektes Am Ende vom Langen Jammer - Ausstellung Schrumpfende Städte // Shrinking Cities, KW Institute for Contemporary Art, Auguststraße 69, 10117 Berlin-Mitte,Öffnungszeiten: 4.9. - 7.11.04, Di-So 12 bis 19 Uhr, Do bis 21 Uhr


Redaktion: Livia Cárdenas
 
 

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29.09.2004