La Poetica dell'Arte Povera, Kunstmuseum Kloster Unser Lieben Frauen, Magdeburg, Regierungsstr. 4-6 Bis 7. Dezember, Eintritt 4 EUR, erm. 2 EUR Katalog zur Ausstellung: La Poetica dell' Arte Povera. Hrsg. v. Annegret Laabs. 2003. 239 S. m. 13 Duplex- u. 80 Farbabb. 27 cm. Gebunden. ISBN: 3-7757-1370-0; HATJE CANTZ VERLAG; 25.00 EUR - 43.00 sFr Bettina Klix Posted: 10 Nov 2003
Zwölf Pferde waren in einer Galerie in Rom angebunden und zu besichtigen, die Autorschaft beanspruchte der Künstler Jannis Kounellis, unter dem Titel "Ohne Titel". Die Arbeit von 1969 zeigt am besten den Bruch der Arte Povera mit dem, was vorher in der Kunst machbar war. Lebende Pferde, offenes Feuer, bedrohlich aufgehängte Steine, Lumpensammlungen, welkender Salat, arbeitendes Holz, - heute, wo Künstler sich aller Materialien bedienen können, ist die radikale Geste kaum noch nachzuempfinden, die sich von der Vergangenheit, aber auch von den Bewegungen der Gegenwart wie der Pop Art lösen wollte. Arte povera ist immer noch Kunst, aber ist sie immer noch arm? Das kann man auf ideale Weise zur Zeit in Magdeburg überprüfen, im Kunstmuseum Kloster Unser Lieben Frauen. Lässt sich eine bessere Gastgeberin als diese nicht gerade verwöhnte Stadt denken und ein geeigneterer Ort als ein romanisches Kloster für diese anti-amerikanische Aufbruchs-Kunst aus einem katholischen Land? Zwar handelt es sich um eine weitgehend historische Ausstellung, die dadurch aber paradoxerweise das Radikale der italienischen Kunstbewegung vermittelt. Und das obwohl mit dem Titel "La Poetica dell'Arte Povera" und den eher unpolitischen Katalogtexten ganz anders geartete Absichten zum Ausdruck kommen. Das Kloster, schon zu DDR-Zeiten für die Kunst leergeräumt, beherbergt ständig eine große Skulpturensammlung, mit dem Schwerpunkt auf der ostdeutschen Bildhauerei aus der 2. Hälfte des 20.Jahrhunderts. Das Gebäude ist eine sehr entsprechende architektonische Umgebung, denn schließlich war die Epoche der Romanik auch ein Neubeginn und Merkmale wie Robustheit, Klarheit oder Kargheit hat sie mit der Arte Povera gemein. Mit über 100 Werken der 14 wichtigsten Vertreter, von Giovanni Anselmo bis Gilberto Zorio, ist es eine der bisher umfangreichsten Ausstellungen dieser Kunst. Privatsammler und viele der Künstler haben Arbeiten ausgeliehen, die bisher noch nicht öffentlich zu sehen waren. Die Fotos des sehr gut gestalteten Katalogs wurden hauptsächlich von Claudio Abate vor Ort aufgenommen. Da dieser Fotograf die Arte Povera seit den Anfängen aufzeichnend begleitet hat, hat er den richtigen Blick für Form und Geist. Einer der Katalogtexte beschäftigt sich mit Abate und der Wichtigkeit der Dokumentation im Bild für die Arte Povera, denn viele Arbeiten waren nicht von Dauer. In der Ausstellung lassen sich selbst Werke derjenigen Künstler studieren, die durch ihre Allgegenwart in den Museen der Welt sonst keine große Wirkung mehr haben. Wenn einer der vielen Iglus von Mario Merz meinen Weg kreuzte, bekam er wenig Aufmerksamkeit. Ich glaubte zu wissen, dass mir nur wieder vom Nomadentum "erzählt" würde. Hier schaue ich noch einmal hin. Wie fremd wirken da erst weniger bekannte oder völlig unbekannte Exponate. Am intensivsten ist das etwas beklommene Gefühl von Nullpunkt in den Kellerräumen zu spüren. Emotional ausgeliefert inmitten der schroffen Steinwände, kann uns Jannis Kounellis "Margherita con fuoco"(1967), wenn wir gerade zur rechten Zeit da sind, mit offenem Feuer aus ihrer Eisenblüte heraus drohen. Aber auch oben in den Tageslichträumen besticht eine andere Arbeit von Kounellis "Senza Titolo - Libertà o Morte" (1977), - in der die Geister von Marat und Robespierre als Kreideschrift auf der Tafel erscheinen - , durch eine Kargheit, die Gedanken bewegt. Bis auf wenige Ausnahmen aus jüngerer Zeit, die auch meist schwächer sind, werden frühe Werke gezeigt oder dokumentiert, in denen sich die Absetzbewegung der Künstler, - vom Tafelbild, aber auch von der Pop Art, nachvollziehen lässt, Objekte, die neu, aggressiv oder elementar wirken. Ihren Namen verdankte die neue Kunst einem vorauseilenden Kunstkritiker, Germano Celant, der über sie schrieb, noch fast bevor es sie gab, er nannte sie, analog zum "armen Theater" eines Jerzy Grotowski, Arte Povera.[1] 1967 schildert Celant, wie der Künstler der Gegenwart , "der junge Gaukler" im Kapitalismus, - aber dieses Wort fällt bei ihm nicht -, "raffinierte Konsumwünsche" zu erfüllen gezwungen sei, voller Hoffnung, dass es der Arte Povera bestimmt sei, sich davon zu befreien: "Vom Ausgebeuteten wird der Künstler zum Guerillakämpfer, will den Ort der Schlacht selbst bestimmen, die Vorteile der Beweglichkeit selbst nutzen können, überraschen und zuschlagen - nicht umgekehrt." Für einen kurzen historischen Moment mag das so gewesen sein. Der Kritiker Benjamin Buchloh meinte in einem Gespräch mit Catherine David und Jean-Francois Chevrier, - zu finden im Katalog der documenta X (1997) - , "die Tragödie der Arte Povera" liege genau darin, "dass sie die Bedingungen der Reproduzierbarkeit des modernen Kunstwerks nicht reflektiert hat." Stattdessen hätten die Künstler doch wieder versucht, ein auratisches Werk zu schaffen, "einzigartig und paraindustriell", und genau das habe sich die Kulturindustrie wieder einverleibt. Die Ausstellung ist sozusagen der wahrgewordene Wunschtraum, dass das nicht geschehen sei, dass die Bewegung nie angekommen wäre. [1] Germano Celant, "Arte Povera. Appunti per una guerriglia", in: Flash Art, Nr.5, Mailand November/Dezember 1967, S.3. Redaktion: Claudia Sedlarz, sedlarz@bbaw.de
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